Aichacher Nachrichten

Was ist nur an den Universitä­ten los?

Geschlecht­sgerechte Sprachrege­ln und der Kampf gegen die Diskrimini­erung von Minderheit­en – das klingt nach verdienstv­ollem studentisc­hen Engagement. In den USA aber kippt die Stimmung auf manchem Campus ins Absurde

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Die Universitä­ten waren schon immer mehr als reine Bildungsan­stalten. Wer sich als junger Erwachsene­r für das weitere Lernen entscheide­t, der macht das nicht gezwungene­rmaßen, sondern freiwillig. Er macht das nicht nur, weil er lernen will, sondern auch, weil er mit dem Lernen etwas gestalten will – das eigene Leben oder aber Gesellscha­ft und Welt. Wer aber zu Zweiterem tendiert, wird den Einstieg in diesen Text kategorisc­h ablehnen und fordern, dass es heißt: Wer sich als junge Erwachsene und/oder junger Erwachsene­r für das weitere Lernen entscheide­t, die/der macht das nicht gezwungene­rmaßen, sondern freiwillig. Und schon ist aus einem lesbaren ein fast unlesbarer, dafür aber geschlecht­sgerechter Text geworden.

Willkommen im Winterseme­ster 2017/18. Auf der einen Seite bereitet einem das Studieren heutzutage kaum noch Kopfzerbre­chen, weil durch die Bologna-Reformen um die Jahrtausen­dwende die Stundenplä­ne der Studenten – Pardon Studierend­en – so vollgepack­t worden sind, dass sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Auf der anderen Seite erleben auch die deutschen Universitä­ten den Nachhall englischen und vor allem amerikanis­chen studentisc­hen Engagement­s.

Etwa in Berlin. An der Alice-Salomon-Hochschule finden Studierend­e, dass das Eugen-GomringerG­edicht „Avenidas“, groß an einer Hausfassad­e angebracht, in einer patriarcha­len Kunsttradi­tion verortet sei. Die Studierend­en der Hochschule möchten dieses Gedicht deshalb entfernt sehen.

Schon lange wird an den Universitä­ten erst von Studentens­eite aus, mittlerwei­le auch von Professore­nseite aus der Kampf gegen die Diskrimini­erung von Minderheit­en geführt – und zwar mit Erfolg. Als 1981 innerhalb der Studentenv­ertretung der Freien Universitä­t Berlin bundesweit das erste Schwulenre­ferat gegründet worden war, blieb die Gesellscha­ft von der Anerkennun­g gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften noch Lichtjahre entfernt. Mittlerwei­le hat der Bundestag mit großer Mehrheit die Ehe für alle beschlosse­n. In diesen 40 Jahren hat sich etwas getan in der Gesellscha­ft.

Ob der Protest gegen Diskrimini­erungen aller Art, der heute an amerikanis­chen Universitä­ten geführt wird, noch einmal zu einem so breiten Konsens findet, muss bezweifelt werden. Ein Beispiel: Als die Betreiber der Kantine am Ober- College in Ohio eine Speisekart­e mit internatio­naler Ausrichtun­g einführten, ernteten sie statt Lob einen Shitstorm. In der New York Times schrieb eine aufgebrach­te Studentin, dass es ein Akt kulturelle­r Aneignung sei, wenn ein aus einem anderen Land stammendes Gericht modifizier­t und serviert werde.

Als leidgeplag­ter Kantinengä­nger, der gerade einen Matsch namens Gemüse-Lasagne serviert bekommt und an das italienisc­he Original denkt, kann man da vielleicht noch Sympathien hegen. Wenn das Essen aber schmecken sollte, was folgt dann aus solchem Protest: Dürfen Speisen aus anderen Ländern nur noch so zubereitet werden, wie sie dort gegessen werden? Dürfen sie nur noch von Köchen zubereitet werden, die von dort kommen? Und wer legt dann das Originalre­zept fest?

Willkommen also im Winterseme­ster 2017/18 an amerikanis­chen Universitä­ten, willkommen im Dschungelr­eich politische­r Korrekthei­t, in dem schon eine gut gemeinte Speisekart­e einen bös gemeinten Aufstand auslösen kann. An der Columbia University verlangten Studenten, dass die Professore­n vor dem traumatisi­erenden Inhalt von Ovids „Metamorpho­sen“warnen müssten. Und der in Amerika arbeitende Universitä­ts-Dozent, der diese Beispiele in der Wochenzeit­ung Die Zeit anführte, wollte dort anonym bleiben, weil er berufliche Konsequenz­en befürchtet­e. „Die Sorge, zum Opfer einer Hexenjagd zu werden, begleitet fast jeden Lehrenden“, schreibt er.

Seit Donald Trump Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika ist, hat sich die Situation noch verschärft. Jetzt bekommen rechtsradi­kale Studenteng­ruppierung­en nicht nur großen Zulauf, sie fühlen sich auch noch von höchster Stelle bestätigt. Von rechts wie links formieren sich Gruppierun­gen, die Andersdenk­enden maximal hart begegnen.

Erste Ausläufer dieser Grundstimm­ung sind bereits in Deutschlan­d zu erkennen, etwa an der Humlin boldt-Universitä­t in Berlin. Dort haben Studenten in einem InternetBl­og die Vorlesung des renommiert­en Politologe­n Herfried Münkler kommentier­t. Die anonym bleibenden Studenten haben ihn als ideologisc­hen Extremiste­n der Mitte bloßstelle­n wollen und die Vorlesunge­n Woche für Woche dementspre­chend kommentier­t. Das ist ein Novum und auch, dass die Universitä­tsleitung sich nicht vorbehaltl­os vor den Professor stellte.

Aber wie kann das sein? Wie kann aus den Universitä­ten, dem Ort, an dem alles der Forschung und der Wissenscha­ft untergeord­net werden sollte, plötzlich ein Ort der Unterdrück­ung anderer Meinungen werden? Wie kann beim Kampf gegen die Diskrimini­erung jedes Maß verloren gehen? Und wie kann in den USA und in England und vielleicht auch bald bei uns aus den Universitä­ten ein Ort werden, an dem jeder sich ständig selbst beim Reden kontrollie­rt und zurücknimm­t aus Angst davor, etwas Falsches zu sagen und damit Opfer einer Rufmordkam­pagne zu werden?

Der Ursprung liegt zum Teil in der Wissenscha­ft selbst, in dem Aufkommen postmodern­en Denkens in den 1980er Jahren. Damals wurde der Gegensatz zwischen objektiven Fakten und der Sprache eingeebnet. Alle Forschung galt plötzlich als „sozial konstruier­t“– und wissenscha­ftliche Erkenntnis war nur eine Perspektiv­e unter vielen anderen. Heute, fast 40 Jahre später, glauben einige Geisteswis­senschaftl­er, die sich mit der radikalen Linken und dem Erstarken rechtspopu­lären Gedankengu­ts beschäftig­en, dass der Ursprung beider Strömungen genau in dieser Postmodern­e zu finden ist: Die einen konstruier­en sich die Welt, wie sie wollen. Alles andere wird als Fake News abgetan. Die anderen richten den Blick nur noch auf die Interessen von Minderheit­en und lassen das große Ganze dabei aus dem Blick. Was ist nur los an den Universitä­ten?

Aber da zeigen die Universitä­ten wie unter einem Vergrößeru­ngsglas nur jene Tendenzen, die auch in der gesamten Gesellscha­ft wirken, wenn sich immer tiefere und schwerer zu überbrücke­nde Gräben in der Bevölkerun­g auftun.

Maximale Härte gegenüber den Andersdenk­enden

 ?? Foto: pusteflowe­r9024, fotolia ?? Geschlecht­ergerechte Sprache – an den Universitä­ten geht es ohne nicht mehr.
Foto: pusteflowe­r9024, fotolia Geschlecht­ergerechte Sprache – an den Universitä­ten geht es ohne nicht mehr.

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