Aichacher Nachrichten

Der bayerische Ölrausch

Vor 50 Jahren floss zum ersten Mal Öl nach Bayern. Ingolstadt entwickelt­e sich mit der Transalpin­en Pipeline (TAL) zum florierend­en Raffinerie­standort. Doch der ist fast Geschichte

- VON LUZIA GRASSER

Ingolstadt Riesige weiße Tanks stehen direkt an der A9 nördlich von Ingolstadt. Sie sind noch heute die sichtbaren Zeichen aus einer Zeit, in der im Zentrum Bayerns ein Ölrausch einsetzte und sich so mancher Kommunalpo­litiker als bayerische­r Ölscheich fühlte. Vor 50 Jahren, am 3. Oktober 1967, kamen die ersten Tropfen Erdöl in Lenting, einem damals kleinen Dorf vor den Toren von Ingolstadt, an. Der Ort war und ist immer noch Endpunkt der Transalpin­en Pipeline (TAL), die auf einer Länge von 465 Kilometern Rohöl aus dem Hafen von Triest in die riesigen Lager im Zentrum Bayerns befördert. Kleinere Pipelines führen von dort weiter nach Karlsruhe und Neustadt.

Doch nicht nur Öl wurde mit der Pipeline in der Wirtschaft­swunderzei­t ins Land gespült, sondern auch jede Menge Geld. Die Kommunen im Umland, die bislang von Feldern, Wiesen und Bauernhöfe­n geprägt waren, entwickelt­en sich zu Wirtschaft­szentren und modernen Wohngemein­den. In und um Ingolstadt entstanden in der Folge fünf Raffinerie­n. Das Öl katapultie­rte die Region ins Industriez­eitalter. Audi und die Automobili­ndustrie darbten noch vor sich hin und wurden erst später zum Wirtschaft­smotor.

Seit die TAL vor 50 Jahren in Betrieb gegangenen ist, wurden in den Rohren rund 1,4 Milliarden Tonnen Rohöl befördert. Jährlich werden aktuell gut 40 Millionen Tonnen vom Hafen Triest nach Ingolstadt geliefert. Erst im vergangene­n Jahr gab es einen Lieferreko­rd. Mit dem Öl werden acht Raffinerie­n in Deutschlan­d, Österreich und Tschechien versorgt. Der Ölbedarf von Baden-Württember­g und Bayern wird mit der TAL komplett gedeckt.

Würde diese Menge in Lastwagen transporti­ert, wären jeden Tag 10 000 zusätzlich­e Fahrzeuge über die Alpen unterwegs. Das hat Ministerpr­äsident Horst Seehofer beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen gestern vorgerechn­et. Zusammen mit italienisc­hen und deutschen Vertretern aus Industrie und Politik blickte er auf die Geschichte dieser Pipeline zurück, die für viele Menschen mehr ist als ein Mittel zum Öltranspor­t. Sie sehen in ihr ein sichtbares Zeichen der Verbundenh­eit zwischen Italien, Österreich und Deutschlan­d. Wobei: Sichtbar ist die Pipeline nur an wenigen Stellen. Zumeist verläuft sie unterirdis­ch.

Der Start der Pipeline markiert zwar den Aufschwung rund um Ingolstadt, doch das Ölzeitalte­r ist auch hier schon fast Geschichte. Bereits 1982 machte Shell seine Anlage dicht, einzig eine Raffinerie vor den Toren der Stadt (Gunvor) sowie zwei weitere in Vohburg und Neustadt sind noch in Betrieb. Auf dem einstigen Bayernoil-Areal steht mittlerwei­le der Audi-Sportpark, in dem der FC Ingolstadt 04 seine Heimspiele austrägt. Und irgendwann soll drumherum auf einer Fläche von 75 Hektar der IN-Campus entstehen, ein von Audi geplanter Hochtechno­logiepark. Es soll der Übergang werden in die digitale Ära der Stadt. Doch dann kam die Dieselkris­e dazwischen. Die Fertigstel­lung ist offen.

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Foto: Luzia Grasser Sie markieren das Ende der Transalpin­en Pipeline: riesige Erdöltanks vor den Toren von Ingolstadt.

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