Wie schön, wenn Gebäude eine Aura haben
Auf dem Boden laufen noch die Markierungen, die früher in der Fabrikhalle eine Rolle gespielt haben. Jetzt sind es Spuren aus der Vergangenheit, die die Besucher der neuen Spielstätte auf dem Boden des Theaters Augsburg im Martinipark sehen. Ehrlich gesagt, ist dieser Kniff, den Boden im ursprünglichen Zustand zu belassen, mehr als nur gelungen. Diese Halle im Martinipark zeigt im Kleinen, wie wunderbar es ist, wenn Gebäude eine Geschichte haben, wie eindrucksvoll es ist, wenn sich Schicht auf Schicht legt.
Ähnlich wirken auch die neu gestalteten Räume der Stadtarchäologie. Auch dort lässt sich die Geschichte des Gebäudes erahnen. Für die Besucher hat ein solcher Ort eine Aura, er lädt zum Verweilen ein, man fühlt sich wohl.
Es ist ein Jammer, dass die Achtung vor alten Gebäuden nicht viel stärker ausgeprägt ist. Viel zu schnell fahren Abrissbagger vor, viel zu schnell wird das Alte niedergelegt, um dem Neuen Platz zu machen. Jüngst war es ein denkmalgeschütztes Gebäude in München, das ohne Genehmigung innerhalb von wenigen Minuten abgerissen worden ist, wohl mit dem Hintergedanken, auf dem Grundstück einen lukrativen Neubau zu realisieren. Auch in Augsburg ist in den zurückliegenden 30 Jahren viel alte Bausubstanz abgerissen worden: Kasernengebäude, Industriehallen, Schornsteine, die das Stadtbild geprägt haben.
Klar ist es leichter, einen Neubau in die gewünschte Form zu bringen; alles kann vom Reißbrett weg geplant werden. Ein altes Gebäude diktiert den Architekten viel stärker in die Ideen hinein. Nur eines kann mit einem Neubau nie errichtet werden: die Aura der Geschichte. Die wächst langsam mit den Jahren und verdoppelt sich plötzlich, wenn Häusern ein neuer Sinn gegeben wird und das Alte noch überall zu spüren ist. Dann werden Gebäude ein dauerhaftes Sinnbild für den technischen Fortschritt mit seinen gewaltigen Veränderungen.
Wenn mit dem Gaswerksareal ein ganzes Industrieensemble eine neue Nutzung erfährt, wird das ein weiterer Gewinn sein. Wichtig ist nur, nicht die gelungenen Beispiele für eine Umnutzung als Feigenblatt dafür zu benutzen, anderswo weiter mit dem Bagger die Geschichte zu planieren, um neuer Bebauung Platz zu verschaffen. Das Abreißen sollte nicht der Standard, sondern die letzte Wahl sein.
*** „Intermezzo“ist unsere KulturKolumne, in der Redakteure der Kultur-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefallen ist.