Wenn sich Kanuten in die Tiefe stürzen
Beim Boatercross treten vier Kanuten gleichzeitig gegeneinander an. Allein der Start dieser Disziplin ist spektakulär. Zwei Augsburger hoffen in Frankreich auf Edelmetall
Die Trainingsgelegenheiten auf der WM-Strecke im französischen Pau empfindet Selina Jones als ein bisschen knapp bemessen. Doch die junge Augsburgerin darf wie alle anderen Boatercross-Fahrer zu Übungszwecken nur exakt zweimal die 300 tosenden Meter hinunterpaddeln. Trotzdem ist die 20-jährige Kajakspezialistin von Kanu Schwaben Augsburg begeistert, als sie nach dem zweiten Lauf ihr kleines blaues Boot aus dem Wasser hebt. „Wir waren im Frühjahr ja schon zum Trainingslager hier, deshalb kenne ich die Strecke. Aber jetzt fahre ich sie das erste Mal mit dem Plastikboot. Das ist wirklich eine perfekte Wildwasserstrecke für Boatercross“, sagt Jones. Sie strahlt nach ihren Fahrten und hätte gern noch einen dritten Lauf hinterhergeschoben. Doch die Franzosen sind streng.
Der Zeitplan für diese WM ist eng getaktet. So haben im Kanal die olympischen Kanuslalom-Disziplinen Vorrang, dann folgen die Wildwasser-Sprinter und erst danach die Boatercrosser. Für die jüngste aller Kanusportarten ist es eine WMPremiere – und mit Selina Jones sowie Hannes Aigner vom Augsburger Kajak-Verein haben gleich zwei Augsburger die Qualifikation dafür geschafft. Komplettiert wird das deutsche Quartett durch Claudia Trompeter (SKG Hanau) und Stefan Hengst (KR Hamm).
Das Spektakuläre beim Boatercross: Vier Kanuten stürzen gleichzeitig von einer Rampenvorrichtung aus drei bis fünf Metern ins Wasser und kämpfen sich ähnlich wie die Vorbilder aus dem Snowboard oder Skicross ins Ziel. Doch während in Augsburg, wo der Boatercross gewissermaßen seine Kinderstube hat, allen Booten mit Hilfe einer raffinierten Startvorrichtung gleichzei- tig der Boden weggezogen wird, ist in Pau nur eine einfache Holzrampe an einer Brücke aufgebaut. Jeder Kanute muss sein Boot beim Startsignal selbst so schnell wie möglich über die Rampe kippen. Horst Woppowa, der Organisationsleiter des Kanu-Weltcups in Augsburg, sieht diese Art zu starten äußerst kritisch. Für eine Weltmeisterschaft, merkt Woppowa an, sei dies eher unwürdig. „Die Sportler können nicht alle auf einmal los. Das ist doch ungerecht“, wundert er sich.
Selina Jones lässt sich während ihrer Trainingsfahrten davon nicht weiter beeindrucken. Souverän hopst sie mit ihrem Boot die knapp vier Meter ins Wasser. „Angst habe ich nicht, aber Respekt. Zumal ich den Boatercross nie wirklich trainiere, denn mein Schwerpunkt liegt ja eigentlich auf dem Kanuslalom“, sagt sie. Zudem hat die U23-TeamWeltmeisterin im Kajak Einer nach ihrem dritten Platz bei der deutschen Meisterschaft vor zwei Wochen in München erst einmal ein bisschen Urlaub vom Paddeln gemacht. Jetzt muss sie sich erst mal wieder reinfühlen. „Ich bin noch nicht ganz drin, aber das macht nichts. Wir nehmen den Boatercross ja schon ein bisschen lockerer als den Slalom“, gesteht sie lächelnd. AKV-Kanute Hannes Aigner, der Olympia-Bronzemedaillengewinner von London 2012, hat die Übungsläufe in Pau ganz ausgelassen und reist nur fürs Wochenende an.
In Frankreich ist der Sonntag als reiner Wettkampftag für die Boatercross-Wettbewerb eingeplant. Tausende Zuschauer werden zu dieser Premiere erwartet. „Das wird sicher super“, ist Selina Jones überzeugt. „Es gab schon eine unbeschreiblich tolle Eröffnungsfeier und alle sind hier so begeistert.“Ob es dann auch für eine Medaille für das deutsche Quartett reichen wird? Selina Jones ist vorsichtig mit Prognosen: „Beim Weltcup habe ich es zweimal ins Finale geschafft, aber im Boatercross kann man immer mal Glück oder Pech haben.“