Vergewaltigung am Heiligen Abend
Der Täter filmt die Szenen und droht, Videos an die Familie des Opfers nach Afghanistan zu schicken. Warum er dennoch Bewährung bekommt
Es ist der 24. Dezember 2016. Heilig Abend, 18 Uhr. In dem Augsburger Hochhaus werden in vielen Wohnungen die Kerzen an den Christbäumen angezündet, Geschenke ausgepackt, gefeiert. In einer Wohnung allerdings ist die Stimmung alles andere als friedlich. Ein Mann, 52, demütigt und vergewaltigt eine Frau – eine Afghanin. Er filmt alle Szenen mit dem Handy und droht, die Videos an die Familie des Opfers zu schicken. Eine brutale „Erpressung“. Denn in dem Heimatland der Frau gilt eine Vergewaltigung als Beschmutzung der Familienehre, als Schande. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International droht solchen Opfern sogar der „Ehrenmord“. Ein Schöffengericht unter Vorsitz von Rita Greser hatte sich jetzt mit dem ungewöhnlichen Fall zu befassen.
Der Angeklagte, in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren, der seit über 20 Jahren in Deutschland lebt, hatte die 20 Jahre jüngere Frau im Juli 2016 bei einer Hochzeitsfeier kennengelernt. Es kam of- fenbar zu einer losen Beziehung. Er begleitete sie auf Behördengängen, verliebte sich in sie. Doch die Frau erwiderte offenbar nicht seine Liebe. Am Heiligen Abend traf man sich in der Wohnung des Mannes. Der Angeklagte behauptet: „Wir wollten ein neues Leben beginnen – gemeinsam“. Doch es kam zu einem Streit. „Dann hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle“, begründet der 52-Jährige im Prozess das nun folgende für die Frau schlimme Geschehen: Er zwang seine Bekannte, sich auszuziehen, filmte die Szene mit dem Handy. Sie bedeckte ihren Körper mit einer Decke, die er wegriss. Sie hielt die Hände vors Gesicht, er drückte diese weg. Und dann forderte er Sex, drohte, die Nacktaufnahmen ihrer Familie in Afghanistan zu schicken. Im Schlafzimmer vergewaltigte er dann die weinende Frau, filmte auch diesen Missbrauch. Am folgenden Weihnachtstag wird der Mann festgenommen, kommt in Haft. Zwei Handys mit den Videos werden beschlagnahmt.
Auf Anregung von Verteidiger Omid Waselzada kommt es zu einer Verfahrensabsprache mit dem Gericht und Staatsanwältin Katja Baues. Der Angeklagte gesteht, beteuert, er bereue alles. Der „Deal“kürzt zwar die Verhandlung ab, erspart der Frau eine detaillierte Aussage über das Geschehen, die komplizierten rechtlichen Vorschriften müssen dem Angeklagten aber langatmig über einen Dolmetscher erklärt werden. Die offenbar traumatisierte Afghanin, die draußen vor dem Sitzungssaal wartet, hat zunächst sichtlich Angst vor der Aussage. Sie weint, ist halbkrank, wird betreut. Als Richterin Greser ihr sagt, der Angeklagte habe gestanden, beruhigt sie sich. „Mir geht es nicht gut. Ich bin in Behandlung“, schildert sie ihren seelischen Zustand. Über ihre Beziehung zum Angeklagten sagt sie: „Er hat sich in mich verliebt, ich nicht“. Ihre große Sorge ist, dass die beschlagnahmten Videos doch noch in die Hände des Angeklagten geraten. Die Bilder würden, so beruhigt die Richterin, vernichtet. Der Angeklagte entschuldigt sich: „Bitte verzeih mir. Ich werde dich in Ruhe lassen“.
Im Zuge der Verfahrensabsprache haben Verteidiger Waselzada und Opferanwältin Barbara Kaniuka auch einen Vergleich abgeschlossen. Noch im Gerichtssaal übergibt der Anwalt seiner Kollegin 2000 Euro bar als Teilzahlung der im Deal abgesprochenen 5000 Euro Schmerzensgeld. Außerdem verpflichtet sich der Angeklagte, 3300 Euro geliehenes Geld an die Frau zurückzuzahlen.
Wie in Aussicht gestellt, verurteilt das Schöffengericht den 52-Jährigen wegen Vergewaltigung und „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen“zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Er muss insgesamt 5000 Euro Schmerzensgeld zahlen und sich an ein striktes Kontaktverbot halten, da er aus der Haft entlassen wird. Das bedeutet: keine Anrufe, keine Mails, keine SMS, keine persönliche Annäherung. Das Opfer lebt inzwischen an einem geheim gehaltenen Ort.
Das Opfer ist in Behandlung