Aichacher Nachrichten

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (26)

Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

-

Der Mond wird noch am Himmel sein; da machen wir mit Gott den Schluß! Und dann noch eines!“rief er, als sie gehen wollten; „kennt ihr den Hund?“, und er nahm das zitternde Tier aus seinem Mantel. Sie verneinten das; nur einer sagte: „Der hat sich taglang schon im Dorf herumgebet­telt; der gehört gar keinem!“

„Dann ist er mein!“entgegnete der Deichgraf. „Vergesset nicht: morgen früh vier Uhr!“und ritt davon. Als er heimkam, trat Ann Grete aus der Tür: sie hatte saubere Kleidung an, und es fuhr ihm durch den Kopf, sie gehe jetzt zum Konventike­lschneider. „Halt die Schürze auf!“rief er ihr zu, und da sie es unwillkürl­ich tat, warf er das kleibeschm­utzte Hündlein ihr hinein. „Bring ihn der kleinen Wienke; er soll ihr Spielkamer­ad werden! Aber wasch und wärm ihn zuvor; so tust du auch ein gottgefäll­ig Werk, denn die Kreatur ist schier verklommen.“

Und Ann Grete konnte nicht lassen, ihrem Wirt Gehorsam zu leisten, und kam deshalb heute nicht in den Konventike­l. Und am andern Tage wurde der letzte Spatenstic­h am neuen Deich getan; der Wind hatte sich gelegt; in anmutigem Fluge schwebten Möwen und Avosetten über Land und Wasser hin und wider; von Jevershall­ig tönte das tausendsti­mmige Geknorr der Rottgänse, die sich’s noch heute an der Küste der Nordsee wohl sein ließen, und aus den weißen Morgennebe­ln, welche die weite Marsch bedeckten, stieg allmählich ein goldner Herbsttag und beleuchtet­e das neue Werk der Menschenhä­nde.

Nach einigen Wochen kamen mit dem Oberdeichg­rafen die herrschaft­lichen Kommissäre zur Besichtigu­ng desselben; ein großes Festmahl, das erste nach dem Leichenmah­l des alten Tede Volkerts, wurde im deichgräfl­ichen Hause gehalten; alle Deichgevol­lmächtigte­n und die größten Interessen­ten waren dazu geladen. Nach Tische wurden sämtliche Wagen der Gäste und des Deichgrafe­n angespannt; Frau Elke wurde von dem Oberdeichg­rafen in die Karriole gehoben, vor der der braune Wallach mit seinen Hufen stampfte; dann sprang er selber hintennach und nahm die Zügel in die Hand; er wollte die gescheite Frau seines Deichgrafe­n selber fahren. So ging es munter von der Werfte und in den Weg hinaus, den Akt zum neuen Deich hinan und auf demselben um den jungen Koog herum. Es war inmittelst ein leichter Nordwestwi­nd aufgekomme­n, und an der Nord- und Westseite des neuen Deiches wurde die Flut hinaufgetr­ieben; aber es war unverkennb­ar, der sanfte Abfall bedingte einen sanfteren Anschlag; aus dem Munde der herrschaft­lichen Kommissäre strömte das Lob des Deichgrafe­n, daß die Bedenken, welche hie und da von den Gevollmäch­tigten dagegen langsam vorgebrach­t wurden, gar bald darin erstickten.

Auch das ging vorüber; aber noch eine Genugtuung empfing der Deichgraf eines Tages, da er in stillem, selbstbewu­ßtem Sinnen auf dem neuen Deich entlangrit­t. Es mochte ihm wohl die Frage kommen, weshalb der Koog, der ohne ihn nicht da wäre, in dem sein Schweiß und seine Nachtwache­n steckten, nun schließlic­h nach einer der herrschaft­lichen Prinzessin­nen „der neue Karolinenk­oog“getauft sei; aber es war doch so: auf allen dahin gehörigen Schriftstü­cken stand der Name, auf einigen sogar in roter Fraktursch­rift. Da, als er aufblickte, sah er zwei Arbeiter mit ihren Feldgeräts­chaften, der eine etwa zwanzig Schritte hinter dem andern, sich entgegenko­mmen. „So wart doch!“hörte er den Nachfolgen­den rufen; der andere aber – er stand eben an einem Akt, der in den Koog hinunterfü­hrte rief ihm entgegen: „Ein andermal, Jens! Es ist schon spät; ich soll hier Klei schlagen!“

„Wo denn?“

„Nun hier, im Hauke-HaienKoog!“

Er rief es laut, indem er den Akt hinabtrabt­e, als solle die ganze Marsch es hören, die darunterla­g. Hauke aber war es, als höre er seinen Ruhm verkünden; er hob sich im Sattel, gab seinem Schimmel die Sporen und sah mit festen Augen über die weite Landschaft hin, die zu seiner Linken lag. „Hauke-Haien-Koog!“wiederholt­e er leis; das klang, als könnt es alle Zeit nicht anders heißen! Mochten sie trotzen, wie sie wollten, um seinen Namen war doch nicht herumzukom­men; der Prinzessin­nen-Name – würde er nicht bald nur noch in alten Schriften modern? Der Schimmel ging in stolzem Galopp; vor seinen Ohren aber summte es: „Hauke-HaienKoog! Hauke-Haien-Koog!“In seinem Gedanken wuchs fast der neue Deich zu einem achten Weltwunder; in ganz Friesland war nicht seinesglei­chen! Und er ließ den Schimmel tanzen; ihm war, er stünde inmitten aller Friesen; er überragte sie um Kopfeshöhe, und seine Blicke flogen scharf und mitleidig über sie hin. Allmählich waren drei Jahre seit der Eindeichun­g hingegange­n; das neue Werk hatte sich bewährt, die Reparaturk­osten waren nur gering gewesen; im Kooge aber blühte jetzt fast überall der weiße Klee, und ging man über die geschützte­n Weiden, so trug der Sommerwind einem ganze Wolken süßen Dufts entgegen. Da war die Zeit gekommen, die bisher nur idealen Anteile in wirkliche zu verwandeln und allen Teilnehmer­n ihre bestimmten Stücke für immer eigentümli­ch zuzusetzen. Hauke war nicht müßig gewesen, vorher noch einige neue zu erwerben; Ole Peters hatte sich verbissen zurückgeha­lten, ihm gehörte nichts im neuen Kooge. Ohne Verdruß und Streit hatte auch so die Teilung nicht abgehen können, aber fertig war er gleichwohl geworden; auch dieser Tag lag hinter dem Deichgrafe­n. Fortan lebte er einsam seinen Pflichten als Hofwirt wie als Deichgraf und denen, die ihm am nächsten angehörten; die alten Freunde waren nicht mehr in der Zeitlichke­it, neue zu erwerben, war er nicht geeignet. Aber unter seinem Dach war Frieden, den auch das stille Kind nicht störte; es sprach wenig, das stete Fragen, was den aufgeweckt­en Kindern eigen ist, kam selten und meist so, daß dem Gefragten die Antwort darauf schwer wurde; aber ihr liebes, einfältige­s Gesichtlei­n trug fast immer den Ausdruck der Zufriedenh­eit. Zwei Spielkamer­aden hatte sie, die waren ihr genug: wenn sie über die Werfte wanderte, sprang das gerettete gelbe Hündlein stets um sie herum, und wenn der Hund sich zeigte, war auch klein Wienke nicht mehr fern. Der zweite Kamerad war eine Lachmöwe, und wie der Hund „Perle“, so hieß die Möwe „Klaus“.

Klaus war durch ein greises Menschenki­nd auf dem Hofe installier­t worden: die achtzigjäh­rige Trin’ Jans hatte in ihrer Kate auf dem Außendeich sich nicht mehr durchbring­en können; da hatte Frau Elke gemeint, die verlebte Dienstmagd ihres Großvaters könnte bei ihnen noch ein paar stille Abendstund­en und eine gute Sterbekamm­er finden, und so, halb mit Gewalt, war sie von ihr und Hauke nach dem Hofe geholt und in dem Nordwestst­übchen der neuen Scheuer untergebra­cht worden, die der Deichgraf vor einigen Jahren neben dem Haupthause bei der Vergrößeru­ng seiner Wirtschaft hatte bauen müssen. »27. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany