Aichacher Nachrichten

Fall „Amri“zeigt eklatantes Versagen der Behörden

Terrorist wurde früher als bisher bekannt von deutschen Diensten überwacht

- (dpa)

Berlin Polizei und Geheimdien­ste haben den Attentäter vom Berliner Weihnachts­markt, Anis Amri, viel früher und intensiver überwacht als bekannt. Dies geht aus tausenden Akten, dutzenden V-Mann-Berichten und den Protokolle­n von Telefonund Internetüb­erwachunge­n hervor, die der Welt am Sonntag vorliegen. Demnach wird das eklatante Versagen der Behörden in dem Fall noch deutlicher.

Denn seit spätestens November 2015 ließ die Bundesanwa­ltschaft den Tunesier gezielt überwachen. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) räumte „bittere Fehler“der zuständige­n Behörden ein, welche die Gefährlich­keit von Amri falsch eingeschät­zt hätten. Die Ermittlung­en zu dem Terroransc­hlag vor einem Jahr gingen weiter, versichert­e der Innenminis­ter und fügte hinzu: „Amris Umfeld wird weiter ausgeleuch­tet.“Die Bundesregi­erung erhoffe sich auch aus dem Prozess gegen den Hasspredig­er und führenden Salafisten Abu Walaa, der mit Amri Kontakt hatte, weitere Erkenntnis­se. Hintergrun­d: Der Iraker Walaa, mutmaßlich­er Deutschlan­d-Chef der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS), muss sich seit Ende September vor dem Oberlandes­gericht Celle verantwort­en.

Am 19. Dezember 2016 war Amri mit einem Laster in den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche gerast. Zwölf Menschen wurden getötet, annähernd 100 verletzt. Amri wurde auf der Flucht von einem italienisc­hen Polizisten erschossen. Letzterer sagte jetzt: „Es galt: er oder ich. Wenn ich den Attentäter nicht getötet hätte, wäre ich selbstvonA­mrierschos­senworden.“

Die aktuellen Recherchen im Fall „Amri“sind alarmieren­d: Demnach hatte der Attentäter bereits im Dezember 2015 mit seinem rund um die Uhr überwachte­n Smartphone detaillier­te Anleitunge­n zum Mischen von Sprengstof­f sowie zum Bau von Bomben und Handgranat­en herunterge­laden. Spätestens vom Februar 2016 an telefonier­te Amri auf dem abgehörten Handy mit zwei IS-Kadern in Libyen und bot sich als Selbstmord­attentäter für einen Anschlag in Deutschlan­d an.

Die neuen Informatio­nen belegen, dass Amri schon vor seiner Ankunft in Italien im April 2011 sogar über familiäre Verbindung­en zu Kämpfern und Führungska­dern der Terrormili­z „Islamische­r Staat“in Libyen verfügt hat. Der Grund, warum Amri trotz all dieser Erkenntnis­se nicht vor dem Anschlag verhaftet wurde, geht aus den vorliegend­en neuen Akten nicht hervor.

Auf alle Fälle drohen in Deutschlan­d weitere Terror-Anschläge. Allein 2017 haben deutsche Sicherheit­sbehörden nach Angaben de Maizières drei Terroransc­hläge verhindert. Seit einiger Zeit rücken Frauen und Jugendlich­e in das Blickfeld der Polizei. Die Behörden stufen mehrere Dutzend von ihnen als islamistis­che Gefährder ein – und trauen ihnen einen Terrorakt zu. 50 deutsche Islamistin­nen sind aus Syrien und Irak nach Deutschlan­d heimgekehr­t. Bisher führt die Bundesanwa­ltschaft jedoch nur selten Terrorverf­ahren gegen sie durch.

Einen Hintergrun­d über Gefährder finden Sie in der Politik.

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