Wilder Liederkosmos mitten aus dem Leben
Dringlichkeit ohne erhobenen Zeigefinger: Die Gruppe Dreiviertelblut bietet ihrem Publikum beim Konzert im Aichacher Pfarrzentrum eine Achterbahn der Gefühle und ein musikalisches Panoptikum. Und stellt dabei auch klar, dass Punk und Liebeslieder kein Wid
Aichach Eine Achterbahn der Gefühle zwischen komischen Storys, verschlungenen Gedankenspielen und schaurig-schönen melancholischen Liedern – die sieben Mannen von Dreiviertelblut luden ihr Publikum im Aichacher Pfarrzentrum dazu ein, in einen Liederkosmos abzutauchen. Ein wildes Panoptikum, bunt wie das Leben.
Ein Lied handelt vom Kuckuck, der seine Eier in andere Nester legt. Und schon sieht sich der Vogelvater plötzlich einem Fremdling gegenüber. Adaptiert auf die Menschen heißt das: Ist meine Frau fremdgegangen? Wünsche und Träume lassen einen manchmal im Glückstaumel hochfliegen, bevor einen Ängste und Sorgen wieder ganz unten auf dem Boden landen lassen. Mit einem Sprachsog aus Dialekt und Hochdeutsch und mit unverstellten Blicken in die weitesten Alltagswinkel schaffen es Dreiviertelblut, ihren ganz eigenen Kosmos ins Pfarrzentrum zu tragen.
Sänger Sebastian Horn und Gerd Baumann fanden befreundete Musiker, die mit einer eigenwilligen Mischung aus bayerischer Heimatverbundenheit und sämtlichen Anlei- hen aus dem vielfältigen Musikkosmos etwas anfangen konnten: die Bläser Dominik Glöbl und Florian Riedl, den Kontrabassisten Benny Schäfer, den Gitarristen Luke Cyrus Goetze und den Schlagzeuger Florian Rein.
Das kann recht leicht sein wie beim Lied vom „Blutsauger“, hinter dem sich saugende Stechmücken („I schlog nia zua“) verbergen oder auch hochpolitisch.
Etwa wenn der „Heiglkopf“besungen wird. Sebastian Horn, der diesen Berg vor Augen hat, wenn er aus seinem Fenster schaut, hat Begebenheiten aus der Nazizeit rund um den Heiglkopf gesammelt und daraus eines der besten Lieder an diesem Abend gemacht. Nicht nur mit diesem Lied und vom bäuerlichen Ungehorsam gegen die Nazis können Dreiviertelblut überzeugen, sondern auch mit sehnsüchtigen Balladen wie „Im Mai“oder mit dem stampfenden „Deifedanz“.
Die Gedanken über die Grablegung „Auf’m Ruck’n“(im Original von Ludwig Hirsch) stimmen nachdenklich und die Trauernden bei einem bayerischen Begräbnis hängen sowieso ihren eigenen Empfindungen nach. Dazu passen düstere Bilder wie „Schläfer im Tal“oder „Ois is koid“. Im musikalischen Wechsel von Melancholie und lauter Punkhaltung führen die Sänger und Instrumentalisten Romantiker und Liebhaber von Pop, Jazz und aggressiver Musik zusammen.
Der Song „Wuist du mit mir danzn“beginnt mit einem langen Trompetensolo und endet mit wuchtigem Rock. Mit der Politballade „Ned nur mia“bezieht die Gruppe Stellung gegen Zäune, Mauern und Flüchtlingsquoten und plädiert für ein Miteinander auf dem „blaua Stoa“, wie Dreiviertelblut unseren Planeten nennen.
Die Musiker stellen mit ihrer Musik und den Texten klar, dass Punk und Liebeslieder kein Widerspruch sind. Ob Schafe zählen oder nicht aufwecken: rhythmisch zum Beat, konzentriert und monströs. Das Septett garniert das Programm mit ein paar älteren Songs sowie großzügigen Zugaben. Anhaltender Applaus, auch nach jedem Song, belohnte die Gruppe für ihr abwechslungsreiches Programm.
Musikalischer Wechsel von Melancholie und lauter Punkhaltung