In der Rolle des Sängers
Tom Schilling war in Filmen wie „Oh Boy“zu sehen und gilt als einer der besten deutschen Schauspieler. Ob er auch singen kann?
In seiner umfangreichen Filmografie hat Tom Schilling schon lange bewiesen, dass er einer der besten deutschen Schauspieler seiner Generation ist. Ob in „Oh Boy“oder „Auf kurze Distanz“– Schilling verleiht seinen Figuren Tiefe, beißt sich an ihnen fest und kann auf einen reichen Schatz an darstellerischen Facetten zurückgreifen. Doch er spielt nicht nur vor der Kamera, er singt auch. Vor kurzem hat er mit der Band „The Jazz Kids“ein Album aufgenommen, mit dem er nun in der Augsburger Musikkantine zu Gast war.
Vor etwa 80 hauptsächlich weiblichen Zuhörerinnen singt er von Liebe, Freundschaft und Enttäuschungen – und spielt dabei recht überzeugend die Rolle des Sängers Tom Schilling, der musikalisch irgendwo zwischen Indie-Pop und 50er-Jahre-Chansons zu Hause ist. Gekonnt bewegt er sich über die Bühne, kokettiert mit kleinen Textlücken und rudimentären Gitarrenkenntnissen und dirigiert gedankenversunken die Jazz Kids, die Schilling wiederum durch ihre musikalische Expertise durch den Abend navigieren. Zu den ganz großen Musikern eines Formats wie Herbert Grönemeyer, der zunächst auch vor der Kamera und nicht am Mikrofon berühmt wurde, gehört Schilling sicherlich nicht. Doch anders als Fachkollegen wie Jan Josef Liefers ist er durchaus ein passabler und unterhaltsamer Sänger. Von kleinen Unsauberkeiten abgesehen kennt er die Stärken seiner Stimme, setzt textlich mal auf Melancholie, mal auf Humor und wirkt dabei auf sein Publikum sympathisch und bodenständig.
Die größte Stärke des Sängers Schilling steht allerdings mit ihm auf der Bühne. Die großartigen Musiker der Jazz Kids halten sich bei Bedarf im Hintergrund, setzen durch groovige und verspielte Improvisationen aber auch immer wieder Schlaglichter, mit denen sie einen Gegenpart zum Gesang schaffen. Immer wieder bedienen sie sich Klangfarben, die an die Musik der späten 70er und frühen 80er Jahre erinnern. Zusammengefunden haben Band und Sänger durch den Film „Oh Boy“, der 2012 in die Kinos kam. Die Jazz Kids steuerten den Soundtrack zum Film bei. Für die Produktion von „Vilnius“taten sich Schilling und die Band noch einmal zusammen. Anders als so oft ist es eben kein zusammengewürfelter Haufen Profimusiker, die abgestellt wurden, um den Schauspielstar auf der Bühne in einem guten Licht dastehen zu lassen. Es wirkt, als hätten alle Akteure einen Draht zueinander, eine Harmonie, die auch beim Publikum gut ankommt.
Es mag daran liegen, dass Tom Schilling und die Jazz Kids erst ein gemeinsames Album aufgenommen haben, sodass die Band Coversongs in ihr Programm aufgenommen hat, um es etwas zu verlängern – doch die ausgewählten Lieder passen auch zu Schilling, dem neben der Unterhaltungskunst stets etwas Ernstes, Nachdenkliches anhaftet. „Kinder“von Bettina Wegner ist eines dieser Lieder, die Schilling mit minimalistischer Bandbegleitung singt und damit das Werk einer Protestmusikerin aus der ehemaligen DDR honoriert. Auch „Der Turm stürzt ein“von Ton Steine Scherben findet Eingang in das Programm. Schilling betont die politische Aktualität des Songs – obwohl dieser bereits 35 Jahre alt ist.
Freilich ist er nicht der erste deutsche Schauspieler, der singt und zugleich politisch Stellung bezieht. Auch hier ist man schnell wieder bei Grönemeyer, der sich schon häufig mit Aussagen zu gesellschaftlich relevanten Themen hervorgetan hat. Trotzdem grenzt es Schilling von denjenigen ab, bei denen man schnell den Eindruck gewinnt, dass sie in der Musik ausschließlich eine weitere Einnahmequelle gefunden haben.
In einem Interview verriet der Schauspieler vor einigen Jahren, dass er eigentlich Maler werden wollte – bisher ist ihm das noch nicht gelungen. Das Bildhafte liegt ihm aber allemal. Mit den Songtexten, den charmanten Moderationen und Anekdoten nimmt er seine Zuhörer mit in verschiedene, ganz plastische Geschichten. Mal ist es die eines russischen Akkordeonspielers, die untermalt wird von Klängen, die an eine Hafenkneipe nachts um vier erinnern, mal die eines überforderten Vaters mit Namen René, der seinen Sohn liebt, aber gleichzeitig immer mehr Drogen konsumiert. Es sind erzählte Geschichten, die zeigen, dass Schilling vielleicht nicht zu den größten Sängern seiner Generation gehört, auf jeden Fall aber zu den besten Bühnenkünstlern.