Schäuble: „Prügeln sollten wir uns hier nicht“
Neuer Bundestagspräsident fordert fairen Umgang. Dann gibt es den ersten Eklat
Berlin Als Wolfgang Schäuble 1972 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, war fast alles anders. Es gab nur drei Parteien im Parlament, Willy Brandt war Kanzler und der Kalte Krieg in vollem Gange. Eine Gemeinsamkeit zur heutigen Zeit hat der CDU-Politiker, der gestern zum Präsidenten des neuen Bundestags gewählt wurde, aber doch gefunden. Auch damals sei die Atmosphäre spannungsgeladen gewesen. Und heute? „Es gab in den vergangenen Monaten in unserem Land Töne der Verächtlichmachung und Erniedrigung. Das hat keinen Platz in einem zivilisierten Miteinander“, mahnt Schäuble in seiner Antrittsrede.
Auch wenn er die AfD-Abgeordneten, die im Plenarsaal ganz rechts Platz nehmen, nicht direkt anspricht, weiß jeder, wer mit seinem Appell gemeint ist, die parlamentarischen Regeln einzuhalten. Doch Schäuble will nicht nur als Mahner auftreten, sondern auch Zuversicht vermitteln. Er wisse aus eigenem Erleben, dass Erregung und Krisengefühle so neu nicht sind. Deshalb sehe er mit Gelassenheit den Auseinandersetzungen entgegen, „die wir in den kommenden Jahren führen werden“. Das Parlament habe diese Diskussionen „stellvertretend für die Gesellschaft“zu führen, die die Abgeordneten „eben auch in ihrer Vielheit und Verschiedenheit repräsentieren“. Alle 709 Abgeordneten des größten Bundestags aller Zeiten seien aus der Mitte der Bürgerinnen und Bürger gewählt. „Niemand aber, niemand vertritt alleine ,das‘ Volk.“Bei allem Streit, der emotional, sachlich und nachvollziehbar bleiben müsse, gelte es, Respekt füreinander zu haben und Fairness zu zeigen. „Prügeln sollten wir uns hier nicht.“Und wenn die Mehrheit einen Kompromiss gefunden habe, gehöre es zu den Regeln, diese nicht als „illegitim oder verräterisch oder sonst wie zu denunzieren“.
Der Einzug der AfD prägt die erste Sitzung. Deren Antrag, nicht den dienstältesten Abgeordneten, sondern den an Jahren ältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten zu wählen – der aus ihren Reihen käme –, lehnen die anderen Fraktionen geschlossen ab. Also eröffnete der 76-jährige FDP-Politiker Hermann Otto Solms die erste Sitzung der neuen Legislaturperiode. Auch er beschäftigte sich mit der AfD und warnte, „Sonderregelungen zu schaffen, auszugrenzen oder gar zu stigmatisieren“. Gleichzeitig nahm er die Abgeordneten der neuen Fraktion in die Pflicht: Demokratie bedeute, dass man mit Mehrheit entscheide, aber die Rechte von Minderheiten achte.
Bei der Wahl der Vizepräsidenten kommt es dann zum ersten Eklat, wie Bernhard Junginger in der Poli tik beschreibt. Und im Leitartikel erklärt Walter Roller, worauf es im neuen Bundestag ankommen wird.
„Verächtlichmachung und Erniedrigung: Das hat keinen Platz in einem zivilisierten Miteinander.“
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble