Auf der Flucht vor Erdogan
Türkische Asylsuchende der Gülen-Bewegung stellen sich in Augsburg erstmals der Öffentlichkeit vor
Mehmet, der in Wirklichkeit anders heißt, und seine Frau waren Manager der Türkischen Anstalt für wissenschaftliche und technologische Forschung mit Sitz in Ankara. Jetzt leben sie als Flüchtlinge in einer Unterkunft in Lechhausen. Ihr Ex-Arbeitgeber bewirtschaftete 19 Forschungsinstitute, berät die Regierung, organisiert die Finanzierung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an den türkischen Universitäten und gilt als eine der wichtigsten Institutionen des Landes. Die Regierung sieht in den 4000 Angestellten und Beamten schon seit 2013 eine von Gülen-Anhängern unterwanderte Terrorzelle.
Wie etwa 300 andere Ingenieure und Wissenschaftler wurden auch Mehmet und seine Frau vier Wochen nach dem Putschversuch im Juli letzten Jahres entlassen. Als Teil der Gülen-Bewegung, zu der sich in der Türkei etwa eine Million Bürger, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Unternehmen zählten, standen sie schnell im Fadenkreuz des türkischen „Antiterrorkampfes“. Aufgeklärt ist der Putschversuch bis heute nicht.
„Weder haben wir etwas mit dem versuchten Militärcoup noch überhaupt mit Gewalt oder Terrorismus zu tun“, erklärt Mehmet. 22 Manager wurden damals festgenommen, weitere folgten im Lauf der Monate. Für Mehmets Familie spitzte sich die Lage zu. Schließlich beschlossen er und seine Frau, nach Deutschland auszureisen. Das war vor sechs Monaten. Asyl beantragten sie in der Augsburger Niederlassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), in der alle Asylanträge türkischer Staatsbürger in Bayern zentral bearbeitet werden.
Mehmet hatte Glück. Er erfuhr, dass sein Pass in der Türkei 23 Tage nach seiner Flucht für ungültig erklärt worden war. Ein Indiz, dass auch er ins Visier der AntiterrorPolizei geraten war und seine Festnahme kurz bevorstand.
Doch in Augsburg verkehrte sich das Glück ins Gegenteil. Mit der Begründung, er sei doch legal ausgereist und könne deswegen nicht persönlich verfolgt sein, lehnte das Bamf seinen Asylantrag ab.
Mehmet ist entsetzt. Mit elf weiteren türkischen Flüchtlingen gründete er die bayernweite „Bürgerinitiative für Menschenwürde“. Unterstützt vom ebenfalls zur GülenBewegung gehörenden Frohsinn Bildungszentrum stellten sie die Initiative in Augsburg erstmals der Öffentlichkeit vor. Um die Familien in der Türkei und sich selbst vor fanatisierten Deutschtürken in Augsburg zu schützen, möchte niemand mit dem richtigen Namen in der Zeitung erscheinen.
„Wir wollen für diejenigen eine Stimme sein, die derzeit nicht gehört werden“, erklärt Fatih. Der 34-Jährige ist Sprecher der Initiative und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Wohnung in Oberhausen. In der Türkei hatte er als Personalmanager einer Buchhandelskette Verantwortung für 1500 Mitarbeiter.
Die Firma war im Schulbuchgeschäft aktiv und vertrieb zudem die Bücher des Predigers Fethullah Gülen. Seine Frau ist Journalistin und arbeitete für die Tageszeitung Todays Zaman, dem internationalen Zentralorgan der Gülen-Bewegung weltweit. Beide Unternehmen wurden letztes Jahr vom Staat enteignet.
Als Freunde und ehemalige Kollegen nach und nach von der Polizei abgeholt wurden, packten sie die Koffer. Mit einem Visum reisten sie legal nach Deutschland ein. Anders als Mehmet erhielt das Ehepaar trotz der legalen Einreise Asyl und eine Aufenthaltsberechtigung für drei Jahre.