Aichacher Nachrichten

Wie Oberhauser über die Trinkersze­ne denken

Das geplante Angebot in der Dinglerstr­aße sorgt im Stadtteil für Gesprächss­toff. Betroffene und Anwohner schätzen die Lage unterschie­dlich ein. Warum eine Frau den Wegzug plant

- VON JAN KANDZORA

Der Mann ist sichtlich benebelt, und während er spricht, fallen ihm ab und an die Augen zu. Es ist mittags, und der Mann, nennen wir ihn Thomas, sitzt auf einer Bank neben dem Bahnhof in Oberhausen. Dort, wo früher mal ein Spielplatz stand. Dort, wo sich nun regelmäßig suchtkrank­e Menschen treffen, Männer und Frauen aus dem Drogen- und Alkoholike­rmilieu. Wie Thomas. Er ist nicht alleine, etwa 30 Leute halten sich hier am Freitagmit­tag auf. Thomas sagt, er sei sonst nicht so oft da.

Aber dass hier in der Nähe ein neues Projekt gestartet werden soll, hat er gehört. „Die haben da ein Riesen-Geheimnis draus gemacht“, sagt er. Es geht um einen SüchtigenT­reff für die Szene vom Oberhauser Bahnhof, der im ehemaligen Lokal „Paparazzi“in der nahen Dinglerstr­aße eingericht­et werden soll. Süchtige sollen dort von der Drogenhilf­e und dem Sozialverb­and SKM betreut werden. Die Stadt erhofft sich eine Entlastung des Helmut-HallerPlat­zes vor dem Bahnhof. Der zuständige Ordnungsre­ferent Dirk Wurm (SPD) hatte lange nicht verraten wollen, wo der genaue Standort der Einrichtun­g sein soll.

Daher das „Riesen-Geheimnis“. Geplant ist, dass Suchtkrank­e bis zu drei Flaschen Bier mitbringen und trinken dürfen. „Aber sonst nichts konsumiere­n“, sagt ein Mann, der neben der Bank steht, auf der Thomas sitzt. Was er von der geplanten Einrichtun­g hält? Der Mann überlegt. So ganz weiß er es noch nicht. „Muss sich halt zeigen“, sagt er.

Andernorts hat das Projekt bereits erheblich für Kritik gesorgt. Als Wurm am vergangene­n Samstag in der Dinglerstr­aße war, um vor Ort über den Treff zu informiere­n, musste er sich von Anwohnern einiges anhören. Von politische­n Verbänden, die nicht die SPD sind, muss er das ohnehin.

Zuletzt meldete sich auch „Pro Augsburg“zu Wort, um mitzuteile­n, dass man die vorgeschla­gene Lösung kritisch sehe und diese in der angedachte­n Form ablehne. Durch den Anlaufpunk­t werde „ein täglicher Süchtigent­ourismus durch die dortigen Wohngebiet­e veran- lasst“, heißt es von der Fraktion. Dies führe „zu einer erhebliche­n Belästigun­g, möglicherw­eise auch Gefährdung der Anwohner“. Der Oberhauser Stadtrat Dieter Benkard, ein Parteifreu­nd des Ordnungsre­ferenten, sieht die Lage anders. Das Problem der Süchtigen am Bahnhof, sagt er, sei schon lange bekannt, bis jetzt aber sei es nicht angegangen worden. Das Thema, sagt Benkard, lasse sich nicht totschwei- „Auch diese Menschen gehören zu unserer Gesellscha­ft.“Das Projekt werde schon zerrissen, dabei sei es noch gar nicht angelaufen. Benkard fragt auch, ob es überhaupt einen „passenden Ort“für derartige Einrichtun­gen gibt. Wurm habe die Initiative ergriffen, und die angedachte Lösung sei noch die beste.

Auch Rainer Wintergers­t hält das Konzept des Treffs grundsätzl­ich für eine gute Idee. Der 60-Jährige betreibt die Buchhandlu­ng im Bahnhof; die Situation am HelmutHall­er–Platz ist für ihn schwierig, auch wenn man sich arrangiert habe, sagt er. Sobald es kalt werde, säßen Süchtige vor den Eingängen des Ladens. Für Kunden eine Hemmschwel­le. Vor ein paar Monaten war Wintergers­t wegen eines Vorfalls auf dem Bahnhofspl­atz in einem Gerichtsve­rfahren mal als Zeuge geladen. Am 9. November des vergangen. genen Jahres war in der Rettungsle­itstelle ein Notruf eingegange­n. Zwei Männer waren am Oberhauser Bahnhof zusammenge­brochen. Der Rettungsei­nsatz eskalierte, ein Sanitäter wurde verletzt. Der Buchhändle­r empörte sich im Prozess über die Zustände.

Wintergers­t sagt nun, aus seiner Sicht braucht es ein Gesamtkonz­ept, um an der Situation am Bahnhof etwas zu ändern. Der betreute Süchtigen-Treff könne nur ein Baustein von mehreren sein. Man müsse auch den Helmut-Haller-Platz schöner gestalten, die Aufenthalt­squalität erhöhen. So, wie der Ort jetzt aussehe, verweile dort doch niemand gerne

Verständni­s für die Anwohner in dieser Straße

länger, außer es stünden besondere Aktionen an. Die Anwohner in der Dinglerstr­aße versteht er. „Ist doch klar“, sagt er. „Wer will so einen Treff in seiner Umgebung?“

Elisabeth Müller will ihn nicht. Müller ist 82 und wohnt direkt neben dem ehemaligen „Paparazzi“. Dort hängt draußen noch eine alte Getränkeka­rte. Ein Helles für 2,50 Euro. Vom Oberhauser Bahnhof bis hierhin ist es ein kurzer Fußmarsch durch die beschaulic­he Branderstr­aße; das ehemalige Lokal liegt noch in der Nähe des Helmut-Haller-Platzes, aber auch nicht gerade um die Ecke. Müller lebt seit 20 Jahren in dem Viertel. In Oberhausen gefällt es ihr, und dass es nebenan im Lauf der Jahre verschiede­ne Gastwirtsc­haften gab, sei für sie auch kein Problem gewesen, sagt sie.

Den geplanten Süchtigen-Treff allerdings hält sie für hochproble­matisch. Die Leute täten ihr schon leid, so sei es ja nicht. Aber sie bezweifele, dass ihnen mit dem Angebot wirklich geholfen werden könne. Damit verlagere man die Probleme vom Bahnhofspl­atz in Oberhausen nur teilweise in ein Wohngebiet, sagt sie. Das könne doch auch nicht die Lösung sein.

Drastische­r äußert sich eine direkte Anwohnerin, die mit zwei Kindern in dem Gebäude lebt, in dem bald der betreute SüchtigenT­reff Platz finden soll. „Das ist eine Katastroph­e“, sagt sie. Sie habe nichts gegen die Süchtigen, aber sie müsse ganz einfach an ihre Kinder denken. Zwar sei der Wohnungsma­rkt in der Stadt schwierig. Aber wenn der Treff komme, werde sie wohl umziehen.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Der Helmut Haller Platz vor dem Oberhauser Bahnhof ist Treffpunkt der Drogen und Alkoholike­rszene. Um die Situation zu ver bessern, will Ordnungsre­ferent Dirk Wurm in der Nähe ein betreutes Angebot schaffen.
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Buchhändle­r Rainer Wintergers­t hält das Konzept des Süchtigen Treffs für gut, kann aber Anwohner verstehen, die sich nun beschweren.
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Elisabeth Müller

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