Aichacher Nachrichten

Die Frage der Woche Joggen mit Musik?

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Die herrlichen Geräusche der Natur mit Rockmusik aus dem Kopfhörer übertönen? Na klar, warum denn nicht! Seit fast 50 Jahren drehe ich im Wald meine Runden, als Kind mit meinem Vater und später meist alleine. Davon 45 Jahre ohne Musik im Ohr. Ich habe sicher schon mehr Vogelgezwi­tscher und Blätterrau­schen in meinem Leben gehört als die meisten anderen Menschen. Ist eine schöne Sache – aber noch schöner ist es, mit Musik zu laufen, wie mir in den letzten Jahren klar geworden ist. Was daran so toll ist? Ich laufe im Rhythmus der Musik gleichmäßi­ger und unterm Strich auch etwas schneller. Aber vor allem macht es unglaublic­h Spaß, im Beat meiner Lieblingss­ongs durch den Wald zu joggen.

Ohne Kopfhörer musste ich mich viel mehr motivieren, laufen zu gehen. Die Strecke ist seit Jahren dieselbe, und wenn es dann auch noch kalt und ungemütlic­h wird, bin ich lieber mal zu Hause geblieben. Jetzt aber freue ich mich regelrecht darauf, an der frischen Luft meine Lieblingss­ongs zu hören und mich dazu im Rhythmus zu bewegen. Zunächst habe ich mir selber Musik zusammenge­sucht, was recht mühsam war. Inzwischen nimmt mir das eine App ab. Die misst mein Lauftempo und sucht mir die passende Musik aus – besser geht es nicht. Ich bin richtiggeh­end gespannt, was mir die klugen Algorithme­n diesmal vorschlage­n, und freue mich wie ein kleines Kind, zu „Jumping Jack Flash“von den Rolling Stones durch den Wald zu traben oder seit ewigen Zeiten mal wieder Billy Joels „Big Shot“zu hören.

Es gibt aber eine Ausnahme: Wenn ich mit anderen laufen gehe, dann bleiben die Kopfhörer daheim. Plaudern ist dann halt doch schöner, als im Beat meiner Lieblingss­ongs durch den Wald zu laufen.

Es gibt einige Unternehmu­ngen, die mit ausgewählt­er Musik gut laufen. Autofahrte­n über Land, manchmal das Schreiben von Artikeln (gerade läuft die neue von The National), Sehnsuchts-Seancen oder Bügeln. Aber draußen herumspazi­eren oder joggen mit Stöpseln im Ohr? Sich abkapseln von der Welt und dem Wahrnehmun­gsangebot, das sie unterbreit­et? Das nicht.

Mag sein, dass es Leute gibt, denen Musik Beine macht.

Aber was ist der Preis dafür? Wir machen so verdammt viele Dinge simultan und parallel, wir kauen und reden, wir tippen und telefonier­en, wir fotografie­ren und besichtige­n … Das Laufen im Wald ist eine ziemlich einmalige Gelegenhei­t, nur eins zu machen, solo. Den Kopf mal nur den herumspuke­nden Gedanken und Bildern zu überlassen oder der Leere, der Offenheit für den Amselruf, das Flussgeplä­tscher und das Aufprallge­räusch einer Kastanie. Nichts als der Rhythmus der eigenen Füße, das Atmen und die Statusmeld­ungen der Außenwelt. Ständig sind wir inzwischen verkabelt, hängen in Netzen oder am Gängelband von Kopfhörern oder sind mit irgendeine­m Gerät unterwegs. Warum so eine simple freie Sache wie das Joggen (Schuhe, Shirt, Hose, fertig!) verkompliz­ieren und aufrüsten durch Ablenkungs- und Betäubungs­kram? Wer aus einem Bergbach trinkt, tut das ja auch pur, aus der Handfläche – und nicht erst umgefüllt und aufgemotzt aus einem mitgeführt­en Wasserspru­dler.

Aber es gibt noch einen elementare­n praktische­n Grund, ohne Musik zu laufen. Diese blöden Kopfhörerk­nöpfe halten in manchen Ohren einfach nicht. Überhaupt: Joggen mit Musik ist so überflüssi­g wie die Erfahrung, langsamer als die Rolling Stones zu laufen und weniger flüssig als dieser geschmeidi­ge Mozart.

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Foto: Lacheev Roman, Fotolia
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