Wittelsbacher im grünen Herzen Deutschlands
Kreisräte, Bürgermeister und Verwaltung besuchen Thüringen. Beim Austausch mit Kommunalpolitikern aus dem Landkreis Gotha werden Erinnerungen an früheren Partner wach und auch wie sich Ost und West angenähert haben
Gotha/Aichach Das Wittelsbacher Land bezeichnet sich gern als „Wiege Bayerns“. Der Landkreis Gotha wirbt für sich mit seiner Lage im grünen Herzen Deutschlands. Bei einer Fahrt haben sich jetzt Kreisräte, Bürgermeister und Mitarbeiter der Kreisverwaltung im Vorfeld des Tages der Deutschen Einheit informiert, wie sich der Landkreis im westlichen Thüringen seit der Wende vor fast drei Jahrzehnten entwickelt hat. Neben einem Austausch mit Landrat und Kreispolitikern in Gotha standen Besuche der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, der Wartburg sowie der Städte Erfurt und Weimar auf dem Programm der viertägigen Reise, die nahezu jedes Jahr stattfindet und von den Kommunalpolitikern aus der eigenen Tasche bezahlt wird.
Schon mehrmals hat eine Delegation aus Aichach-Friedberg so eine Informationsfahrt in die neuen Bundesländer seit dem Mauerfall angetreten, zuletzt 2003. Vor acht Jahren endete aber die Partnerschaft des Wittelsbacher Landes mit einem Landkreis aus Sachsen sozusagen mit einem Begräbnis fünfter Klasse: In einem formlosen Schreiben verabschiedete sich der Landkreis Meißen von Aichach-Friedberg. „Ruhe sanft“, so die Kommentare im Kreistag, nachdem der damalige Landrat Christian Knauer den Brief verlesen hatte. Hintergrund war die zweite Gebietsreform im Bundesland seit der Wende. Aus dem Partnerkreis Großenhain wurde zunächst Riesa-Großenhain und der wiederum später Teil des neuen Landkreises Meißen. Der hatte dann eine Vielpartnerschaft mit gleich sechs Kreisen aus den alten Bundesländern und reichte mehrere Scheidungspapiere ein. Im Kreistag war damals Enttäuschung zu spüren, schließlich waren Kontakte geknüpft worden und auch Beziehungen zwischen Vereinen entstanden. Auch Bürger aus dem Raum Riesa und Großenhain beschwerten sich in Leserbriefen über die stillose Trennung. Hilfe gab es aus AichachFriedberg für die Region seit Anfang der 90er Jahre nicht nur auf kommunaler und Verwaltungsebene, sondern insbesondere auch beim Elbe-Hochwasser 2002. Die betroffenen Bürger und Gemeinden wurden durch Feuerwehrleute und durch Spenden aus dem Wittelsbacher Land unterstützt.
Die Aufbauzeit und die wilden 90er sind auch im Landkreis Gotha Geschichte. Heute haben sich nicht nur die Lebensbedingungen in Ost und West angenähert, auch die Aufgaben, Entwicklungen und Probleme der zwei Landkreise in Bayern und Thüringen sind gar nicht mehr so weit voneinander entfernt. Bei einem Besuch im Landratsamt in Gotha stellten die Kreispolitiker und Bürgermeister jedenfalls fest, dass der jährliche Streit um die Kreisumlage auch in Gotha zum kommunalpolitischen Geschäft gehört. Die Rathauschefs im dortigen Kreistag möchten wie hier möglichst viel behalten, Landrat Konrad Gießmann verweist auf die Kreisaufgaben. Dass am Ende des Umlage-Geschachers der Etat seit sechs Jahren im Wittelsbacher Land immer einstimmig verabschiedet wird, konnten die Thüringer kaum glauben. Der Kreis Gotha hat mit 136 000 Menschen nur 5000 mehr Einwohner als Aichach-Friedberg. Die Region ist wirtschaftlich einer der stärksten in Thüringen. Die Autobahn A 4 führt wie hier die A8 mitten durch den Kreis und sorgt neben den schnellen Verbindungen auch für Ansiedlungen von Industrie- und Logistikunternehmen. Der Norden ist geprägt durch Landwirtschaft und Obstanbau. Beim Tourismus liegt Gotha mit einer Million Übernachtungen im Jahr deutlich über den Zahlen im Landkreis (230 000) – der Sektor ist aber hier seit Jahren im Steigflug.
Ein großer Unterschied der beiden Gebietskörperschaften wurde intensiv diskutiert: Das Wittelsbacher Land hält seit Jahrzehnten und trotz teilweiser hoher Verluste an den Kommunalen Krankenhäusern fest und investiert ja derzeit allein für den Neubau in Aichach rund 50 Millionen Euro. Der Kreis Gotha hat seine Klinik schon vor 20 Jahren teilprivatisiert und vor zwei Jahren auch die restlichen Anteile (rund ein Drittel) an den Helios-Konzern verkauft – für über 45 Millionen Euro. Das Geld soll in den nächsten Jahren zur Sanierung vor allem von Gebäuden wie den kreiseigenen Schulen verwendet werden. Das klingt natürlich wie Musik in den Ohren der
„Wehret den Anfängen“Landrat Klaus Metzger bei Niederlegung von Blumen in der KZ Gedenkstätte Buchenwald
Bayern. Auf der anderen Seite haben die Thüringer ihre laufenden Ausgaben – vor allem die steigenden Sozialausgaben – zu finanzieren. Das Vermögen dürfen sie dafür nicht einsetzen, sie müssen ihre Kommunen schröpfen. Beide Seiten waren sich am Ende einig: Der Austausch sollte fortgesetzt werden. Eine Einladung aus dem Wittelsbacher Land steht schon. Michael Brychcy, Bürgermeister der Stadt Waltershausen am Tor zum Thüringer Wald, bereits seit 1989 im Amt und sozusagen ein kommunales Urgestein, kündigte den Gegenbesuch launisch an: „Das soll keine Drohung sein, aber wir kommen auf alle Fälle.“Landrat Gießmann war es wichtig, in Zeiten, in denen immer wieder von neuer Spaltung zwischen Ost und West die Rede war, dass die Hilfe und Solidarität durch die Menschen in den alten Bundesländern vor Ort keineswegs vergessen sei: „Wir sind dankbar dafür, diese Riesenchance, das Land wieder aufzubauen, bekommen und auch genutzt zu haben.“Auch Landrat Metzger ist sich sicher: „Wir können voneinander lernen.“Ob eventuell sogar mehr daraus wird, hängt übrigens von einer Gebietsreform ab. Die wird in Thüringen derzeit intensiv diskutiert. Voraussichtlich 2021 steht fest, wie die Kreise in diesem Bundesland aussehen.
Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wurde der Reisegruppe aus Aichach-Friedberg beim Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald vor Augen geführt. Insgesamt über 260 000 Menschen waren dort inhaftiert, über 55000 Menschen fanden auf einem Gelände, das unfassbare Gräuel gesehen hat, den Tod. Landrat Klaus Metzger legte an einer Gedenkplatte auf dem früheren Appellplatz der Häftlinge Blumen nieder und erinnerte bewegt auch an die aktuellen Äußerungen von Politikern nach der Bundestagswahl in einer Sprache, die an diese Zeit des NS-Regimes erinnere: „Wehret den Anfängen.“
Nicht weit entfernt davon in Weimar (übrigens eine Hochburg der Nazis) waren im 19. Jahrhundert nicht die Henker, sondern die Dichter und Denker des Landes zuhause. In der Stadt von Goethe und Schiller besichtigte die Gruppe die Herzogin Anna Amalie Bibliothek. Die ist nach einem verheerenden Brand im Jahr 2004 längst wieder saniert. 50 000 Bücher verbrannten völlig. Die rund 60 000 angebrannten oder durch Löschwasser beschädigten Bücher werden zum Teil bis heute restauriert. Auf der Wartburg bei Eisenach stand der Reformator Martin Luther und das Jubiläum „500 Jahre nach dem Thesenanschlag zu Wittenberg“im Mittelpunkt.
Schon auf dem Hinweg ging es um Luther. Der Zwischenstopp auf der Veste Coburg bei der Bayerischen Landesausstellung „Ritter, Bauern, Lutheraner“hatte einen besonderen Grund. Schon in zweieinhalb Jahren beginnt ja die Landesausstellung „Wittelsbacher Städtegründer“in Aichach und Friedberg. Peter Wolf, stellvertretender Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, führte die Gruppe durch die Ausstellung, die er selbst konzipiert hat. Er wird auch 2020 Kurator sein. Die Vorbereitungen laufen bereits, und Wolf hat auch schon konkrete Vorstellungen für die Schau im Friedberger Schloss und im ehemaligen Feuerwehrhaus in Aichach. Wolf verwies auf die umfangreichen logistischen, technischen und museumspädagogischen Aufgabenstellungen für eine Landesausstellung. In Coburg wurden bislang schon 100000 Besucher gezählt. Für Landrat Metzger ist die Landesausstellung eh schon ein Herzensthema: Nach dem Rundgang auf der Veste sei die Vorfreude noch größer geworden.