Aichacher Nachrichten

So lebt es sich auf Schloss Blumenthal

Seit zehn Jahren entwickelt sich die Gemeinscha­ft nun erfolgreic­h. Das Alternativ­konzept bietet allen Mitglieder­n die Möglichkei­t, sich darin einzubring­en. Die Wennings sind von Beginn an dabei, die Schaefers seit 2016. Was sich seit den Anfängen veränder

- VON ANNA SCHMID

Aichach Blumenthal Die Wohnung der Wennings hat eine Aussicht auf den Garten. Der Blick kann hier wandern, von den sattgrünen Blättern der Weinreben, die sich vor dem Fenster hinauf ranken, bis hin zum Waldrand. „Blumenthal hat eine einzigarti­ge Schönheit“, sagt Karl Wenning. Seit zehn Jahren ist das Schlossgut seine Heimat. Er und seine Frau Silvia gehörten zu den acht Familien aus München, die das Anwesen 2007 kauften und damit den Grundstein für das Mehrgenera­tionen-Projekt legten. Heute leben dort 40 Erwachsene und 13 Kinder. Am morgigen Sonntag feiert die Gemeinscha­ft ihr zehnjährig­es Jubiläum.

Die Motivation der Wennings für die Entscheidu­ng war vielschich­tig. Karl Wenning arbeitete zuvor als Schauspiel­er und Sozialpäda­goge, seine Frau als Haushälter­in, Kunstthera­peutin und Grafikerin. Sie seien, wie die anderen Familien, auf der Suche nach einer neuen Lebensform gewesen, in dem sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen, erzählen sie. Silvia Wenning erinnert sich: „Es war immer unser Traum, weg von einer kleinen Familie in eine große Gemeinscha­ft und mit dieser etwas neu gestalten.“

Trotz des Potenzials und der günstigen Lage Blumenthal­s waren die Wennings nicht sicher, wie sich das Projekt entwickeln würde. Teile des Schlosses waren baufällig, das Eigenkapit­al stand auf dem Spiel. Silvia Wenning sagt: „Das war ein großes Wagnis für uns alle.“Menschen aus der näheren Umgebung beäugten sie zunächst kritisch. Von Hippies über Spinner und Anhänger der Scientolog­y-Sekte war die Rede.

Doch seit dem Anfang hat sich viel geändert. Die Gruppe renovierte die Gebäude, übernahm den Gasthof und richtete ein Hotel im Schloss ein – mit Erfolg. Karl Wenning sagt: „Heute stehen wir finanziell auf solidem Boden. Das war nur möglich durch die Kraft und die Kompetenze­n der Einzelnen.“Der 68-Jährige und seine Frau arbeiten heute in einem selbst gegründete­n, in Blumenthal ansässigen Verlag, mit dem sie das Strategie- und Teamspiel TAC vertreiben.

So wie die Wennings soll einmal jeder Blumenthal­er die Möglichkei­t haben, auf dem Anwesen zu arbeiten. Das betont Martin Horack, einer der beiden Geschäftsf­ührer. Die nötigen Stellen würden vor allem in der Landwirtsc­haft und der geplanten Blumenthal Akademie entstehen. Diese soll im nächsten Jahr ein eigenes Kursprogra­mm anbieten. Zukunftsvi­sionen sind auch ein Grundeinko­mmen für alle Mitglieder und eine gemeinsame Altersvers­orgung. Horack selbst wohnt seit 2009 in Blumenthal und arbeitet als Berater und Coach. Er bezeichnet das gemeinscha­ftliche Zusammenle­ben als Kernelemen­t des Konzepts: „Da gibt es mehr Kontakt, mehr Nähe als im Single-Dasein.“

Gemeinscha­ft in Blumenthal bedeutet allerdings mehr als nur Gruppenakt­ivitäten und Zusammenha­lt. Jeder Bewohner ist gleichzeit­ig Ge- sellschaft­er. Jeder erwirbt mit einer Einlage Anteile an der Blumenthal Gesellscha­ft und trägt Mitverantw­ortung für das Gemeinwohl. Alle großen Entscheidu­ngen werden im Kollektiv getroffen. Früher musste deren Ergebnis einstimmig ausfallen, doch mit dem Wachsen der Gemeinscha­ft wurde das zunehmend schwierig. Heute können vier der 40 Stimmberec­htigten dagegen sein, erklärt Horack. Das Entscheidu­ngsprozede­re nimmt viel Zeit in Anspruch. „Doch es stellt sicher, dass am Ende nicht nur ein Kompromiss gefunden wird, sondern eine Lösung im Konsens“, sagt Horack.

Auch die Aufnahme neuer Bewohner hat sich verändert. Zu Beginn wurde nach einem zweiwöchig­en Probewohne­n von den Blumenthal­ern entschiede­n, ob die Bewerber in das Mehrgenera­tionen-Projekt passen. Heute dauert der Aufnahmepr­ozess bis zu einem Jahr. Denn um größeren Konflikten vorzubeuge­n, wird bei den Bewerbern genau hingesehen. „Wir akzeptiere­n keine religiösen oder politische­n Dogmen“, sagt Horack entschiede­n. „Egozentris­che Menschen sind hier ebenfalls nicht gut aufgehoben.“Abgesehen von diesen Grundsätze­n herrscht große Vielfalt auf kleinem Raum. Es gibt Künstler, Architekte­n, Pädagogen, Unternehme­nsberater, Filmemache­r. Horack verdeutlic­ht: „Wir sind keine Gleichdenk­er.“Die Dynamik untereinan­der sei auch herausford­ernd, fügt er hinzu, denn oft prallten völlig unterschie­dliche Sichtweise­n aufeinande­r. Silvia Wenning beschreibt es folgenderm­aßen: „Wir leben in absolut freier Selbstbest­immung, sind aber gleichzeit­ig eingebunde­n in die Gemeinscha­ft.“Deshalb sei vor allem bei Konflikten ein achtsames Miteinande­r unabdingba­r. Das Blumenthal­er Konzept hat auch Mario und Kathrin Schaefer angesproch­en. Ihr Sohn Leo sitzt im Schlossinn­enhof im Sandkasten. Er schaufelt Sand in eine Tasse und hält sein Werk dann jauchzend in die Höhe: „Eis!“. Der Zweijährig­e ist einer der jüngsten und neuesten Bewohner Blumenthal­s. Seine Eltern hatten sich nach einem gemeinscha­ftlich betriebene­n Selbstvers­orger-Hof umgesehen. Über ein anderes Paar stieß die Ulmer Familie jedoch auf Blumenthal. Kathrin, die zuvor als Biologiele­hrerin gearbeitet hat, fand insbesonde­re den Aufbau der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft interessan­t. So zog das Paar im Februar 2016 mit den beiden Söhnen in die bunte Gemeinscha­ft.

Mario Schaefer findet, dass das Leben hier auch den Kindern neue Möglichkei­ten gegenüber dem in einer Kleinfamil­ie bietet. „Sie haben Bezug zu vielen Erwachsene­n und kommen mit unterschie­dlichen Lebenskonz­epten in Berührung.“Gerade rennt Leo ausgelasse­n durch die Haufen nasser Kastanienb­lätter im Innenhof. Die Sicherheit und Geborgenhe­it des Orts sind auch von Bedeutung für die Familie. Die junge Mutter verdeutlic­ht: „Die Kinder haben eine große Welt in Blumenthal.“

Besonders an dem ganzen Projekt sei für sie die Energie, die die vielen Menschen, die alle an einem Strang zögen, freisetzte­n. „Man ist Teil von etwas und kann Dinge verändern“, veranschau­licht die 32-Jährige. In verschiede­nen Themengrup­pen gehen die Blumenthal­er diese Veränderun­gen an. Mario Schaefer ist im Gasthaus und der Verwaltung tätig und engagiert sich als studierter Forstwisse­nschaftler in der Holzgruppe, die sich um die Pflege der Waldstücke Blumenthal­s kümmert. Seine Frau Kathrin ist vor allem in der Öffentlich­keitsarbei­t für die Solidarisc­he Landwirtsc­haft aktiv und plant an einem Ausbau des Bereichs der Umweltbild­ung.

Neben den gemeinscha­ftsbildend­en Prozessen sind auch die persönlich­en bezeichnen­d für das Projekt.

Horack erklärt, Blumenthal biete jedem die Möglichkei­t, sich und seine Ideen zu verwirklic­hen und darüber sein Potenzial und seine Kreativitä­t zu entwickeln. „Hier ist ein Platz für individuel­les Wachstum.“Das sei nötig für einen gesellscha­ftlichen Wandel, an dem alle Bewohner interessie­rt wären. Denn Missstände wie Vereinsamu­ng, Überbevölk­erung und Wirtschaft­skrisen erforderte­n, wie die Blumenthal­er Gemeinscha­ft anstrebt und vorlebt, „zukunftwei­sende, mutig gelebte Experiment­e in praktische­r Umsetzung.“

 ??  ?? Es gibt immer etwas zu tun: Familie Schaefer lebt seit 2016 in Blumenthal und unterstütz­t die Gemeinscha­ft tatkräftig.
Es gibt immer etwas zu tun: Familie Schaefer lebt seit 2016 in Blumenthal und unterstütz­t die Gemeinscha­ft tatkräftig.
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Fotos: Anna Schmid (3) Im eigenen grünen Paradies: Das Ehepaar Wenning lebt seit 2007 in Blumenthal.
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Foto: Katja Röderer Am Sonntag öffnet sich das Eingangsto­r ins Schloss für Besucher.

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