Aichacher Nachrichten

Kann Eminem übers Wasser gehen?

Das Comeback des Superstars spaltet – aber nicht, weil er Trump mit Hitler vergleicht

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Er ist der erfolgreic­hste Rapper aller Zeiten, vom Rolling Stone zum „König des Hip-Hop“geadelt; als Weißer, aus einem Elendsvier­tel in Detroit, seit bald 20 Jahren ein Weltstar; ein wütendes Genie des Sprechgesa­ngs, das über alle Zeilenreim­e und damit über alle Knittelver­s-Probleme des Genres hinweg rhythmisch­e Wortsalven spuckt; der Frauen- und Schwulenfe­indlichkei­t bezichtigt, Mutter und ExFrau beschimpfe­nd, Michael Jackson und Mariah Carey erst recht; zweifacher Vater, vor zehn Jahren fast an einer Überdosis Methadon gestorben. Er ist: Geschichte?

Das war die Frage des Jahres im umsatzstär­ksten Musikmarkt der Welt. Gehört Marshall Mathers III. alias Eminem jetzt, mit 45 Jahren und 150 Millionen verkauften Tonträgern, zum alten Eisen, ist er angesichts aktueller Heldentate­n etwa von Kendrick Lamar irrelevant geworden? Hat er musikalisc­h dem boomenden Genre, hat er inhaltlich zum prekären Zustand der USA und der Welt noch was zu sagen? Jetzt ist, angeteaser­t durch ein aufsehener­regendes Internetvi­deo mit Trump-Beschimpfu­ngen vor einigen Wochen, die Antwort des Königs da.

„Revival“heißt das Album, und nicht nur der Titel, auch der Auftakt zeigt, dass Eminem weiß, worum es geht. Er rappt über all die Zweifel in „Walk on Water“selbst, nimmt Schmähunge­n, die nun tatsächlic­h über ihn hereinbrec­hen, vorweg, und Beyoncé trällert im Refrain: „Ich kann übers Wasser gehen, aber ich bin kein Jesus.“Und doch versucht er in 19 Tracks ein Wunder: es allen recht zu machen.

Vier Songs gegen Trump und Rassismus, in denen er den Präsidente­n mit Hitler vergleicht und dessen Tochter Ivanka plötzlich tot in seinem Kofferraum liegt; ebenso viele Songs, die seine Aufarbeitu­ng mit Ex-Frau und Töchtern fortschrei­ben, diesmal versöhnlic­h. Mit Pink, Alicia Keys und Ed Sheeran gibt’s Pop-Hits, in irren Samples von Joan Jetts „I Love Rock’n’Roll“und „Zombie“von den Cranberrie­s dröhnt die E-Gitarre, der Rest ist aufs Wesentlich­e reduzierte­r Hip-Hop. Ja, ein Produzente­n-Generalsta­b hat gebastelt, und der Flickentep­pich funktionie­rt auch. Aber das Wunder tritt nur ein, wenn allein das Genie herrscht, Eminem einfach rappt, mit Flow, ein bisschen wenig Witz, aber jeder Menge Wut, in teilweise rekordverd­ächtiger Geschwindi­gkeit.

Kein Desaster also. Aber ein König, der sich aus Sorge, seine Regentscha­ft einzubüßen, allen Erwartunge­n aussetzt und dadurch selbst kleinmacht. Dabei wäre seine bloße Kunst doch über allen Zeitgeist erhaben… So siegt 2017: Lamar.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany