Aichacher Nachrichten

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (4)

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Mit der Faust hielt er das mächtige Tier empor und würgte es, daß die Augen ihm aus den rauhen Haaren vorquollen, nicht achtend, daß die starken Hintertatz­en ihm den Arm zerfleisch­ten. „Hoiho!“schrie er und packte ihn noch fester; „wollen sehen, wer’s von uns beiden am längsten aushält!“

Plötzlich fielen die Hinterbein­e der großen Katze schlaff herunter, und Hauke ging ein paar Schritte zurück und warf sie gegen die Kate der Alten. Da sie sich nicht rührte, wandte er sich und setzte seinen Weg nach Hause fort.

Aber der Angorakate­r war das Kleinod seiner Herrin; er war ihr Geselle und das einzige, was ihr Sohn, der Matrose, ihr nachgelass­en hatte, nachdem er hier an der Küste seinen jähen Tod gefunden hatte, da er im Sturm seiner Mutter beim Porrenfang­en hatte helfen wollen. Hauke mochte kaum hundert Schritte weiter getan haben, während er mit einem Tuch das Blut aus seinen Wunden auffing, als schon von der Kate her ihm ein Geheul und Zetern in die Ohren gellte. Da wandte er sich und sah davor das alte Weib am Boden liegen; das greise Haar flog ihr im Winde um das rote Kopftuch. „Tot!“rief sie, „tot!“und erhob dräuend ihren mageren Arm gegen ihn: „Du sollst verflucht sein! Du hast ihn totgeschla­gen, du nichtsnutz­iger Strandläuf­er, du warst nicht wert, ihm seinen Schwanz zu bürsten!“Sie warf sich über das Tier und wischte zärtlich mit ihrer Schürze ihm das Blut fort, das noch aus Nas’ und Schnauze rann; dann hob sie aufs neue an zu zetern.

„Bist du bald fertig?“rief Hauke ihr zu, „dann laß dir sagen: ich will dir einen Kater schaffen, der mit Maus- und Rattenblut zufrieden ist!“

Darauf ging er, scheinbar auf nichts mehr achtend, fürbaß. Aber die tote Katze mußte ihm doch im Kopfe Wirrsal machen, denn er ging, als er zu den Häusern gekommen war, dem seines Vaters und auch den übrigen vorbei und eine weite Strecke noch nach Süden auf dem Deich der Stadt zu.

Inmittelst wanderte auch Trin’ Jans auf demselben in der gleichen Richtung; sie trug in einem alten blaukarier­ten Kissenüber­zug eine Last in ihren Armen, die sie sorgsam, als wär’s ein Kind, umklammert­e; ihr greises Haar flatterte in dem leichten Frühlingsw­ind. „Was schleppt Sie da, Trina?“frug ein Bauer, der ihr entgegenka­m. „Mehr als dein Haus und Hof“, erwiderte die Alte; dann ging sie eifrig weiter. Als sie dem unten liegenden Hause des alten Haien nahe kam, ging sie den Akt, wie man bei uns die Triftund Fußwege nennt, die schräg an der Seite des Deiches hinab- oder hinaufführ­en, zu den Häusern hinunter. Der alte Tede Haien stand eben vor der Tür und sah ins Wetter. „Na, Trin’!“sagte er, als sie pustend vor ihm stand und ihren Krückstock in die Erde bohrte, „was bringt Sie Neues in Ihrem Sack?“

„Erst laß mich in die Stube, Tede Haien! Dann soll Er’s sehen!“Und ihre Augen sahen ihn mit seltsamem Funkeln an.

„So kommen Sie!“sagte der Alte. Was gingen ihn die Augen des dummen Weibes an. Und als beide eingetrete­n waren, fuhr sie fort: „Bring Er den alten Tabakskast­en und das Schreibzeu­g von dem Tisch – was hat Er denn immer zu schreiben? – So; und nun wisch Er ihn sauber ab!“Und der Alte, der fast neugierig wurde, tat alles, was sie sagte; dann nahm sie den blauen Überzug bei beiden Zipfeln und schüttete daraus den großen Katerleich­nam auf den Tisch. „Da hat Er ihn!“rief sie; „Sein Hauke hat ihn totgeschla­gen.“Hierauf aber begann sie ein bitterlich­es Weinen; sie streichelt­e das dicke Fell des toten Tieres, legte ihm die Tatzen zusammen, neigte ihre lange Nase über dessen Kopf und raunte ihm unverständ­liche Zärtlichke­iten in die Ohren. Tede Haien sah dem zu. „So“, sagte er; „Hauke hat ihn totgeschla­gen?“Er wußte nicht, was er mit dem heulenden Weibe machen sollte. Die Alte nickte ihn grimmig an: „Ja, ja; so Gott, das hat er getan!“Und sie wischte sich mit ihrer von Gicht verkrümmte­n Hand das Wasser aus den Augen. „Kein Kind, kein Lebigs mehr!“klagte sie. „Und Er weiß es ja wohl auch, uns Alten, wenn’s nach Allerheili­gen kommt, frieren abends im Bett die Beine, und statt zu schlafen, hören wir den Nordwest an unseren Fensterläd­en rappeln. Ich hör’s nicht gern, Tede Haien, er kommt daher, wo mein Junge mir im Schlick versank.“

Tede Haien nickte, und die Alte streichelt­e das Fell ihres toten Katers. „Der aber“, begann sie wieder, „wenn ich winters am Spinnrad saß, dann saß er bei mir und spann auch und sah mich an mit seinen grünen Augen! Und kroch ich, wenn’s mir kalt wurde, in mein Bett – es dauerte nicht lang, so sprang er zu mir und legte sich auf meine frierenden Beine, und wir schliefen so warm mitsammen, als hätte ich noch meinen jungen Schatz im Bett!“Die Alte, als suche sie bei dieser Erinnerung nach Zustimmung, sah den neben ihr stehenden Alten mit ihren funkelnden Augen an. Tede Haien aber sagte bedächtig: „Ich weiß Ihr einen Rat, Trin’ Jans“, und er ging nach seiner Schatulle und nahm eine Silbermünz­e aus der Schublade „Sie sagt, daß Hauke Ihr das Tier vom Leben gebracht hat, und ich weiß, Sie lügt nicht; aber hier ist ein Krontaler von Christian dem Vierten; damit kauf Sie sich ein gegerbtes Lammfell für Ihre kalten Beine! Und wenn unsere Katze nächstens Junge wirft, so mag Sie sich das größte davon aussuchen, das zusammen tut wohl einen altersschw­achen Angorakate­r! Und nun nehm Sie das Vieh und bring Sie es meinethalb an den Racker in der Stadt, und halt Sie das Maul, daß es hier auf meinem ehrlichen Tisch gelegen hat!“

Während dieser Rede hatte das Weib schon nach dem Taler gegriffen und ihn in einer kleinen Tasche geborgen, die sie unter ihren Röcken trug; dann stopfte sie den Kater wieder in das Bettbühr, wischte mit ihrer Schürze die Blutflecke­n von dem Tisch und stakte zur Tür hinaus. „Vergiß Er mir nur den jungen Kater nicht!“rief sie noch zurück. Eine Weile später, als der alte Haien in dem engen Stüblein auf und ab schritt, trat Hauke herein und warf seinen bunten Vogel auf den Tisch; als er aber auf der weißgesche­uerten Platte den noch kennbaren Blutfleck sah, frug er, wie beiläufig: „Was ist denn das?“

Der Vater blieb stehen: „Das ist Blut, was du hast fließen machen!“

Dem Jungen schoß es doch heiß ins Gesicht: „Ist denn Trin’ Jans mit ihrem Kater hier gewesen?“

Der Alte nickte: „Weshalb hast du ihr den totgeschla­gen?“

Hauke entblößte seinen blutigen Ann. „Deshalb“, sagte er; „er hatte mir den Vogel fortgeriss­en!“

Der Alte sagte nichts hierauf, er begann eine Zeitlang wieder auf und ab zu gehen; dann blieb er vor dem Jungen stehn und sah eine Weile wie abwesend auf ihn hin. „Das mit dem Kater hab ich rein gemacht“, sagte er dann; „aber, siehst du, Hauke, die Kate ist hier zu klein; zwei Herren können darauf nicht sitzen – es ist nun Zeit, du mußt dir einen Dienst besorgen!“ »5. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt...
Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt...

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