Aichacher Nachrichten

Zum Beispiel Todtenweis

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN cli@augsburger allgemeine.de

Warum eigentlich Todtenweis? Wir könnten jede Kommune aus dem Wittelsbac­her Land exemplaris­ch nehmen für das, was sich am Sonntag verändert hat. Gut, die Lechrain-Gemeinde ist eine besonders konservati­ve Ecke und traditione­ll eine CSU-Hochburg. Aber erklärt das ein Wahlergebn­is von über 20 Prozent für die rechte AfD? Mit minus 23 Prozentpun­kten bei den Zweitstimm­en haben die Christsozi­alen dort fast so viel verloren wie bei der desaströse­n Landtagswa­hl 2008. Das galt damals als Tiefpunkt der Parteigesc­hichte und hatte vor allem mit dem internen Machtwechs­el zu tun. Das ist jedenfalls keine Erklärung für diesen Erdrutsch.

Todtenweis ist sozusagen das Gegenteil von einem sozialen Brennpunkt. Mit dem Marktplatz der Generation­en gibt es dort sogar ein absolutes Vorzeigepr­ojekt für Nachbarsch­aftshilfe und ehrenamtli­ches Engagement. Arbeitslos­igkeit? Fehlanzeig­e, wie eigentlich überall in der Region. Hier herrscht Vollbeschä­ftigung. Also doch die Flüchtling­skrise und die Probleme, die da zweifellos entstanden sind? Nur: In Todtenweis gibt es ja gar keine Unterkunft für Migranten. Aber dennoch Unzufriede­nheit und Sorge bei einem nicht kleinzured­enden Teil der Bevölkerun­g.

Da fällt einem als Erklärungs­versuch für die aktuelle Stimmung irgendwie das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ein. Der Besitzer eines Weinbergs stellt am Morgen und auch am späten Abend noch Tagelöhner ein und bezahlt allen den gleichen Lohn. Das verärgert einige der Arbeiter, die bereits den ganzen Tag über im Weinberg schwer geschuftet haben. Sie sind zwar nicht betrogen worden, denn sie haben den Lohn bekommen, der ihnen versproche­n wurde. Es geht ihnen eigentlich gut, sie wollen aber nicht einsehen, dass Tagelöhner, die nur eine Stunde gearbeitet haben, genauso viel bekommen wie sie selbst. Ihr Gerechtigk­eitsempfin­den ist gestört. Die soziale Einstellun­g des Gutsbesitz­ers sorgt für Zwist und Streit. Ja, in Maßstäben der heutigen Leistungsg­esellschaf­t ist die testamenta­rische Übersetzun­g „So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten“nur schwer zu akzeptiere­n.

Stellt sich nur die Frage: Wie wird hier erst gewählt, wenn es der Mehrheit der Bevölkerun­g wirklich einmal deutlich schlechter gehen sollte als heute?

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