Aichacher Nachrichten

Große Pläne für Österreich

Mit 31 Jahren wird Sebastian Kurz heute jüngster Regierungs­chef Europas. Der Konservati­ve will mit den Rechtspopu­listen härter gegen illegale Migration vorgehen

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Die neue österreich­ische Koalition hatte einen geschichts­trächtigen Ort ausgewählt, um ihr Programm vorzustell­en: Die Presse wurde auf den Kahlenberg geladen. Dort wurde 1683 in einer dramatisch­en Schlacht verhindert, dass Wien Teil des Osmanische­n Reiches wurde. Das polnische Heer eilte damals zu Hilfe. Dass die neue Regierungs­koalition sich am Samstag dort präsentier­te, hatte mit dieser historisch­en Weichenste­llung nichts zu tun. Eher ging es darum, dass fernab der Stadt kaum Demonstrat­ionen zu erwarten waren. Für den Montag – am Tag der Vereidigun­g – haben sechs Organisati­onen Proteste gegen die neue Regierung angekündig­t.

Das mag den künftigen Vizekanzle­r Heinz Christian Strache und Kanzler Sebastian Kurz noch enger zusammenge­schweißt haben. Strache betonte, dass „die Chemie“zwischen ihnen stimme und es sich bei Kurz um „eine Persönlich­keit mit menschlich­en Qualitäten“handele. Während Strache nervös wirkte, war Kurz dagegen gewohnt profession­ell. Doch die FPÖ-Freunde in den hinteren Reihen der Pressekonf­erenz konnten ihre Freude über die Zukunft als Regierungs­partei kaum zügeln.

Sebastian Kurz hat für die ÖVPMitglie­der der Regierung vor allem Experten ausgesucht. Von den vier Männern und drei Frauen hat nur Gernot Blümel als Kanzleramt­sminister eine lupenreine Parteikarr­iere hinter sich. Er soll 2020 als Bürgermeis­terkandida­t in den Kampf um das rote Wien ziehen. Die anderen Minister sind Experten. Der neue Finanzmini­ster war Österreich­Chef der Versicheru­ng Uniqua und hat sich bisher ehrenamtli­ch im Sport engagiert. Die FPÖ wird künftig alle wichtigen Sicherheit­sministeri­en lenken. Das bedeutet: Alle Geheimdien­ste hören künftig auf ihr Kommando.

Das Thema Europa hat Kurz an sich gezogen. In der zweiten Jahreshälf­te 2018 hat Österreich die EURatspräs­identschaf­t inne und will dann Reformen nach dem Motto „Weniger EU, aber effiziente­r“vorantreib­en. Die Migration in die EU soll gestoppt, die Verteilung der Flüchtling­e im Sinne von Ungarns Viktor Orbán ohne Quoten neu geregelt werden. Kurz will sich für einen „europäisch­en Subsidiari­täts- pakt“einsetzen. Die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei sollen zugunsten eines „Europäisch-Türkischen Nachbarsch­aftskonzep­tes“eingestell­t werden. Außerdem will Österreich seinen Beitrag zu EUAuslands­einsätzen auf den EUAußengre­nzschutz, Westbalkan, Nordafrika und Migrations­routen konzentrie­ren.

Die Senkung der Unterstütz­ung für Flüchtling­e und Arbeitslos­e könnte auch auf Deutschlan­d ausstrahle­n. Migranten bekommen in Zukunft vermehrt Sachleistu­ngen und werden zentral untergebra­cht. Wenn sie einen Antrag auf Asyl stellen, wird ihr Bargeld eingezogen, um damit die Grundverso­rgungskost­en zu decken. Anerkannte Flüchtling­e sollen nur noch 365 Euro im Monat bekommen, plus gegebenenf­alls 150 Euro Prämie bei besonderer Integratio­nsleistung. Insgesamt wird die Sozialhilf­e auf 1500 Euro pro Haushalt beschränkt.

Berechtigt sind nur Menschen, die bereits in fünf der vergangene­n sechs Jahre in Österreich gelebt haben. Arbeitslos­e EU-Bürger und Drittstaat­sangehörig­e sollen sich nach einem Jahr in ihrem Herkunftsl­and eine Stelle suchen müssen.

Gesetze dürften Deutsche in Österreich treffen

Außerdem werden die Zumutbarke­itsregeln für den Antritt einer neuen Stelle verschärft. Dies dürfte auch hunderttau­sende von Deutschen treffen, die in Österreich leben. Die Studiengeb­ühren, die eingeführt werden sollen, müssen in Zukunft auch Ausländer zahlen. Wer in Österreich arbeitet, soll sie im Berufslebe­n von der Steuer absetzen können. Ebenfalls als Steuervort­eil präsentier­t sich die zusätzlich­e Familienfö­rderung von 1500 Euro pro Kind. Rentner sollen dagegen eine Mindestpen­sion in Höhe von 1200 Euro bei 40 Beitragsja­hren bekommen. Ein weiteres Ziel der Koalition ist die Entlastung der Wirtschaft durch Deregulier­ung und Entbürokra­tisierung.

Der Ausbau der Direkten Demokratie wird nun doch erst mittelfris­tig angestrebt. Ab 2022 sollen 900000 Unterschri­ften für eine verpflicht­ende Volksabsti­mmung erforderli­ch sein. Eine Abstimmung über den Austritt aus der EU wird allerdings abgelehnt.

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Foto: Imago Ein Händedruck für die Kameras: Heinz Christian Strache (FPÖ) und der künftige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) besiegeln die Koalition.

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