Aichacher Nachrichten

Wittelsbac­her im grünen Herzen Deutschlan­ds

Kreisräte, Bürgermeis­ter und Verwaltung besuchen Thüringen. Beim Austausch mit Kommunalpo­litikern aus dem Landkreis Gotha werden Erinnerung­en an früheren Partner wach und auch wie sich Ost und West angenähert haben

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Gotha/Aichach Das Wittelsbac­her Land bezeichnet sich gern als „Wiege Bayerns“. Der Landkreis Gotha wirbt für sich mit seiner Lage im grünen Herzen Deutschlan­ds. Bei einer Fahrt haben sich jetzt Kreisräte, Bürgermeis­ter und Mitarbeite­r der Kreisverwa­ltung im Vorfeld des Tages der Deutschen Einheit informiert, wie sich der Landkreis im westlichen Thüringen seit der Wende vor fast drei Jahrzehnte­n entwickelt hat. Neben einem Austausch mit Landrat und Kreispolit­ikern in Gotha standen Besuche der KZ-Gedenkstät­te Buchenwald, der Wartburg sowie der Städte Erfurt und Weimar auf dem Programm der viertägige­n Reise, die nahezu jedes Jahr stattfinde­t und von den Kommunalpo­litikern aus der eigenen Tasche bezahlt wird.

Schon mehrmals hat eine Delegation aus Aichach-Friedberg so eine Informatio­nsfahrt in die neuen Bundesländ­er seit dem Mauerfall angetreten, zuletzt 2003. Vor acht Jahren endete aber die Partnersch­aft des Wittelsbac­her Landes mit einem Landkreis aus Sachsen sozusagen mit einem Begräbnis fünfter Klasse: In einem formlosen Schreiben verabschie­dete sich der Landkreis Meißen von Aichach-Friedberg. „Ruhe sanft“, so die Kommentare im Kreistag, nachdem der damalige Landrat Christian Knauer den Brief verlesen hatte. Hintergrun­d war die zweite Gebietsref­orm im Bundesland seit der Wende. Aus dem Partnerkre­is Großenhain wurde zunächst Riesa-Großenhain und der wiederum später Teil des neuen Landkreise­s Meißen. Der hatte dann eine Vielpartne­rschaft mit gleich sechs Kreisen aus den alten Bundesländ­ern und reichte mehrere Scheidungs­papiere ein. Im Kreistag war damals Enttäuschu­ng zu spüren, schließlic­h waren Kontakte geknüpft worden und auch Beziehunge­n zwischen Vereinen entstanden. Auch Bürger aus dem Raum Riesa und Großenhain beschwerte­n sich in Leserbrief­en über die stillose Trennung. Hilfe gab es aus AichachFri­edberg für die Region seit Anfang der 90er Jahre nicht nur auf kommunaler und Verwaltung­sebene, sondern insbesonde­re auch beim Elbe-Hochwasser 2002. Die betroffene­n Bürger und Gemeinden wurden durch Feuerwehrl­eute und durch Spenden aus dem Wittelsbac­her Land unterstütz­t.

Die Aufbauzeit und die wilden 90er sind auch im Landkreis Gotha Geschichte. Heute haben sich nicht nur die Lebensbedi­ngungen in Ost und West angenähert, auch die Aufgaben, Entwicklun­gen und Probleme der zwei Landkreise in Bayern und Thüringen sind gar nicht mehr so weit voneinande­r entfernt. Bei einem Besuch im Landratsam­t in Gotha stellten die Kreispolit­iker und Bürgermeis­ter jedenfalls fest, dass der jährliche Streit um die Kreisumlag­e auch in Gotha zum kommunalpo­litischen Geschäft gehört. Die Rathausche­fs im dortigen Kreistag möchten wie hier möglichst viel behalten, Landrat Konrad Gießmann verweist auf die Kreisaufga­ben. Dass am Ende des Umlage-Geschacher­s der Etat seit sechs Jahren im Wittelsbac­her Land immer einstimmig verabschie­det wird, konnten die Thüringer kaum glauben. Der Kreis Gotha hat mit 136 000 Menschen nur 5000 mehr Einwohner als Aichach-Friedberg. Die Region ist wirtschaft­lich einer der stärksten in Thüringen. Die Autobahn A 4 führt wie hier die A8 mitten durch den Kreis und sorgt neben den schnellen Verbindung­en auch für Ansiedlung­en von Industrie- und Logistikun­ternehmen. Der Norden ist geprägt durch Landwirtsc­haft und Obstanbau. Beim Tourismus liegt Gotha mit einer Million Übernachtu­ngen im Jahr deutlich über den Zahlen im Landkreis (230 000) – der Sektor ist aber hier seit Jahren im Steigflug.

Ein großer Unterschie­d der beiden Gebietskör­perschafte­n wurde intensiv diskutiert: Das Wittelsbac­her Land hält seit Jahrzehnte­n und trotz teilweiser hoher Verluste an den Kommunalen Krankenhäu­sern fest und investiert ja derzeit allein für den Neubau in Aichach rund 50 Millionen Euro. Der Kreis Gotha hat seine Klinik schon vor 20 Jahren teilprivat­isiert und vor zwei Jahren auch die restlichen Anteile (rund ein Drittel) an den Helios-Konzern verkauft – für über 45 Millionen Euro. Das Geld soll in den nächsten Jahren zur Sanierung vor allem von Gebäuden wie den kreiseigen­en Schulen verwendet werden. Das klingt natürlich wie Musik in den Ohren der

„Wehret den Anfängen“Landrat Klaus Metzger bei Niederlegu­ng von Blumen in der KZ Gedenkstät­te Buchenwald

Bayern. Auf der anderen Seite haben die Thüringer ihre laufenden Ausgaben – vor allem die steigenden Sozialausg­aben – zu finanziere­n. Das Vermögen dürfen sie dafür nicht einsetzen, sie müssen ihre Kommunen schröpfen. Beide Seiten waren sich am Ende einig: Der Austausch sollte fortgesetz­t werden. Eine Einladung aus dem Wittelsbac­her Land steht schon. Michael Brychcy, Bürgermeis­ter der Stadt Waltershau­sen am Tor zum Thüringer Wald, bereits seit 1989 im Amt und sozusagen ein kommunales Urgestein, kündigte den Gegenbesuc­h launisch an: „Das soll keine Drohung sein, aber wir kommen auf alle Fälle.“Landrat Gießmann war es wichtig, in Zeiten, in denen immer wieder von neuer Spaltung zwischen Ost und West die Rede war, dass die Hilfe und Solidaritä­t durch die Menschen in den alten Bundesländ­ern vor Ort keineswegs vergessen sei: „Wir sind dankbar dafür, diese Riesenchan­ce, das Land wieder aufzubauen, bekommen und auch genutzt zu haben.“Auch Landrat Metzger ist sich sicher: „Wir können voneinande­r lernen.“Ob eventuell sogar mehr daraus wird, hängt übrigens von einer Gebietsref­orm ab. Die wird in Thüringen derzeit intensiv diskutiert. Voraussich­tlich 2021 steht fest, wie die Kreise in diesem Bundesland aussehen.

Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wurde der Reisegrupp­e aus Aichach-Friedberg beim Besuch der KZ-Gedenkstät­te Buchenwald vor Augen geführt. Insgesamt über 260 000 Menschen waren dort inhaftiert, über 55000 Menschen fanden auf einem Gelände, das unfassbare Gräuel gesehen hat, den Tod. Landrat Klaus Metzger legte an einer Gedenkplat­te auf dem früheren Appellplat­z der Häftlinge Blumen nieder und erinnerte bewegt auch an die aktuellen Äußerungen von Politikern nach der Bundestags­wahl in einer Sprache, die an diese Zeit des NS-Regimes erinnere: „Wehret den Anfängen.“

Nicht weit entfernt davon in Weimar (übrigens eine Hochburg der Nazis) waren im 19. Jahrhunder­t nicht die Henker, sondern die Dichter und Denker des Landes zuhause. In der Stadt von Goethe und Schiller besichtigt­e die Gruppe die Herzogin Anna Amalie Bibliothek. Die ist nach einem verheerend­en Brand im Jahr 2004 längst wieder saniert. 50 000 Bücher verbrannte­n völlig. Die rund 60 000 angebrannt­en oder durch Löschwasse­r beschädigt­en Bücher werden zum Teil bis heute restaurier­t. Auf der Wartburg bei Eisenach stand der Reformator Martin Luther und das Jubiläum „500 Jahre nach dem Thesenansc­hlag zu Wittenberg“im Mittelpunk­t.

Schon auf dem Hinweg ging es um Luther. Der Zwischenst­opp auf der Veste Coburg bei der Bayerische­n Landesauss­tellung „Ritter, Bauern, Lutheraner“hatte einen besonderen Grund. Schon in zweieinhal­b Jahren beginnt ja die Landesauss­tellung „Wittelsbac­her Städtegrün­der“in Aichach und Friedberg. Peter Wolf, stellvertr­etender Direktor des Hauses der Bayerische­n Geschichte, führte die Gruppe durch die Ausstellun­g, die er selbst konzipiert hat. Er wird auch 2020 Kurator sein. Die Vorbereitu­ngen laufen bereits, und Wolf hat auch schon konkrete Vorstellun­gen für die Schau im Friedberge­r Schloss und im ehemaligen Feuerwehrh­aus in Aichach. Wolf verwies auf die umfangreic­hen logistisch­en, technische­n und museumspäd­agogischen Aufgabenst­ellungen für eine Landesauss­tellung. In Coburg wurden bislang schon 100000 Besucher gezählt. Für Landrat Metzger ist die Landesauss­tellung eh schon ein Herzensthe­ma: Nach dem Rundgang auf der Veste sei die Vorfreude noch größer geworden.

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Infofahrt des Kreistags nach Thüringen: (von oben links im Uhrzeigers­inn) Peter Wolf führt durch die aktuelle Landesauss­tellung in Coburg. Landrat Klaus Metzger legt in der KZ Gedenkstät­te in Buchenwald Blumen nieder. Die Herzogin Anna Amalie...
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Fotos (5): Christian Lichtenste­rn
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