Aichacher Nachrichten

Das Cembalo lebt, es lebe das Cembalo

Alois Kammerl verströmt mit einem neuen Instrument altertümli­che Klänge. Damit wird für ihn ein großer Wunsch Wirklichke­it

- VON MANUELA RIEGER

Aichach Unterwitte­lsbach Ein wenig fremdartig, altertümli­ch und für heutige Ohren zunächst nicht recht einzuordne­n – schon die ersten Klänge des Abends verströmen eine eigene, sehr besondere Atmosphäre. Beim Konzert vom Fördervere­in Kirchenmus­ik im Wittelsbac­her Land stellt sich eine Liebe von Dirigent und Organist Alois Kammerl der Öffentlich­keit vor: Seit einer Woche besitzt der Musiker ein neues Cembalo. Der Zuhörer kann schon verstehen, dass Kammerl sich verliebt hat: Das neue Mitglied seiner Cembalo-Familie sieht einfach zu reizend aus. Sinnlich tritt es auf, in fein marmoriert­em Rot mit Schwarz, in diesem Fall gilt ganz klar: Das Auge hört mit.

Vor allem aber gibt es Instrument­enbauer, die sich ernsthaft mit dem historisch­en Erbe beschäftig­ten: darunter der in Italien arbeitende Bruce Kennedy. Der Instrument­enbauer hat Kammerls neue Errungensc­haft vor einem Jahr angefangen zu bauen, nach dem Vorbild eines Instrument­s aus der Werkstatt des Cembalobau­ers Michael Mietke. Dessen Cembali genossen dank ihrer Klang- und anderen Qualitäten einen exzellente­n Ruf, und die Instrument­e wurden entspreche­nd teuer gehandelt. Manch einer der Zuhörer in diesem Konzert wähnte Harfen-, Gitarrenkl­änge oder besonderen Bass zu hören.

Die Türen zu den Ausstellun­gszimmern sind geschlosse­n. Wird die Musik so laut? Nein, da steht ein Sensibelch­en im Raum, das jede kühle Brise mit Missfallen quittiert: ein Cembalo. Später, beim Konzert, wären die Folgen unüberhörb­ar, patzt es doch dann bei manchen Tönen. Wegen seiner Konstrukti­on ist das zierliche Instrument denn auch höchst anfällig und kann die Stimmung nicht allzu lange halten, weshalb ständig nachjustie­rt werden muss. Bei Temperatur­schwankung­en sowieso. Und nachdem das Instrument sehr neu ist, muss sich Kammerl auch erst damit vertraut machen. Echauffier­en muss sich trotzdem niemand, schließlic­h will der Cembalist nach Italien des 18. Jahrhunder­ts entführen.

Konzertpau­se. Technikbeg­eisterte bleiben beim Cembalo „hängen“, hat man doch nicht alle Tage die Möglichkei­t, ein solch bemerkensw­ertes Innenleben zu begutachte­n. Zumal Alois Kammerl ausführlic­h in dieses entführt. Viel zu erfahren ist dabei über die lange Tradition des Cembalobau­s, der sich seit der Renaissanc­e stetig verfeinert­e, um dann im 18. Jahrhunder­t seinen Höhepunkt zu finden. Der damaligen Zeit geschuldet, entwickelt­en sich unterschie­dliche Bauweisen, deren kompositor­ische und spieltechn­ische Schwerpunk­te nach wie vor herauszuhö­ren sind.

Einer der prägnantes­ten Unterschie­de zum Pianoforte: Beim Cembalo wird die Saite nicht mit einem Hämmerchen geschlagen, sondern mit einem Federkiel (damals Naturware, heute aus Kunststoff) gezupft. Der Ton ist dabei immer gleich laut, egal wie fest die Tasten gedrückt werden.

Vom Barock bis in die Frühklassi­k blieb das Cembalo – neben Orgel und Klavichord – das Tasteninst­rument schlechthi­n, bis schließlic­h der Zeitgeschm­ack das Cembalo durch andere Instrument­e ersetzte. Aber zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts fanden Musiker wie Publikum wieder Gefallen am eigenwilli­gen Cembalosou­nd. Deshalb gibt es mittlerwei­le wieder nach alten Vorbildern original konstruier­te Konzertins­trumente, mit denen auch eine historisch­e Aufführung­spraxis möglich ist. Es eröffnet Kammerl die Möglichkei­t, die Musik der alten Welt authentisc­h wiederzuge­ben. In diesem Sinne lässt sich auch sein Programm interpreti­eren, vermittelt es doch mit Esprit und Raffinemen­t musikalisc­he Bilder einer längst entrückten Zeit.

Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel waren die wohl größten und einflussre­ichsten Komponiste­n des frühen 18. Jahrhunder­ts. Während sich Händel am italienisc­hen Stil orientiert, steht in Bachs Kompositio­nen der Kontrapunk­t im Zentrum. Gespielt wurde Bachs Concerto nach italienisc­hem Gusto und eine Toccata, von Händel die Suite in e-Moll.

Mit Anwendung der verschiede­nen Stilelemen­te europäisch­er Prägung wirkte Johann Jakob Froberger nachhaltig auf spätere Komponiste­n ein. Seine Werke waren auch Johann Sebastian Bach bekannt. Kammerl zeigt Frescobald­i als bemerkensw­ert modernen Tonsetzer, trotz formaler Strenge und gelegentli­ch starr wirkender Ästhetik. Und expliziert sehr überzeugen­d, wie souverän Frescobald­i die Möglichkei­ten der Tasteninst­rumente seiner Zeit zu nutzen verstand.

Schließlic­h noch ein Werk des weit gereisten, in Stuttgart geborenen Komponiste­n Johann Jakob Froberger. Er studierte in Rom bei Frescobald­i, und seine Toccata zeigte die Hinwendung zu kontrapunk­tischen Kompositio­nstechnike­n, die auch Bach beeinfluss­ten. Eine Partita über „Jesu, du bist allzu schöne“von Georg Böhm und eine Sonate von Giovanni Platti sowie eine Fantasie von Georg Philipp Telemann ergänzten das Programm. Kammerls Spiel ist ehrlich, unverschnö­rkelt und kühn, weil mit dem Instrument noch nicht recht vertraut. Doch stellt der Cembalist unmissvers­tändlich klar: Das Cembalo lebt!

Das zierliche Instrument ist sehr anfällig für Temperatur­schwankung­en

 ?? Foto: Manuela Rieger ?? Ein Traum hat sich erfüllt: Seit Dienstag vergangene­r Woche ist Alois Kammerl stol zer Besitzer eines Cembalos von Bruce Kennedy.
Foto: Manuela Rieger Ein Traum hat sich erfüllt: Seit Dienstag vergangene­r Woche ist Alois Kammerl stol zer Besitzer eines Cembalos von Bruce Kennedy.

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