Pflege Alarm im Krankenhaus
Soziales Die Gewerkschaft Verdi fordert mehr Personal auf den Stationen. Am Klinikum sollte es heute einen Warnstreik geben, der in letzter Minute abgesagt wurde. Was eine Krankenschwester aus dem Alltag erzählt
Die Gewerkschaft Verdi schlägt Alarm, was die Zahl der Pflegekräfte in Krankenhäusern betrifft: Für den heutigen Dienstag war daher ein erster Warnstreik am Augsburger Klinikum angekündigt. Am Montagabend sagte Verdi den Streik kurzfristig ab – Hintergrund war, dass sich Gewerkschaft und Klinikumsleitung nicht über den Inhalt einer Notdienstvereinbarung einig waren. In dieser Vereinbarung hätte geregelt werden sollen, wie die Patientenversorgung trotz Streik aussieht.
Ein Streik sei aber weiterhin absehbar, so Stefan Jagel von Verdi Augsburg. „Die Beschäftigten der Krankenhäuser sind am Limit, die Arbeitsüberlastung ist unerträglich.“Die Gewerkschaft möchte über einen Tarifvertrag Mindeststandards bei der Besetzung von Stationen mit Pflegekräften durchsetzen. Auch Konsequenzen bei einer Unterschreitung – bis hin zur Sperrung von Betten – seien nötig. „Wir erhöhen jetzt mit einem ersten Warnstreik den Druck. Wir meinen es ernst: Die Arbeitsbedingungen sich verbessern – und zwar schnell“, so Jagel. An den Kreiskliniken Günzburg/Krumbach findet heute ein Streik statt. Aus Sicht von Verdi müssen bundesweit rund 70 000 Pflegekräfte zusätzlich eingestellt werden.
Verdi hatte vor der Sommerpause das Klinikum als eines von etwa 20 Häusern bundesweit zu Tarifverhandlungen für eine Entlastung des Krankenhauspersonals aufgefordert. Das Klinikum entgegnet, dass es einen solchen Tarifvertrag gar nicht abschließen könne – Verhandlungen darüber seien Sache des Kommunalen Arbeitgeberverbandes, der in Tarifauseinandersetzungen die von Städten und Landkreisen getragenen Krankenhäuser vertritt.
Gleichwohl wisse man, dass Belastung und Arbeitsverdichtung im Pflegebereich hoch seien, so Klinikums-Sprecherin Ines Lehmann. „Wo immer es geht, versuchen wir gegenzusteuern – bei der Optimierung von Strukturen und Prozessen, aber auch beim Personal.“Das Klinikum sieht den Fachkräftemangel als Problem. Ab Herbst hoffe man auf eine personelle Verstärkung im Pflege, zudem wolle man eine Personalmarketing-Kampagne starten.
Dass es am Klinikum teils eng ist, wird bestätigt. In der Intensivmedizin sei es bisher nicht möglich gewesen, das empfohlene zahlenmäßige Verhältnis von einem Pflegenden zu zwei Patienten herzustellen – teils ist dort eine Pflegekraft für mehr Patienten zuständig.
Allerdings schildern auch Pflegekräfte von nicht-intensivmedizinischen Stationen, dass sie teils am Anschlag arbeiten. „Man hat keine Zeit, auf Patienten und deren Angehörige einzugehen“, schildert eine Schwester aus dem Klinikum. Ob sie mittelfristig in ihrem Beruf bleibt, weiß sie nicht. „So habe ich mir den Alltag nicht vorgestellt. Teils ist die Besetzung kritisch.“
Ihr einschneidendsten Erlebnis war, als sie einmal aufgrund von Krankheitsfällen beim Personal nachts alleine die Verantwortung auf der Station hatte, obwohl mehrere schwierige Patienten dort lagen. Überlastungsanzeigen – also dass Pflegekräfte gegenüber dem Haus schriftlich erklären, ihrem Arbeitspensum nicht mehr hinterhermüssen zukommen – gebe es zwar, seien bei Vorgesetzten aber nicht gern gesehen. Aus Furcht vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen will die Schwester anonym bleiben.
Verdi kritisiert, dass Pflege-Azubis teils eher als Aushilfen denn als Schüler eingesetzt würden. Gewerkschafter Jagel sagt, dass es allein deshalb schon nötig sei, die Arbeitsbedingungen zu verbessern,
„Man hat keine Zeit, auf Patienten einzugehen.“
weil der Pflegebereich personell sonst ausblute. „Wenn die Arbeitsbedingungen besser sind, bleiben die Leute auch eher im Beruf.“
Bei der bundesweiten Auswahl der Häuser, die man zur Tarifverhandlungen ausgesucht habe, sei es darum gegangen, eine repräsentativen Querschnitt aus kommunalen und privaten Krankenhäusern sowie Uni-Kliniken zu finden. Das Klinikum sei vor diesem Hintergrund ausgesucht worden. Der Wunsch sei, dass auf Normalstationen eine Vollkraft für fünf Patienten zuständig sei. Deutschland zähle momenBereich tan zu den Schlusslichtern. 20 Patienten pro Vollkraft auf einer Normalstation seien nicht unüblich.
Bis vor kurzem hatten Gewerkschaft und Krankenhäuser gemeinsam für Verbesserungen bei der Politik gekämpft. Auch vom Klinikum fuhren Vertreter des Vorstands gemeinsam mit Beschäftigten immer wieder zu Demonstrationen vor dem Gesundheitsministerium nach Berlin, um etwa Verbesserungen bei der Finanzierung durchzusetzen – mit durchwachsenem Erfolg.
Nun verfolgt die Gewerkschaft die Strategie, über einzelne Häuser Druck auf die dahinterstehenden Verbände zu machen. „Wir haben eine Krise im System. Die Gesellschaft muss eine Antwort darauf finden, wie viel Geld ihr die Krankenhausversorgung wert ist“, so Jagel. ⓘ
Info Am kommenden Donnerstag, 21. September, findet eine Demonstration des „Bündnis Augsburgerinnen und Augs burger für mehr Krankenhauspersonal“statt. Aufgerufen sind Pflegepersonal, aber auch Patienten und deren Ange hörige. Start ist um 18 Uhr auf dem Plär rer, um 19.15 Uhr gibt es dann eine Kundgebung auf dem Rathausplatz.