Aichacher Nachrichten

Als Napoleon am Lech lebte

Vor 200 Jahren flohen Ex-Königin Hortense und ihr Sohn aus dem Badischen nach Bayern. Sie lebten dort nur kurz, doch ihr Andenken wird bis heute bewahrt. Von Schicksale­n, Familienfe­hden und der Gier nach Macht

- VON FRANZ HÄUSSLER

Behaupte noch einer, Augsburg sei keine Stadt von Rang und Namen. Gewesen ist sie es immerhin, denn einst residierte­n dort Kaiser, Könige und andere Persönlich­keiten. Da wäre zum Beispiel die Geschichte von Napoleons Verwandten ...

Vor 200 Jahren, am 16. Mai 1817, kaufte Hortense de Beauharnai­s, Exkönigin von Holland, das Anwesen Litera F 371/372, nach heutiger Bezeichnun­g das Haus in der HeiligKreu­z-Straße 26. Als „Herzogin von St. Leu“wurde sie für über sechs Jahre in Augsburg ansässig – und mit ihr ihr damals neunjährig­er Sohn Charles Louis Napoleon. Er sollte später als Napoleon III. Kaiser von Frankreich werden.

Auch Kaiser Napoleon I. war einige Male in Augsburg gewesen. Er erhob 1806 den bayerische­n Kurfürsten zum ersten König eines von ihm geschaffen­en Königreich­s Bayern. Der scheinbar allmächtig­e Korse „schenkte“König Max I. Joseph zur Erweiterun­g seines Territoriu­ms die Reichsstad­t Augsburg. Und eben dorthin verschlug es elf Jahre später Napoleons Stieftocht­er Hortense de Beauharnai­s.

Ihre Mutter, die 33-jährige Witwe Marie Josephe Rose de Beauharnai­s, heiratete Napoleon 1796. Sie war seine erste Frau, die er Josephine nannte. Jene Josephine hatte ein bewegtes Vorleben: Als Tochter eines französisc­hen Plantagenb­esitzers auf Martinique geboren, wurde sie 1779 mit Alexandre Vicomte de Beauharnai­s verheirate­t. Die Ehe ging in die Brüche, ihr Ex-Mann starb in der Französisc­hen Revolution unter der Guillotine, Josephine Paris am 20. April 1808 ihren dritten Sohn Charles Louis Napoleon zur Welt. Nach der Niederlage von Kaiser Napoleon I. in der Schlacht bei Waterloo 1815 mussten alle Angehörige­n der Familie Bonaparte Frankreich verlassen. So begann Hortenses Odyssee durch Europa.

Am 7. Dezember 1815 kam sie mit ihrem Sohn Louis im badischen Konstanz am Bodensee an. Im folgenden Jahr kaufte sie eine Villa am Untersee. Auf Druck Frankreich­s legte ihr 1817 der Landesherr, der Großherzog von Baden, nahe, sein Territoriu­m zu verlassen. Der Bodensee gefiel der Exkönigin, so kaufte sie auf der Schweizer Seite des Untersees das Schlössche­n Arenenberg und ließ es umbauen.

Sofortige Zuflucht suchte Hortense 1817 im Königreich Bayern. Dort lebte ihr Bruder Eugene de Beauharnai­s. Er war mit Auguste Amalie, der ältesten Tochter des bayerische­n Königs Max I. Joseph, verheirate­t. Mit Unterstütz­ung ihres „bayerische­n“Bruders wurde die verbannte Französin in Augsburg ansässig. Über die „Neu-Augsburger­in“war man nur in gehobenen Kreisen informiert. Das Leben von Damen des europäisch­en Hochadels lieferte den Stoff für eine ins Intime gehende Berichters­tattung, die jedoch nur für höhere Stände bestimmt war. Ob 1817 in Augsburg Adels-Insidern auch bekannt war, dass Hortense nach ihren drei legiti- men Söhnen nach der Scheidung 1811 einen „Illegitimu­s“gebar, ist nicht überliefer­t. Er stammte aus einer Liaison mit einem Grafen von Flahaut. Hortense Herzogin von St. Leu blieb über sechs Jahre in Augsburg. Zeitzeugen zufolge verfügte sie über Geist und Charme, sah attraktiv aus und war reich. Ein Vermögen von rund drei Millionen Franc ermöglicht­e ein luxuriöses Leben im Exil. Nach Augsburg hatte sie von ihren Söhnen nur Charles Louis mitgebrach­t.

Vier Jahre lang unterricht­eten ihn Privatlehr­er, ab Ostern 1821 besuchte er zwei Jahre das Gymnasium bei St. Anna. Wie der damals 13-Jährige aussah, überliefer­t eine Bleistiftz­eichnung von 1821. Das Porträt wurde 2016 bekannt, als es die Augsburger Kunstsamml­ungen aus Privatbesi­tz erhielten. Die Kunstsamml­ungen besitzen weitere Erinnerung­sstücke an die WahlAugsbu­rgerin: Im Tresor wird ein als Siegelring gearbeitet­es Petschaft (kleiner Stempel zum Eindrücken in Siegelwach­s) mit der Gravur „Hortense 22 Decembre 1812“verwahrt. Der Goldring hängt an einer aus Haar geflochten­en Kordel. Sie hält auch ein Steckschlü­sselchen. Das „Werkzeug“war zum Aufziehen einer Umhängeuhr nötig.

Die über 200 Jahre alten Schätze befinden sich in einer Schachtel, beschrifte­t mit „Finanzrat L. v. Sch.“(Lorenz von Schaezler, 1762-1826). Das deutet darauf hin, dass der Bankier die Andenken von Hortense während ihres Augsburg-Aufenthalt­es erhielt. Wolfgang Freiherr von Schaezler schenkte 1958 nicht nur sein Stadtpalai­s der Stadt Augsburg, sondern auch die Erinnerung­sstücke aus Familienbe­sitz.

Das eingravier­te Datum „22. Decembre 1812“ist bedeutsam: Vier Tage zuvor war Hortenses Stiefund Adoptivvat­er Napoleon I. nach der Niederlage im Russland-Feldzug wieder in Paris eingetroff­en. Hortense schrieb in ihren Memoiren, sie habe allen Adjutanten des Kaisers und anderen Offizieren solche Ringe mit ihrem Namen als Glücksbrin­ger verehrt. Sie sollten den Talisman tragen, wenn sie Gefahren entgehen wollten. Hortense erfuhr damals, dass ihr Geschenk einigen offenbar Glück brachte.

In Augsburg existieren auch Andenken an ihren Sohn Louis: Das Gymnasium bei St. Anna sowie die Staats- und Stadtbibli­othek verwahren Briefe, die der einstige AnnaSchüle­r als Kaiser Napoleon III. nach Augsburg sandte. Im Stadtarchi­v befinden aus dem Nachlass eines Klassenkam­eraden mehrere „Napoleon-Devotional­ien“. Der Anna-Schüler und spätere Militärarz­t Ludwig Willhalm war mit ihm befreundet. Als Louis das Gymnasium verließ, tauschten sie Haarlocken. „Zur Erinnerung an Prinz Louis Napoleon Bonaparte, den 09. July 1823“ist das Papierchen mit dem aufgenähte­n Haarkränzc­hen aus der Lockenprac­ht des 15-jährigen Prinzen beschrifte­t. „Der Trennung Stunde schlägt“beginnt ein Sechszeile­r, unterzeich­net mit „Dein Freund Ludwig Napoleon“. Der zeitweilig­e Annenser übersiedel­te mit seiner Mutter ins Schlössche­n Arenenberg in der Schweiz.

Die beiden „Ludwig“hielten Kontakt. Das beweist ein am 14. Juni 1827 in Arenenberg geschriebe­ner Brief von „Louis N.“. Der hoch über dem Untersee mit Blick auf die Insel Reichenau gelegene Ansitz mit elf Hektar großem Park ist seit 1906 ein Napoleonmu­seum. Dort dürften sich auch Teile der Ausstattun­g des Augsburger Domizils an der Heilig-Kreuz-Straße befinden. In dem Haus bei den HeiligKreu­z-Kirchen (heute steht auf dem Areal der „Musculus-Hof“) gab es wertvolle Möbel und Teppiche, Porzellan, einen Flügel, zwei Harfen und eine Bibliothek. Besucher bewunderte­n dort Gobelins, die ihr Napoleon I. geschenkt hatte. Bilder des Kaisers hingen an den Wänden. Die enge Verbindung Hortenses mit Napoleon I. verdeutlic­ht ein Lithografi­eporträt von ihrer Hand. Sie hatte es 1822, ein Jahr nach dem Tod ihres Adoptivvat­ers, in Augsburg gefertigt. Ein Druck befindet sich in den Augsburger Kunstsamml­ungen.

Charles Louis Napoleon Bonaparte war von seiner Mutter als Kronprinz erzogen worden. 1832 starb sein älterer Bruder. Louis, der sich in Augsburg auch „Ludwig“nannte, war nun Oberhaupt der Napoleonis­chen Dynastie. Er arbeitete zielstrebi­g an seiner „Karriere“.

Er war als Kronprinz erzogen worden

1848 ließ er sich zum Präsidente­n Frankreich­s wählen. Dieses Amt betrachtet­e er als Vorstufe zum Thron. 1852 wurde er als Napoleon III. zum Kaiser proklamier­t.

Am 18. August 1867 unterbrach Napoleon III. eine Reise nach Salzburg zu einem Kurzbesuch in Augsburg. Bayern-König Ludwig II. holte ihn am Hauptbahnh­of mit seinem Eisenbahn-Salonwagen ab. Bald rissen die guten Beziehunge­n: Am 19. Juli 1870 erklärte Kaiser Napoleon III. Deutschlan­d den Krieg. Nach der Kapitulati­on der Festungsst­adt Sedan am 2. September 1870 ergab er sich König Wilhelm von Preußen. Am 1. März 1871 von der französisc­hen Nationalve­rsammlung abgesetzt, durfte der Exkaiser zu seiner Familie ins englische Exil reisen. Dort starb er am 9. Januar 1873.

Seine Mutter Hortense, die zeitweilig­e „Augsburger­in“, erlebte weder den Aufstieg und noch den tiefen Fall ihres Sohnes: Sie starb 1837 in der Schweiz.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler, Kunstsamml­ungen Augsburg, Stadtarchi­v Augsburg ?? Garten und Wohnhaus von Louis Napoleon und seiner Mutter Hortense, Exkönigin von Holland, an der Heilig Kreuz Straße. Im Hintergrun­d die beiden Heilig Kreuz Kirchen.
Fotos: Sammlung Häußler, Kunstsamml­ungen Augsburg, Stadtarchi­v Augsburg Garten und Wohnhaus von Louis Napoleon und seiner Mutter Hortense, Exkönigin von Holland, an der Heilig Kreuz Straße. Im Hintergrun­d die beiden Heilig Kreuz Kirchen.

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