Syrer droht Mitarbeitern des Landratsamts
In einer Aichacher Unterkunft gibt es Streit. Nun steht ein Flüchtling vor Gericht
Aichach Die Vorwürfe wiegen schwer: Ein syrischer Flüchtling aus Aleppo soll zwei Mitarbeiter der Ausländerbehörde in einer Aichacher Unterkunft beleidigt und massiv bedroht haben. „Ich mach euch beide kaputt“, soll der 19-Jährige gesagt und dabei die Hände so bewegt haben, als zerbreche er etwas. Auch dass sie sich „verpissen sollen“, habe er ihnen an den Kopf geworfen. Das sagten die beiden Männer vom Landratsamt gestern übereinstimmend vor dem Jugendgericht Aichach aus. Richterin EvaMaria Grosse glaubte den Mitarbeitern und sprach den Syrer schuldig. Er erhielt eine Verwarnung und muss 56 Stunden soziale Hilfsdienste leisten. Der Flüchtling erkannte das Urteil nicht an.
Der Syrer mit subsidiärem Schutz in Deutschland bestreitet die Vorwürfe: „Ich war zwar erzürnt, habe das aber nicht gesagt“, ließ er von einem Dolmetscher übersetzen. Erzürnt, da es Streit gegeben habe. Darüber waren sich auch alle einig. Was dabei aber genau passiert war, darüber gingen die Aussagen vor Gericht auseinander.
Für den Flüchtling, der ein wenig Deutsch spricht, ging es um eine „Ehrensache“, wie der Dolmetscher übersetzte. Seit zwei Jahren lebt er mit den Eltern in der Aichacher Unterkunft – und in der ganzen Zeit habe sich die Familie schlecht von den Mitarbeitern des Landratsamts behandelt gefühlt. Besonders störe ihn, dass die Mitarbeiter schon öfters unangemeldet das Schlafzimmer der Mutter betreten hätten. Auch an jenem Maimorgen in diesem Jahr seien sie in die Wohnung gekommen, ohne anzuklopfen. Die Mutter habe geweint, also habe er sich eingemischt. Die Mitarbeiter hätten abfällig zu ihm gesprochen und einer der beiden habe sogar drohend die Hand gegen den damals 18-Jährigen erhoben.
Beendet war der Streit erst, als die Mitarbeiter des Landratsamts die Polizei riefen. Die beiden Männer der Ausländerbehörde, die sich um die Unterkunft des Landratsamts kümmern, schilderten den Vorfall freilich anders. Sie hätten geklopft und dann die Wohnung aufgeschlossen und den öffentlichen Flur betreten, um ein leer stehendes Zimmer zu kontrollieren – die Wohnung werde von mehreren Familien bewohnt. „Das müssen wir tun, das ist unsere Aufgabe“, sagte einer der beiden.
Die syrische Mutter und dann auch der Sohn seien daraufhin aus ihren Zimmern gestürmt gekommen und hätten sich wutentbrannt beschwert. „Wir sollen aus seinem Haus verschwinden“und „scheiß Landratsamt“, habe der 18-Jährige gerufen. Dabei sei er einem der beiden Männer so nahe gekommen, dass der andere sich habe dazwischenschieben müssen. Schon mehrfach habe es solche Probleme mit der Familie gegeben, sagten die Mitarbeiter des Landratsamts. Auch Richterin Grosse berichtete von weiteren Betroffenen, die in anderen Situationen vom Angeklagten beleidigt worden seien.
Wolfgang Nuspl von der Jugendgerichtshilfe hatte den Angeklagten eher als „freundlich“und „einsichtig“erlebt, wie er vor Gericht sagte. Der 19-Jährige versuche, sich sozial zu integrieren und habe sogar eine Arbeitsstelle in Aussicht. Jedoch habe er eine traumatische Flucht erlebt: „Und das löst natürlich etwas aus bei Menschen und kann auch zu empfindlichen Reaktionen führen.“Ob der Syrer die beiden Mitarbeiter wirklich beleidigt und bedroht hatte, konnte Wolfgang Nuspl nicht herausfinden. Er plädierte aber dafür, die Strafe im unteren Bereich zu belassen.
Staatsanwältin Kerstin Reitlinger forderte eine Verwarnung mit 80 Stunden Hilfsdiensten. Jugendrichterin Eva-Maria Grosse blieb etwas darunter – fand jedoch klare Worte für den Angeklagten. Sie könne sehr gut verstehen, dass die Wohnsituation für ihn und seine Familie nicht gut sei. „Aber damit muss man leben, da darf man nicht überreagieren.“Es gebe für sie keinen Grund, so die Richterin, die Aussagen der beiden Mitarbeiter des Landratsamts anzuzweifeln: „So etwas erfindet man nicht, das muss man erlebt haben.“