„Es ist aus!“
Wenn Stalker sich nicht mit dem Ende einer Beziehung abfinden können
Mannheim Meist bekommt die Öffentlichkeit nichts davon mit. Nur das Opfer selbst und dessen Umfeld kennen die Anrufe, die Nachrichten per Mail, WhatsApp oder SMS, das Auflauern nach der Schule oder der Arbeit oder auf dem Nachhauseweg. Die Beleidigungen, die Sachbeschädigungen, die Handgreiflichkeiten. Psychoterror durch Stalking ist quälend und zermürbend für die, denen nachgestellt wird. Manchmal endet Stalking auch tödlich.
Schlagzeilen machten in diesem Jahr die Bluttaten in Eislingen bei Göppingen, als im Oktober ein Mann seiner Frau und deren Freund die Kehle durchschnitt und sich anschließend selbst erschoss. Oder als in Villingendorf bei Rottweil ein Sechsjähriger im September vom eigenen Vater erschossen wurde und auch der neue Partner der Mutter und dessen Cousine starben.
Dass Stalking so blutig eskaliert, ist zwar selten. Auch die extremen Fälle zeigen aber: Die meisten Stalker sind Ex-Partner, in etwa 60 Prozent der Fälle sei das so, erläutert Professor Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. Gemeinsam sei Stalkern ein hohes Maß an Kränkbarkeit und der Wunsch, Macht über ihr Opfer auszuüben.
Die Gefahr, die von stalkenden Ex-Partnern ausgeht, ist besonders groß: Viel intensivere Gefühle seien da im Spiel und das Risiko von Übergriffen durch die Intensität dieser Gefühle besonders hoch, erläutert Wolf Ortiz-Müller, Leiter der Beratungsstelle „Stop-Stalking“in Berlin. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern ging er 2008 einen ungewöhnlichen Weg und begann mit der Beratung von Tätern. Seit 2014 werden auch Opfer beraten. Strafverfolgung reiche nicht aus, damit Menschen dieses Verhalten aufgeben, betont Ortiz-Müller. Die zweithäufigste Gruppe sind laut Dreßing die gekränkten Stalker, die sich für ein tatsächlich oder vermeintlich erlittenes Unrecht rächen wollten.
Einer ZI-Studie aus dem Jahr 2006 zufolge wird mehr als jeder zehnte Deutsche einmal in seinem Leben gestalkt – eine Zahl, die heute noch gültig sei. Meist sind Frauen Opfer und Männer Täter. Trotz des inzwischen geschärften öffentlichen Bewusstseins und zahlreicher Beratungsstellen aber sinkt paradoxerweise die Zahl der Strafverfahren von Stalking bundesweit seit Jahren – laut Polizeilicher Kriminalstatistik von rund 29 300 Fällen im Jahr 2008 auf zuletzt 18700 im vergangenen Jahr. Das mag an der Scheu vieler Opfer vor einer Anzeige liegen. „Primär wollen sie ja einfach, dass es aufhört. Sie wollen nicht primär eine Strafe“, erläutert Ortiz-Müller. Experten wissen: Die Dunkelziffer ist weiter hoch – auch wenn es weniger Anzeigen gibt.
Im März dieses Jahres ist der sogenannte Nachstellungsparagraf 238 verschärft worden. Nicht mehr der Gestalkte muss beweisen, dass die Nachstellungen sein Leben zerstören. Sondern das Verhalten des Stalkers steht auf dem Prüfstand. Zwar ist das aus Sicht von Experten durchaus der richtige Weg. Manche sind dennoch skeptisch. „Der Anspruch an die Beeinträchtigung der Opfer ist weiterhin relativ hoch“, sagt etwa Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund.
Die Opferschutzvereinigung Weißer Ring sieht weiteren Handlungsbedarf. Bundesgeschäftsführering Bianca Biwer fordert, uneinsichtige Stalker, die schon mal gegen Schutzmaßnahmen für das Opfer verstoßen haben und deswegen verurteilt wurden, besser zu überwachen – beispielsweise mit elektronischen Fußfesseln.
Ortiz-Müller will hingegen, dass es gar nicht erst so weit kommt. Sein Credo ist, viel früher in die TäterOpfer-Arbeit einzusteigen und Täter vom Stalking abzubringen, bevor noch Schlimmeres passiert.