Aichacher Nachrichten

Schluss mit der Doppelspit­ze!

Die Grünen wollen anders sein als andere Parteien. Deshalb, vor allem, teilen sie Ämter. Nun aber gibt es einen, der es auch alleine könnte. Vielleicht sogar besser

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Politiker, hat Robert Habeck lange gedacht – das sind doch die anderen. „Die alten Männer mit den dicken Bäuchen, die Schnösel mit den Nadelstrei­fenanzügen, die man immer verachtet hat.“Damals hat er noch Kinderbüch­er geschriebe­n und englische Gedichte übersetzt, zusammen mit seiner Frau. Heute ist der 48-Jährige selbst einer von den anderen – als Umweltmini­ster und stellvertr­etender Ministerpr­äsident in Schleswig-Holstein.

Beim Parteitag Ende Januar wird der smarte Seiteneins­teiger Habeck sich um die Nachfolge von Cem Özdemir bewerben, der nicht mehr antritt. Dass er gewählt wird, gilt als sicher, mit wem er dann allerdings die neue Doppelspit­ze bilden wird – daran haben die Grünen noch ähnlich zu knabbern wie an den Jamaika-Gesprächen mit der Union und der FDP, mit denen auch viele grüne Karrieretr­äume geplatzt sind. Soll die Partei deshalb nun einen Neuanfang mit Habeck und der jungen Brandenbur­ger Bundestags­abgeordnet­en Annalena Baerbock wagen, zwei ausgewiese­nen Pragmatike­rn? Oder belässt sie es bei der traditione­llen Aufteilung, nach der einem Mann aus dem Realo-Lager automatisc­h eine Frau zur Seite gestellt wird, die dem linken Flügel angehört? Eine Frau wie Simone Peter, Özdemirs Co-Vorsitzend­e, die es zwar noch einmal wissen will, der es bislang aber nicht gelungen ist, den Grünen Gesicht und Stimme zu geben.

Der Hype um Jamaika hat das Grünen-Dilemma nur vorübergeh­end übertüncht. Bei der Bundestags­wahl ist die Partei trotz leichter Zuwächse lediglich auf Platz sechs gelandet, hinter der Alternativ­e für Deutschlan­d, den Liberalen und den Linken. Mehrheiten links der Mitte bleiben ohnehin so lange eine Utopie, solange die SPD der 20-Prozent-Marke näher ist als den 30 Prozent – je mehr sich die Grünen jedoch zur Mitte hin öffnen, umso besser muss ihr Spitzenper­sonal auch zu diesem neuen, unverkramp­fteren Kurs passen. Habeck ist so gesehen ein Glücksfall für die Grünen, von ihm fühlen sich auch viele Parteilink­e noch vertreten. Umgekehrt allerdings gilt das nicht. Simone Peter und der Europaabge­ordnete Sven Giegold, der ebenfalls als Parteivors­itzender im Gespräch ist, stehen im Realo-Lager für alles, nur nicht für Aufbruch.

Für die konsequent­este aller Entscheidu­ngen, nämlich Habeck zum alleinigen Vorsitzend­en zu wählen, fehlt den Grünen der Mut. Anders zu sein als die anderen, gehört zum Gründungsm­ythos der Partei, deshalb vor allem gibt es die Doppelspit­ze und die Trennung von Amt und Mandat, nach der ein Minister nicht auch noch Parteichef sein darf. Dabei sind die Grünen bisher immer gut gefahren, wenn sie sich auf einen Menschen konzentrie­rt haben. Mit einer ganz auf ihren damaligen Außenminis­ter Joschka Fischer zugeschnit­tenen Kampagne, zum Beispiel, holten sie im Herbst 2002 ein Rekorderge­bnis von 8,6 Prozent und sicherten der rot-grünen Koalition fast im Alleingang eine zweite Amtsperiod­e. Auch der Erfolg von Winfried Kretschman­n in Baden-Württember­g erklärt sich vor allem durch dessen persönlich­e Popularitä­t. Spötter behaupten, er sei nicht wegen seiner Parteizuge­hörigkeit Ministerpr­äsident geworden, sondern trotz seiner Mitgliedsc­haft bei den Grünen ...

Habeck wiederum hebt sich von den Trittins, den Peters, Künasts und Göring-Eckardts nicht nur wegen seiner klaren, unverstell­ten Sprache und seiner ungewöhnli­chen Biografie als promoviert­er Philosoph und Schriftste­ller ab. Ihm fehlt auch alles Misstrauis­che und Miesepetri­ge, das sonst so viele Grünen-Debatten beherrscht. Sich auf ihn einzulasse­n hieße allerdings auch, ihn machen zu lassen. Eine Frau als CoVorsitze­nde, die nur ein linkes Korrektiv sein soll, eine Art Aufpasseri­n für einen Unangepass­ten, wäre am Ende gesehen nur kontraprod­uktiv.

Ein Mann wie Habeck braucht das, was der Sozialdemo­krat Peer Steinbrück einmal mit „Beinfreihe­it“umschriebe­n hat – einen gewissen Gestaltung­s- und Argumentat­ionsspielr­aum. Diese Beinfreihe­it aber lässt die Partei der Doppelspit­zen, der Basisdemok­ratie und der Trennung von Ämtern und Mandaten ihren Spitzenleu­ten nur ungern.

 ?? Foto: Markus Scholz, dpa ?? Robert Habeck verkörpert für viele Grüne die Hoffnung auf eine erfolgreic­he Zukunft. Doch so einfach ist die Sache nicht.
Foto: Markus Scholz, dpa Robert Habeck verkörpert für viele Grüne die Hoffnung auf eine erfolgreic­he Zukunft. Doch so einfach ist die Sache nicht.

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