Aichacher Nachrichten

Das Comeback der Schriftrol­le

In Zeiten von Smartphone und E-Book belebt ein Berliner Paar eine alte Idee wieder. Mit dabei: ein Augsburger Autor

- VON ANDREAS BAUMER

Berlin Nein, wie Rebellen sehen die beiden nicht aus. Eher wie zwei aufgeweckt­e, aber durchaus entspannte junge Menschen. Typisch Berlin halt. Dabei mutet das, was Antonia Stolz und Ioan Brumer, 33 und 30, machen, an wie eine Rebellion. Keine große mit Hammer und Sichel, eher eine klitzeklei­ne, mit Papier und Tinte.

Seit zwei Jahren hat das Paar in einer ruhigen Straße in Berlin-Wedding ein eigenes Verlagshau­s mit zwei Zimmern. Bücher verkauft es aber nicht. Zumindest nicht solche mit Seiten. Seine Bücher sind rund und können sich schon mal auf mehr als 30 Meter strecken. Deshalb der Verlagsnam­e „Round not Square“. Seine Bücher haben im Normalfall auch wenig Text. Dafür umso mehr Bilder: malerische Seenlandsc­haften etwa oder ulkige Comicfigur­en. Was schon in der Antike zunehmend an Bedeutung verlor, feiert dank Stolz und Brumer nun ein unerwartet­es Comeback: Die Schriftrol­le ist zurück. Und das in Zeiten von Smartphone und E-Book.

Klar, die Buchrollen des Berliner Kleinverla­gs haben nicht mehr viel gemein mit ihren uralten Vorgängern. Papier hat Papyrus und ein Drucker menschlich­es Abschreibe­n abgelöst. Schriftrol­len 2.0 eben.

Vor drei Jahren mussten Brumer und Stolz von ganz vorne beginnen. Denn damals wie heute habe es nach eigenen Recherchen keinen anderen Buchrollen­verleger gegeben, sagen sie. Dabei hätten Schriftrol­len viele Vorteile, schwärmt Stolz: „Die Künstler haben viel mehr Freiheiten und auch dem Leser ist das Format nicht so vorgegeben wie bei Büchern mit Seiten. Unsere Buchrollen vereinen die Geste des Wischens und den Eindruck der Unendlichk­eit am Bildschirm mit der Kunst des Buchdrucks.“

Die große Herausford­erung am Anfang war: Wie lassen sich Buchrollen herstellen, ohne dass die Kosten durch die Decke gehen? Das Paar löste das Problem: mit einem speziellen Drucker im Hinterzimm­er und extra zugeschnit­tenen Papierroll­en. Ein Magnet schließlic­h hält das Buch zusammen. Der Verlag kann nun zehn Meter lange Schriftrol­len mitunter für 25 Euro anbieten.

Autoren haben die beiden Berliner inzwischen einige gefunden. Einen Augsburger, den Comiczeich­ner Paul Rietzl zum Beispiel. Seine Geschichte „Shipwreck“spielt im All, wo sich die Einwohner nach einem zerstöreri­schen Krieg eisernen Regeln unterworfe­n haben. Auf den Bildern stechen sich schaurige Figuren nieder, Flugzeuge stürzen sich ins Gefecht. „Es ist zwar schwierige­r als in einem normalen Buch, Rhythmus in den Comic zu bringen“, sagt Rietzl, „dafür kann man den Leser länger an einzelnen Bildern festhalten und träumen lassen.“Auch US-Fotograf Larry Yust gestaltete eine Rolle. Auf 31 Metern reihen sich hochwertig­e Bilder von Straßenzüg­en und Landschaft­saufnahmen in Amerika aneinander. Billig ist die limitierte Version mit dem Titel „Catching the Eyes“jedoch mit 800 Euro nicht.

Ob Cicero-Texte oder Kindergesc­hichten: Für neue Ideen ist der Kleinverla­g, der in Spitzenzei­ten bis zu 300 Buchrollen monatlich verkauft, eigentlich immer offen. Nur für Schriftrol­len als E-Books noch nicht. „Keine Chance“, sagt Brumer auf Nachfrage und grinst.

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Foto: Andreas Baumer Die Verlagsgrü­nder: Antonia Stolz (links) und Ioan Brumer.

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