Großer Architekt für kleine Kirche
Evangelische Kirchengemeinde Aichach fand einst einen berühmten Planer für ihr neues Gotteshaus
Aichach Eine Größe der Architekturkunst hat die kleine evangelische Kirche in Aichach gebaut: Professor German Bestelmeyer. Mitglied Karsten Schnase berichtete beim Geschichtsstammtisch des Aichacher Heimatvereins im Gasthaus Specht über seine Nachforschungen über den Erbauer der Paul-Gerhardt-Kirche, die vor bald 90 Jahren eingeweiht worden war.
Die evangelischen Kirchenoberen in Aichach hatten sich in den 1920er-Jahren an einen zu der Zeit schon sehr renommierten Architekten gewandt. Lang genug hatte es gedauert. 1860 hatte sich der erste Protestant in Aichach niedergelassen. Als die Menschen evangelischen Glaubens mehr wurden, hielten Reisepfarrer Gottesdienste ab – zunächst in einem Raum im Rathaus, später im Steubhaus. 1906 gründeten die Evangelischen in Aichach einen Verein mit dem Ziel, eine Kirche zu bauen. Es wurde Geld gesammelt, das die Inflation 1923 vernichtete. Die Aichacher ließen sich nicht unterkriegen und begannen erneut mit den Planungen. Heute ist nicht mehr bekannt, wer die Verbindung zu dem bekannten Architekten hergestellt hatte. Tatsache ist laut Schnase, dass Professor Bestelmeyer die Aichacher Kirche plante und bei der Einweihung am 15. Juli 1928 persönlich anwesend war. Die Aichacher Baufirma Gottlieb Schmid hatte die Bauarbeiten ausgeführt. Der Kostenvoranschlag lautete auf 33 000 Reichsmark (RM), die endgültigen Kosten betrugen 49 000 RM. Der Architekt wollte ein Honorar von 4500 haben, bekam aber nur 3000 RM.
Professor Bestelmeyer entstamm- te dem evangelischen Großbürgertum in Nürnberg. Dort wurde er am 8. Juni 1874 geboren. Er studierte Architektur an der TH München bei Professor Friedrich von Thiersch, dem er 1922 als Professor nachfolgen sollte. 1897 schloss Bestelmeyer als bester Absolvent sein Studium mit einer Note von 1,8 ab. Danach beschloss Bestelmeyer, Beamter zu werden. Nach Referendar- und Assessorjahren fand er Anstellungen als Regierungsbaumeister in Nürnberg, Regensburg und München.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war ein zeitgemäßer, nationaler Stil gesucht worden. Herausgekommen als Baustil, so der Referent, sei ein Historismus in allen Formen: Neogotik, Neoromantik, Neobarock und alle denkbaren Mischformen. Man spreche vom Münchner Heimatstil. Bestelmeyer habe ab 1927 seinen charakteristischen Stil gefunden, den Reduktionsstil. Er habe 30 Kirchen geplant, davon seien 18 gebaut worden. Seine Besonderheit sei die Verbindungslö- sung von Langhaus und Turm gewesen. Diese Verbindung sei, so Referent Schnase, am besten in Aichach getroffen. Aber auch die Melanchthonkirche in Nürnberg sei dafür ein gutes Beispiel.
Den ersten karrierebestimmenden Großauftrag erhielt Bestelmeyer weit früher. Von 1906 bis 1910 baute er die Erweiterung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dadurch wurde er zum königlichen Bauamtmann ernannt. 1910 erfolgte seine Berufung als Professor an die Technische Hochschule Dresden und an die dortige Kunstakademie, 1915 in gleicher Eigenschaft nach Berlin. 1924 wurde er Professor an der Kunstakademie München und Präsident der Akademie der Bildenden Künste.
30 Großbauten konnte Bestelmeyer ausführen, darunter von 1914 bis 1919 Neubauten am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, am Deutschen Museum in München (Bibliothek, Flügelbauten und Kongresssaal), das erste Hochhaus in Leipzig, das heutige Wirtschaftsministerium in der Prinzregentenstraße in München, die Mangfallbrücke und das Germanische Museum der Harvard University Cambridge (USA).
An diesen Architekten traten die Aichacher in den 1920er-Jahren heran, ihnen eine Kirche (größere Kapelle) zu bauen. Bestelmeyer tat es und sah schon von Anfang an eine Erweiterung vor, die 1955 realisiert wurde. Nach der Erweiterung sei aus dem Zeltdach ein Walmdach geworden, so Schnase, und die Aichacher evangelische Kirchengemeinde schließlich 1958 eine selbstständige Gemeinde.
German Bestelmeyer ist am 30. Juni 1942 in Bad Wiessee gestorben.