Es geht nicht mehr nur um Kranke
Der Krankenunterstützungsverein Aichach feiert am Sonntag sein 140-jähriges Bestehen. Mittlerweile hat der Verein einen anderen Zweck als bei seiner Gründung. Was die Mitglieder heute bewegt
Aichach Kranke Vereinsmitglieder bekommen Besuch. Und Tote werden mit einem Blumengesteck am Grab geehrt. Ansonsten aber ist nicht viel übrig vom Gründungszweck beim Allgemeinen Krankenunterstützungsverein Aichach. „Bei uns geht es nicht mehr nur um Kranke“, sagt Josef Lentscher und schmunzelt. „Die Gemeinschaft steht heute im Vordergrund“, so der Vorsitzende des Vereins, der an diesem Sonntag sein 140-jähriges Bestehen feiert.
Das war nicht immer so. Der Verein besteht seit 1877. Gegründet haben ihn 27 Maurer zur Unterstützung „erkrankter und arbeitsunfähiger Mitglieder“, wie es in einer Vereinschronik heißt. Mitglieder – das waren lange nur Männer bis 65 Jahre, erklärt Lentscher. Denn sie haben das Geld für die Familie verdient. Und fielen sie aus, durch Krankheit oder Tod, dann konnte das die Familie in Armut stürzen. „Krankenversicherungen gab es ja damals noch nicht.“
Im Fall der Fälle sprang der Verein ein, für den ein monatlicher Beitrag von 30 Pfennig zu entrichten war. Bei einer Erkrankung bekam das Mitglied 50 Pfennig am Tag, bis zu 180 Tage lang. Ein „angemessener Betrag“wurde auch ausbezahlt, wenn ein Mitglied starb – wie viel das genau war, ist nicht überliefert. 1910 hatte der Aichacher Verein 300 Mitglieder, das war der Höhepunkt.
In der damaligen Zeit entstanden viele derartige Zusammenschlüsse, sagt Lentscher: „Die Idee war damals weit verbreitet, dass man sich gegenseitig unterstützt.“Die wenigsten dieser Vereine existieren heute noch. Mit den Sozialgesetzen des Reichskanzlers Otto von Bismarck und der Gründung der ersten Versicherungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts verloren sie an Bedeutung. Auch der Aichacher Verein hat sich im Laufe der Jahre gewandelt und ist immer mehr zu einem „Unterhaltungsverein“geworden. Wobei von Anfang an Wert auf Geselligkeit gelegt worden sei, betont Lentscher. So trafen sich die Mitglieder schon ab 1888 zu Faschingsveranstaltungen oder richteten Bierfeste am Kellerberg aus. Ein solches Fest wird in der Chronik erwähnt: Es habe einen „fröhlich-heiteren Verlauf“genommen, bis halb sieben Uhr in der Früh.
Offiziell eingestellt wurden die Krankenzahlungen zwar erst im Jahr 2000. „Es gab zuletzt aber nur noch sehr wenige Anträge auf Geldleistungen“, sagt Lentscher. 2013 kam dann auch formal der Umbruch: Nach einer Kontrolle der Aufsichtsbehörde musste sich der Verein umwandeln, denn es flossen ja keine Geldleistungen mehr. Aus dem rechtskräftig anerkannten Versicherungsverein wurde ein eingetragener Verein. Eine Satzung musste ebenso her wie die schriftliche Zustimmung aller Mitglieder. „Ein Kraftakt“, sagt Lentscher. Viele andere Vereinigungen, die ehemals zur Krankenunterstützung gegründet worden waren, seien aufgelöst worden. Nicht so die Aichacher: Die „Brauchtums- und Traditionspflege sowie die Pflege der Gemeinschaft zur Vermeidung der Vereinsamung der Mitglieder“ist laut Satzung seitdem der Zweck des Vereins. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, machen Ausflüge oder Wanderungen, sie wirken bei kirchlichen und weltlichen Veranstaltungen mit und rücken bei Prozessionen und Aufmärschen mit den Fahnen aus. Mehr als 200 Menschen gehören den Aichacher „Krankenunterstützern“heute an – Männer wie Frauen. Denn Letztere sind seit 1975 auch zugelassen. „Damals war der Verein bis auf 50 Mitglieder zusammengeschrumpft“, so Lentscher.
Durch die vielen gemeinsamen Aktivitäten sei es gelungen, ihn am Leben zu erhalten. „Und auch heute ist es uns ganz wichtig, dass unser Verein fortbesteht“, so Lentscher. Vor allem an Nachwuchs fehle es aber. Mit seinen 70 Jahren gehöre er zu den jüngeren Mitgliedern, sagt der Vorsitzende.
Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, machen Ausflüge oder Wanderungen