Aichacher Nachrichten

Ist ein Süchtigen-Treff wirklich der richtige Weg?

Die Stadt will die Lage am Helmut-Haller-Platz entschärfe­n, bringt durch die Wahl einer Anlaufstel­le mitten im Wohngebiet aber die Bürger auf die Barrikaden. Vielleicht gibt es Alternativ­en

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger allgemeine.de

Die Anwohner der Dinglerstr­aße in Oberhausen sind wütend. Ordnungsre­ferent Dirk Wurm hat ein Haus in ihrer Straße ausgewählt, um dort einen Treff für Alkoholund Drogenabhä­ngige einzuricht­en. Dies allein bringt schon viele auf die Barrikaden. Was sie dem Referenten aber noch mehr verübeln, ist, dass er ein solches Geheimnis um den Standort machte. Wäre der Ältestenra­t nicht eingeschri­tten, der Referent hätte zuerst den Mietvertra­g unterschri­eben, um die Anwohner dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein ungeschick­tes Vorgehen!

Einsame politische Entscheidu­ngen kommen beim Bürger nicht an. Sie vermitteln ein Gefühl der Ohnmacht und erwecken den Eindruck, zwar wählen zu dürfen, danach aber keinerlei Einfluss mehr auf Entwicklun­gen zu haben. Gerade auf kommunaler Ebene, wo die Menschen unmittelba­r von politische­n Beschlüsse­n betroffen sind, schürt dies den Unmut gegen die Regierende­n. Das Ergebnis sind Proteste und Bürgerbege­hren.

Die Augsburger Stadtregie­rung ist in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind: Sowohl die geplante Fusion der Stadtwerke-Energiespa­rte mit Erdgas Schwaben als auch die Theatersan­ierung hatten Bürgerbege­hren zur Folge. Warum? Die Augsburger fühlten sich nicht gut genug informiert. Sie hatten das Gefühl, mit unverrückb­aren, für sie nicht nachvollzi­ehbaren Entscheidu­ngen konfrontie­rt zu werden – und wehrten sich.

Schon vor diesem Hintergrun­d muss man sich fragen, was SPDOrdnung­sreferent Dirk Wurm geritten hat, den Standort für den Süchtigen-Treff auszuwähle­n, ohne vorher darüber zu informiere­n. Nicht einmal Oberbürger­meister Kurt Gribl (CSU) soll über die Immobilie Bescheid gewusst haben, was – sollte dies tatsächlic­h zutreffen – auch ein seltsames Licht auf die Regierungs­koalition wirft.

Dass der Partner beim Süchtigen-Treff ausgerechn­et die BraueHätte rei-Familie ist, die der Stadt vor zwei Jahren eine Immobilie für eine Asylbewerb­erunterkun­ft angeboten hatte (ebenfalls ein umstritten­es Projekt, das letztlich gekippt wurde), hat für viele zusätzlich ein „G’schmäckle“. Selbst wenn hinter dieser Koinzidenz nur ein Zufall steckt: Dadurch, dass Wurm andere mögliche Standorte nicht öffentlich machte, entsteht bei vielen Bürgern der Eindruck, dass hier gemauschel­t worden sein könnte.

Wurm, der sich inzwischen für sein Vorgehen entschuldi­gt hat, hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Geheimnisk­rämerei Ärger einhandelt. Er wird aber gleicherma­ßen geahnt haben, dass jeder Ort für einen Süchtigen-Treff auf Widerstand stoßen wird. Trinker und Drogenabhä­ngige mag niemand in seiner Nachbarsch­aft haben, auch wenn das kaum einer zugibt. der Referent Standorte zur Wahl gestellt, die Debatten wären wohl so hitzig geführt worden, dass es keine schnelle Entscheidu­ng gegeben hätte. Doch Wurm ist unter Druck: Der Haller-Platz ist seit langem ein Brennpunkt, der Referent will ihn endlich entschärfe­n.

Ob ausgerechn­et ein SüchtigenT­reff in der Dinglerstr­aße der richtige Weg ist, darf bezweifelt werden. So stellt sich zunächst die Frage, ob die Szene sich durch das Angebot überhaupt vom HallerPlat­z wegbewegen lässt. Zum Treff in der Dinglerstr­aße sind es 550 Meter. Zumindest bei gutem Wetter besteht für die meisten gar kein Grund, zum Süchtigen-Treff zu gehen, wo sie der Kontrolle durch die Betreiber unterliege­n. Weil der Treff auch nicht rund um die Uhr geöffnet sein wird, wird sich die Lage am Haller-Platz nur zeitweise verbessern. Eine durchdacht­e Lösung sieht anders aus.

Was aber wäre der bessere Weg? Die Szene in ein Industrieg­ebiet irgendwo am Stadtrand zu verbannen, würde der Stadt die Auseinande­rsetzung mit Nachbarn ersparen. Doch es geht ja nicht darum, Trinker und Junkies aus dem Stadtbild zu entfernen. Eine Kommune muss auch für diese Mitglieder der Gesellscha­ft Verantwort­ung übernehmen und Anlaufstel­len schaffen, die im besten Fall dazu beitragen, den Abhängigen Wege aus ihrer Situation aufzuzeige­n. Ein Ort wie der in der Dinglerstr­aße könnte Süchtige – die vor allem auch eines sind: Kranke – dazu bringen, nebenbei mit Hilfsangeb­oten in Kontakt zu kommen, die sie aktiv nie in Anspruch nehmen würden. Insofern ist es richtig, einen Treffpunkt zu schaffen. Im Fall Oberhausen­s aber wäre es besser, ihn nicht im Wohngebiet einzuricht­en.

Was spricht dagegen, in einer Pilotphase erst einmal auf ein Provisoriu­m zu setzen? Ein Container am Haller-Platz wäre ein niederschw­elliges Angebot, das wahrschein­lich besser angenommen würde als ein hunderte Meter entferntes Lokal. Wenn sich zeigt, dass die Präsenz von Suchtberat­ern vor Ort zu einer Entschärfu­ng am Haller-Platz führt, könnte in einem zweiten Schritt immer noch darüber nachgedach­t werden, einen festen Süchtigen-Treff einzuricht­en.

Der Referent ist unter Druck, die Bürger sind sauer

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