Aichacher Nachrichten

„Früh ins Bett ist auch eine Haltung“

Der Dramatiker Michel Decar hat das Stück „Philipp Lahm“geschriebe­n. Der fiktive Fußballspi­eler ist das Symbol für ein Leben ohne Skandale – raffiniert, diese Provokatio­n

- VON RICHARD MAYR

München Wohin man auch schaut: Konflikte. Jedenfalls, wenn man die Nachrichte­n sieht oder wenn man ins Theater geht. Aber ist dieses Leben tatsächlic­h so unharmonis­ch, streitet man sich wirklich fortlaufen­d durch die Tage und Wochen? Genau da setzt der junge aus Augsburg stammende Dramatiker Michel Decar in seinem Stück „Philipp Lahm“an. Er präsentier­t den AntiHelden aller Spannung, Dramatik und Verwerfung. Seine Titelfigur freut sich über Maracujasa­ftschorle und weiße Nussschoko­lade. Wenn seine Schwester in der Disco blöd angemacht wird, regelt Philipp Lahm das nicht mit Fäusten, sondern mit Worten: „Wir haben die Sache ganz ruhig besprochen, er hat eingesehen, dass man so was nicht sagen darf, und sich entschuldi­gt“.

Im Marstall des Münchner Residenzth­eaters wurde das Stück am Samstag uraufgefüh­rt. Decar hätte für diese Idee keine bessere Figur erfinden können. Philipp Lahm, der deutsche Muster-Profi, der sich immer unter Kontrolle hatte, nie durch Eskapaden auffiel, der es sogar fertigbrac­hte, rechtzeiti­g abzutreten. Und alle, die sich vorab von dieser Uraufführu­ng ein spannendes Stück rund um die Weltmeiste­r-Biografie versprache­n, saßen einem Wunschtrau­m auf: Etwas Spannendes von und mit Philipp Lahm?

Mit Biografisc­hem setzt sich Decar in seinem Stück nicht auseinande­r, er erschafft eine Kunstfigur, die auch Fußballspi­eler ist, das Interesse gilt aber dem Typ Mensch: dem Skandallos­en oder – anders gesagt – dem ganz Normalen. Oder mit dem Bühnen-Lahm gesprochen: „Fern- und früh ins Bett gehen ist auch eine Haltung.“An der Stelle, an der der Dramatiker im Stück sich selbst zu Wort meldet, ist die Idee des Abends zu hören: „Lasst uns den ganzen Zwist heruntersc­hlucken, lasst uns diese Sehnsucht nach Streit und Gewalt begraben. Lasst uns für eine friedferti­ge Dramaturgi­e eintreten.“

Decar provoziert, in dem er sich auf der Bühne für Harmonie starkmacht. In diesen Momenten zeigt das Stück seine Raffinesse. Woher rührt das, dass in den Erzählunge­n immer Dramatik verlangt wird? Inwieweit passen die Erzählunge­n von der Welt tatsächlic­h zum Leben der Menschen? Und wie kann man mit Harmonie provoziere­n? Von Philipp Lahm kann man spielend leicht den Bogen zu Angela Merkel und der Wut spannen, den sie in Teilen der Bevölkerun­g entfacht.

Der echte Philipp Lahm hat die Münchner Uraufführu­ng nicht besucht. Er hätte Gunther Eckes als sein Alter Ego gesehen, der mit eisehen nem unerschütt­erlichen Optimismus und einer bescheiden­en Zufriedenh­eit diesen Bühnen-Lahm gegeben hat. All die Abgründe, die man sonst mit Theater verbindet, hat Regisseur Robert Gerloff in die Video-Animatione­n gepackt. Der Bühnen-Lahm hat sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen. Langer Applaus!

Weitere Termine am 21. Dezember und am 2., 10. und 17. Januar im Münchner Marstall

 ?? Foto: Julian Baumann, Residenzth­eater ?? Gunther Eckes als Philipp Lahm auf einem ganz normalen Sofa.
Foto: Julian Baumann, Residenzth­eater Gunther Eckes als Philipp Lahm auf einem ganz normalen Sofa.

Newspapers in German

Newspapers from Germany