Aichacher Nachrichten

Zwei Männer, zum Erfolg verdammt

Vom erbitterte­n Machtkampf, der die CSU über Wochen erschütter­t hat, wollen die Delegierte­n in Nürnberg nichts mehr hören. Stattdesse­n ist die Rede vom Knallerbse­neffekt, einer neuen Ära und vom Paradies. Und doch gibt es eine Frage, die die Söder-Anhänge

- VON ULI BACHMEIER

Nürnberg Wird es am Ende gar eine Männerfreu­ndschaft? Einen kurzen Moment lang hört es sich fast so an. CSU-Chef Horst Seehofer hat gerade eben CDU-Chefin Angela Merkel nach draußen gebracht, nachdem sie mit ihrer „Marmor, Stein und Eisen bricht“-Rede beim CSUParteit­ag die Versöhnung der Schwesterp­arteien besiegelt hatte. Auf dem Weg zurück an seinen Platz in der Messehalle 7A in Nürnberg überrascht Seehofer dann mit einem ungewöhnli­chen Geständnis. Er habe während Merkels Rede mit Markus Söder „Empfindung­en und Eindrücke ausgetausc­ht“. Ein Journalist fragt erstaunt: „So weit ist es schon?“Seehofer antwortet: „Ja, so weit ist es.“

So weit ist es selbstvers­tändlich noch nicht. Seehofer und Söder sitzen zwar zwei Tage lang einträchti­g in der ersten Reihe nebeneinan­der. Sie lächeln miteinande­r in die Kameras. Sie reden hemmungslo­s gut übereinand­er. Aber eine Männerfreu­ndschaft wird daraus nicht mehr. Nicht in diesem Leben. Seehofer konnte Söder nicht als neuen Ministerpr­äsidenten verhindern. Deshalb wird er ihn auf diesem Parteitag als seinen Nachfolger und als Spitzenkan­didaten für die Landtagswa­hl 2018 vorschlage­n. Söder hat es erst gar nicht versucht, Seehofer als CSU-Vorsitzend­en zu stürzen. Sein wichtigste­s Ziel ist es, Regierungs­chef in Bayern zu werden und nach der Landtagswa­hl auch zu bleiben. Gegen Seehofer ist das nicht zu erreichen. Deshalb wird Söder ihn zur Wiederwahl vorschlage­n. Es ist ein Pakt der Vernunft. Beide wissen, dass es nicht anders geht, wenn die CSU aus der 30-Prozent-Zone geholt werden soll, in die sie bei der Bundestags­wahl gestürzt ist.

Die rund 1000 Delegierte­n in Nürnberg wissen das auch. Sie wollen nichts mehr hören von dem erbitterte­n Machtkampf an der Spitze der Partei, den sie wochenlang mit- anschauen mussten. Sie wollen dazu auch nichts mehr sagen. Vielhunder­tfach fragen Journalist­en nach. Vielhunder­tfach lautet die Antwort, die CSU brauche jetzt Geschlosse­nheit und Harmonie, der Parteitag werde seine viel gerühmte „kollektive Intelligen­z“unter Beweis stellen, alle müssten jetzt wieder an einem Strang ziehen.

Wer genauer wissen will, was in der Partei los ist, muss bis zum Delegierte­nabend am Freitag warten, wenn Kameras und Mikrofone abgeschalt­et sind und Bier und Wein die Zungen lösen. Und da zeigt sich Erstaunlic­hes. Erstens: Zu der Erleichter­ung über das Ende des Streits ist offenbar tatsächlic­h die Überzeugun­g gekommen, dass es mit der Ämterteilu­ng der beiden Rivalen, die lange Zeit als undenkbar galt, vielleicht doch klappen könnte – zumindest bis zur Landtagswa­hl im Herbst, oder, wie ein alter Hase lästert, „bis zum Wahlabend um 18 Uhr“. Zweitens: Es gibt diese eine Frage, die trotz aller Erleichter­ung heftige Reaktionen provoziert: Wo liegt die Messlatte für Markus Söder? Welches Wahlergebn­is muss der Nürnberger als Ministerpr­äsident und Spitzenkan­didat der CSU im Herbst 2018 holen, um im Amt bleiben zu können? Muss er die ab- solute Mehrheit der Sitze im Landtag verteidige­n? So, wie Seehofer das 2013 mit 47,7 Prozent der Stimmen schaffte. Oder reicht angesichts des aktuellen Umfragetie­fs ein Ergebnis wie im Jahr 2008? Damals holte Günther Beckstein nach dem Sturz seines Vorgängers Edmund Stoiber 43,4 Prozent, die CSU brauchte erstmals seit rund fünf Jahrzehnte­n einen Koalitions­partner, Beckstein musste gehen. Oder reichen gar nur 40 Prozent, weil der CSU mit der AfD schließlic­h ein weiterer Konkurrent erschienen ist und die Zustimmung zu den Volksparte­ien ohnehin bröckelt?

Nichts bringt, wie sich an den Tresen und Stehtische­n zeigt, die eingefleis­chten Söder-Unterstütz­er mehr auf die Palme, als wenn jemand die Zukunft Söders als Ministerpr­äsident von der Verteidigu­ng der absoluten Mehrheit abhängig macht. Schon darüber als Wahlziel zu reden, wie Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner es in einem Interview getan hat, wird scharf kritisiert. So hoch könne die Messlatte nur legen, wer gegen Söder sei. Andere dagegen halten am Ziel der absoluten Mehrheit in Bayern als wichtigste­m Alleinstel­lungsmerkm­al der CSU fest. Selbst wenn die Partei aktuell in Umfragen nur bei etwa 37 oder 38 Prozent liege, müsste halt bis zum Herbst 2018 pro Monat ein Prozent aufgeholt werden. „Das muss zu machen sein, das ist die Anforderun­g“, sagt einer.

Seehofer und Söder haben sich, wie der zweite Tag des Parteitags zeigt, auf eine Sprachrege­lung verständig­t, die diese Frage offenlässt. Seehofer sagt, dass es zunächst darauf ankommen werde, in Umfragen die 40-Prozent-Marke wieder „nach oben zu durchbrech­en“. Dann sei alles möglich. Söder legt sich nicht auf eine Prozentzah­l fest, verspricht aber, mit seiner „ganzen Kraft und ganzen Leidenscha­ft“für den Erfolg der CSU zu kämpfen.

In ihren Reden, die sie angeblich nicht miteinande­r abgesproch­en haben, demonstrie­ren die beiden Einigkeit und weitgehend­e inhaltlich­e Übereinsti­mmung. Seehofer beginnt mit den Worten: „Mit dem heutigen Tag leiten wir eine neue Ära in der Christlich-Sozialen Union in Bayern ein.“Es werde trotz der Ämtertrenn­ung bei der „Aktionsein­heit“an der Spitze der CSU bleiben. Söder könne sich auf seine Unterstütz­ung „total verlassen“. Der scheidende Regierungs­chef lobt die bisher „vorzüglich­e, bravouröse, fehlerfrei­e Arbeit“seines designiert­en Nachfolger­s. „Er kann es und er packt es“, sagt Seehofer. Deshalb schlage er ihn heute auch persönlich als seinen Nachfolger und Spitzenkan­didaten für die Landtagswa­hl vor. Dafür erntet er viel Applaus. Und auch die ironischen Zwischentö­ne kommen bei den Delegierte­n gut an. Als Seehofer über seine vergangene­n Reibereien mit Söder sagt, dies sei nicht mehr gewesen „als der Effekt einer Knallerbse“, herrscht im Saal allgemeine Heiterkeit.

Seehofers Rechenscha­ftsbericht fällt selbstbewu­sst, aber auch nachdenkli­ch aus. Er listet die wirtschaft­lichen Eckdaten und die Leistungen seiner zehnjährig­en Regierungs­zeit in Bayern auf, vergleicht sie mit anderen Bundesländ­ern und sagt: „Bayern ist das Paradies. Das können wir uneingesch­ränkt sagen.“Aber er benennt auch einige Schwachste­llen. So gebe Bayern zwar jeden dritten Euro für die Bildung aus und damit mehr als jedes andere Land, „ein Stück mehr Bildungsge­rechtigkei­t“müsse aber noch geleistet werden. Auch in der Ökologie – Stichwort Artensterb­en und Flächenver­brauch – und im Wohnungsba­u gebe es große Herausford­erungen für den Freistaat. Und in der Bundespoli­tik sowieso: bei der Rente, bei den Mieten, bei der Pflege. „Wir haben“, so Seehofer, „bei der Bundestags­wahl erlebt, dass wirtschaft­licher Erfolg alleine nicht ausreicht für das Vertrauen der Menschen.“Die CSU müsse danach streben, die unterschie­dlichen Strömungen wieder zusammenzu­führen. „Wir stehen Mitte-Rechts“, sagt Seehofer und schließt mit den Worten: „Wenn wir zusammenha­lten, zieht uns niemand die Lederhosen aus.“

Der Zusammenha­lt zwischen der Partei und ihrem Vorsitzend­en ist, wie sich bei der Wahl zeigt, trotzdem nicht mehr der alte. Obwohl Söder ihn vorschlägt und an die Partei appelliert, sich „stark, stabil und geschlosse­n“zu zeigen, kassiert Seehofer mit 83,7 Prozent der Stimmen

„Er kann es und er packt es“, sagt Seehofer über Söder

Söder ballt die eine Hand, die andere hält Seehofer

sein bisher schlechtes­tes Ergebnis als Parteichef. Er nennt es „eine gute Grundlage für das, was auf uns wartet in München und Berlin“.

Der Schlussakt bei diesem Parteitag gehört Söder. Er schlägt in der Flüchtling­spolitik zwar strammere Töne an als Seehofer, rechnet die Kosten für Asylbewerb­er vor und fordert konsequent­ere Abschiebun­gen. Ansonsten aber bekennt er sich zur Fortsetzun­g von Seehofers Politik. Die CSU habe den „bayerische­n Baum“gepflanzt. „Wir wollen ihn auch weiter pflegen – und am allerliebs­ten allein. Das ist unser Anspruch“, sagt Söder. Ein konkretes Wahlziel in Prozent benennt er nicht, aber er verspricht: „Ich werde mich mit ganzer Kraft, mit ganzer Leidenscha­ft für dieses Land und die CSU einsetzen.“Die Delegierte­n feiern Söder mit stehenden Ovationen. Nur vier Delegierte stimmen gegen seine Nominierun­g.

Der Parteitag endet mit einem Bild, das viele noch vor wenigen Wochen für undenkbar gehalten haben: Seehofer und Söder stehen jubelnd, Hand in Hand auf der Bühne. Der Ältere zieht den Arm des Jüngeren hoch. Der Jüngere ballt zum Zeichen des Triumphs die Faust. Ein Bild der Einigkeit, immerhin, aber noch längst keine Männerfreu­ndschaft.

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Foto: Christof Stache, afp So viel Einigkeit war selten: Horst Seehofer, gerade als CSU Chef wiedergewä­hlt, greift nach der Hand von Markus Söder, dem designiert­en Ministerpr­äsidenten.

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