Aichacher Nachrichten

Großer Architekt für kleine Kirche

Evangelisc­he Kirchengem­einde Aichach fand einst einen berühmten Planer für ihr neues Gotteshaus

- VON ANTON MAYR Foto: Aichacher Ansichten, Wolfgang Brandner und Horst Lechner, Repro Anton Mayr

Aichach Eine Größe der Architektu­rkunst hat die kleine evangelisc­he Kirche in Aichach gebaut: Professor German Bestelmeye­r. Mitglied Karsten Schnase berichtete beim Geschichts­stammtisch des Aichacher Heimatvere­ins im Gasthaus Specht über seine Nachforsch­ungen über den Erbauer der Paul-Gerhardt-Kirche, die vor bald 90 Jahren eingeweiht worden war.

Die evangelisc­hen Kirchenobe­ren in Aichach hatten sich in den 1920er-Jahren an einen zu der Zeit schon sehr renommiert­en Architekte­n gewandt. Lang genug hatte es gedauert. 1860 hatte sich der erste Protestant in Aichach niedergela­ssen. Als die Menschen evangelisc­hen Glaubens mehr wurden, hielten Reisepfarr­er Gottesdien­ste ab – zunächst in einem Raum im Rathaus, später im Steubhaus. 1906 gründeten die Evangelisc­hen in Aichach einen Verein mit dem Ziel, eine Kirche zu bauen. Es wurde Geld gesammelt, das die Inflation 1923 vernichtet­e. Die Aichacher ließen sich nicht unterkrieg­en und begannen erneut mit den Planungen. Heute ist nicht mehr bekannt, wer die Verbindung zu dem bekannten Architekte­n hergestell­t hatte. Tatsache ist laut Schnase, dass Professor Bestelmeye­r die Aichacher Kirche plante und bei der Einweihung am 15. Juli 1928 persönlich anwesend war. Die Aichacher Baufirma Gottlieb Schmid hatte die Bauarbeite­n ausgeführt. Der Kostenvora­nschlag lautete auf 33 000 Reichsmark (RM), die endgültige­n Kosten betrugen 49 000 RM. Der Architekt wollte ein Honorar von 4500 haben, bekam aber nur 3000 RM.

Professor Bestelmeye­r entstamm- te dem evangelisc­hen Großbürger­tum in Nürnberg. Dort wurde er am 8. Juni 1874 geboren. Er studierte Architektu­r an der TH München bei Professor Friedrich von Thiersch, dem er 1922 als Professor nachfolgen sollte. 1897 schloss Bestelmeye­r als bester Absolvent sein Studium mit einer Note von 1,8 ab. Danach beschloss Bestelmeye­r, Beamter zu werden. Nach Referendar- und Assessorja­hren fand er Anstellung­en als Regierungs­baumeister in Nürnberg, Regensburg und München.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts war ein zeitgemäße­r, nationaler Stil gesucht worden. Herausgeko­mmen als Baustil, so der Referent, sei ein Historismu­s in allen Formen: Neogotik, Neoromanti­k, Neobarock und alle denkbaren Mischforme­n. Man spreche vom Münchner Heimatstil. Bestelmeye­r habe ab 1927 seinen charakteri­stischen Stil gefunden, den Reduktions­stil. Er habe 30 Kirchen geplant, davon seien 18 gebaut worden. Seine Besonderhe­it sei die Verbindung­slö- sung von Langhaus und Turm gewesen. Diese Verbindung sei, so Referent Schnase, am besten in Aichach getroffen. Aber auch die Melanchtho­nkirche in Nürnberg sei dafür ein gutes Beispiel.

Den ersten karrierebe­stimmenden Großauftra­g erhielt Bestelmeye­r weit früher. Von 1906 bis 1910 baute er die Erweiterun­g der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. Dadurch wurde er zum königliche­n Bauamtmann ernannt. 1910 erfolgte seine Berufung als Professor an die Technische Hochschule Dresden und an die dortige Kunstakade­mie, 1915 in gleicher Eigenschaf­t nach Berlin. 1924 wurde er Professor an der Kunstakade­mie München und Präsident der Akademie der Bildenden Künste.

30 Großbauten konnte Bestelmeye­r ausführen, darunter von 1914 bis 1919 Neubauten am Germanisch­en Nationalmu­seum in Nürnberg, am Deutschen Museum in München (Bibliothek, Flügelbaut­en und Kongresssa­al), das erste Hochhaus in Leipzig, das heutige Wirtschaft­sministeri­um in der Prinzregen­tenstraße in München, die Mangfallbr­ücke und das Germanisch­e Museum der Harvard University Cambridge (USA).

An diesen Architekte­n traten die Aichacher in den 1920er-Jahren heran, ihnen eine Kirche (größere Kapelle) zu bauen. Bestelmeye­r tat es und sah schon von Anfang an eine Erweiterun­g vor, die 1955 realisiert wurde. Nach der Erweiterun­g sei aus dem Zeltdach ein Walmdach geworden, so Schnase, und die Aichacher evangelisc­he Kirchengem­einde schließlic­h 1958 eine selbststän­dige Gemeinde.

German Bestelmeye­r ist am 30. Juni 1942 in Bad Wiessee gestorben.

 ??  ?? Professor German Bestelmeye­r hat die evangelisc­he Kirche in Aichach geplant. So sah die Paul Gerhardt Kirche in Aichach am Tag der Einweihung am 15. Juli 1928 aus.
Professor German Bestelmeye­r hat die evangelisc­he Kirche in Aichach geplant. So sah die Paul Gerhardt Kirche in Aichach am Tag der Einweihung am 15. Juli 1928 aus.
 ?? Repro: Karsten Schnase ?? Architekt Professor German Bestelmeye­r (1874 – 1942) als Dekan der Architek turfakultä­t der Technische­n Hochschule München.
Repro: Karsten Schnase Architekt Professor German Bestelmeye­r (1874 – 1942) als Dekan der Architek turfakultä­t der Technische­n Hochschule München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany