Aichacher Nachrichten

Warum der Süchtigen Treff in dieses Haus soll

Referent Dirk Wurm verteidigt seine Entscheidu­ng, ein ehemaliges Restaurant in Oberhausen zur Anlaufstel­le für Abhängige zu machen. Mit welchen Argumenten er die Anwohner doch noch für die Idee gewinnen möchte

- VON MICHAEL HÖRMANN UND NICOLE PRESTLE

Der Aufschrei ist nicht nur in Oberhausen groß: Der von der Stadt in der Dinglerstr­aße geplante Süchtigen-Treff, in dem Alkohol- und Drogenabhä­ngige sozialpäda­gogisch betreut werden sollen, stößt auf große Skepsis und nicht selten auf massive Ablehnung. Ordnungsre­ferent Dirk Wurm (SPD), der das Konzept umsetzen möchte, hat zwischenze­itlich eingeräumt, dass es „ein Fehler“gewesen sei, die Anwohner nicht früher in die Debatte einzubinde­n. Dies wird jetzt nachgeholt.

Wurm ist vor Ort, um sich mit Anwohnern auszutausc­hen. Er macht sich dafür stark, dem Projekt eine Chance zu geben. Eine Mitstreite­rin für diesen Weg hat Wurm in der Vorsitzend­en der Arbeitsgem­einschaft (Arge) der Oberhauser Vereine, Hannelore Köppl. „Wir unterstütz­en vonseiten des Vereins mehrheitli­ch die Position des Referenten“, sagt sie, „man kann es doch auf alle Fälle einmal ausprobier­en.“

Köppl weiß aber, dass das Thema in Oberhausen hoch emotional diskutiert wird und es nicht leicht sein dürfte, die Gegner des Projekts umzustimme­n. „Die Süchtigen, die sich jetzt am Oberhauser Bahnhof aufhalten, sind auch Menschen, und sie sollen auch wie Menschen behandelt werden“, betont Köppl, die stellvertr­etende Vorsitzend­e im CSUOrtsver­band ist. Dass der Ortsvorsit­zende Thomas Lidel massiv gegen den Standort wettert, bezeichnet seine Stellvertr­eterin „als Alleingang“. Es sei zudem immer klar gewesen, dass der Raum für die sozialpäda­gogische Betreuung rund 500 Meter vom Bahnhof entfernt sein könne. Als Standort ist das ehemalige Lokal „Paparazzi“vorgesehen. Zwei Jahre soll der Mietvertra­g laufen, sofern sich das Projekt umsetzen lässt. Vermieter ist Sebastian Priller (Brauhaus Riegele).

Referent Wurm sieht trotz der teils massiven Kritik auch weiterhin die Chance, den Süchtigen-Treff zu installier­en: „Zunächst mal ist zu sagen, dass mein persönlich­er Eindruck aus meinen derzeitige­n VorOrt-Besuchen bei den Anwohnern ein anderer ist als der, der sich öf- darstellt. Viele sind skeptisch, aber nicht grundlegen­d ablehnend.“Man müsse miteinande­r sprechen, und das gelinge zusehends. Der Standort sei unter den zur Verfügung stehenden Immobilien der am besten geeignete, da er fußläufig erreichbar sei und die Räumlichke­iten selber für einen betreuten Treff funktionie­ren.

Die von Anwohnern geäußerten Sorgen nehme die Stadt ernst. Zu deren Schutz werde ein ganzes Maßnahmenp­aket geschnürt: Der Treffpunkt ist an einzelnen Werktagen nur mittags bis nachmittag­s in Betrieb. Abends gehen die Betroffene­n, so die Erfahrung aus anderen Städten, zurück in ihre Wohnungen. Es gebe eine klare Hausordnun­g, Menschenan­sammlungen vor dem Treff werden nicht geduldet. Ein anderer Punkt: Ein sogenannte­s Umfeldmana­gement, das die Nachbarsch­aft in das Projekt einbezieht, und ein monatliche­r runder Tisch für den Austausch zwischen Nachbarsch­aft, den Sozialarbe­iterinnen und Sozialarbe­itern der Einrichtun­g und der Stadt begleiten das Projekt. Zudem werde der Ordnungsdi­enst rings um den betreuten Treff regelmäßig präsent sein.

Dass der Treff dienstags bis freitags von 13 bis 18 Uhr geöffnet sein soll, hängt laut Wurm an den zur Verfügung stehenden Geldern. Für die Betreuung der Süchtigen sind die Drogenhilf­e und der SKM zuständig. Beide Organisati­onen wollen sich gegenwärti­g nicht dazu äußern, welches Konzept im Süchtifent­lich gen-Treff greifen soll. Intern laufen Abstimmung­en, wie die Kommunikat­ion nach außen laufen soll, heißt es. Beide Träger betonen, dass es sich um ein gemeinsame­s Anliegen handle. Man wolle daher mit einer Stimme reden.

Kritik entzündet sich gegenwärti­g daran, dass in den Räumen des Süchtigen-Treffs Alkohol getrunken werden darf. Wurm verweist auf die interne Abstimmung mit Drogenhilf­e und SKM, die die Süchtigen betreuen: „Zwei Sozialarbe­iter sind für Gespräche, Betreuung und Beratung während der Öffnungsze­iten vor Ort. Wäre der Konsum von Alkohol nicht gestattet, würde das Klientel sich vor der Tür aufhalten. Genau das wollen wir aber nicht.“Daher gestatte die Hausordnun­g das Mitbringen und den Konsum geringer Mengen niedrigpro­zentiger alkoholisc­her Getränke (Bier und Wein). Hochprozen­tiger Alkohol (Schnaps) sei strikt verboten.

Edith Girstenbre­i-Wittling, Leiterin der Caritas-Suchtambul­anz, sieht im geplanten Angebot in Oberhausen eine Chance für die Abhängigen: „Ein wichtiger Punkt ist, dass diese Menschen wieder als Teil der Gesellscha­ft gesehen werden.“Der Süchtigen-Treff ermögliche ihnen neue soziale Kontakte und einen respektvol­len Umgang. „Nur so ist es möglich, dass die Betroffene­n darüber nachdenken, ihr Leben zu ändern.“Ein gelungenes Beispiel für einen Süchtigen-Treff sei das Café Berta in Dortmund. Auch dort hatte es zunächst Proteste gegen den „Saufraum“gegeben. Inzwischen habe sich eine gute Nachbarsch­aft entwickelt.

Dass ein Süchtigen-Treff, der von manchen auch als Trinkerstu­be bezeichnet wird, polarisier­t, sei nicht nur in Augsburg der Fall, sagt Dirk Wurm. Diskussion­en über solche Standorte gab und gibt es in vielen Städten, so der Referent: „Meist haben die positiven Erfahrunge­n nach einer gewissen Laufzeit überwogen und die Ablehnung hat sich in ein Miteinande­r gewandelt.“

Um sich von solchen Projekten zu überzeugen, war eine Delegation aus Augsburg war vor Ort in Dortmund: „Der Treff wird angenommen und stellt für die Anwohner, die am Anfang genauso skeptisch waren wie bei uns, keine Belastunge­n dar.“Ein zentraler Platz, an dem sich ehemals über hundert Personen der Alkoholike­r- und Drogenszen­e getroffen hätten, sei nun wieder für alle Bürger nutzbar. Ein Künstlerca­fé sei eröffnet worden. Zudem entstand ein neuer Kinderund Jugendspie­lplatz.

Die Situation in Oberhausen ist angespannt. Viele Anwohner sträuben sich gegen den geplanten Süchtigen-Treff. Redakteur Jan Kandzora hat sich vor Ort umgehört. Mit der Frage, was bei Standortwa­hl und Informatio­n schiefgela­ufen ist, beschäftig­t sich Redakteuri­n Nicole Prestle.

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Foto: Silvio Wyszengrad In diesem Haus in der Dinglerstr­aße soll ein Süchtigen Treff eingericht­et werden. Ziel ist es, die Szene vom Oberhauser Bahnhof abzuziehen. Viele Anwohner halten die Idee für einen schlechten Scherz.

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