Streit um einen Pieks
Es ist eine brisante Frage: Soll man Eltern dazu verpflichten, ihre Kinder zu impfen? Was Experten aus Augsburg zum aktuellen gesetzlichen Stand und zur Situation vor Ort sagen
Es ist ein brisantes Thema. Sollte für Eltern die Pflicht bestehen, ihre Kinder impfen zu lassen? Josef Franz Lindner, Professor der Rechtswissenschaften an der Uni Augsburg, befasst sich seit über zehn Jahren mit dem Thema. Für eine generelle Impfpflicht schätzt er die Hürden in Deutschland enorm hoch ein. Er sagt: „Gerade bei der Grippe kann ich mir hierzulande zum Beispiel keine Pflicht vorstellen. Bei Masern sieht es da aber möglicherweise schon wieder anders aus.“Im Juli dieses Jahres hat die Regierung zumindest ein Gesetz verabschiedet, das Kindertagesstätten zukünftig verpflichtet, Eltern beim Gesundheitsamt zu melden, die keine Impfberatung für ihre Kinder nachweisen können.
Wie sehen die Folgen in der Stadt aus? Bereits seit 2015 ist zudem im Präventionsgesetz geregelt, dass Eltern, die ihre Kinder in einer Kinderbetreuungseinrichtung anmelden wollen, einen Nachweis über eine Impfberatung vorlegen müssen. Wer partout keine Impfberatung in Anspruch nehmen will, kann mit Bußgeldern bis 2500 Euro bestraft werden. In der Praxis scheint die Regelung in Augsburg zu funktionieren. „Ich muss sagen, die Eltern sind da ganz tapfer“, sagt Ruth Walter von der Kindergartenstätte St. Ulrich und Afra. „Bei uns haben alle Eltern eine Impfberatung mitgemacht und heuer sind sogar alle Kinder geimpft.“
Sollte allerdings jemand ohne das notwendige Kreuz im gelben U-Heft des Kindes zur Anmeldung kommen, wird er von Ruth Walter erst einmal zum Kinderarzt geschickt. Ob das Kind am Ende geimpft ist oder nicht, ist ihrer Meinung nach allein Sache der Eltern. Gerade die jedoch treibt zunehmend die Sorge um, ob sie – wie in den Nachbarländern auch – bald zur Impfung ihrer Kinder gesetzlich gezwungen werden könnten.
In Italien nämlich übertritt kein Kind mehr ungeimpft die Schwelle einer Kita. Auch französische Eltern müssen seit Längerem ihre Kleinen impfen lassen – gegen Tetanus, Polio, Diphtherie, ab 2018 gegen weitere Krankheiten. Spätestens seit dem Wiederaufflammen der Masern in Teilen Deutschlands ist eine Impfpflicht auch hier im Gespräch.
Im ersten Vortrag der Reihe „Gesundheitsdialog“des Zentrums für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung (ZIG) der Universität Augsburg befassten sich daher gleich mehrere Referenten mit dem Thema „Impfpflicht“. Jeweils ein Ökonom, Jurist und Philosoph beleuchteten die aus ihrer Sicht notwendige Aufklärungsarbeit. Denn in einem noch nicht erschienenen Aufsatz weist Robert Nuscheler, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Augsburg und einer der Referenten, darauf hin, dass bei einem „nur“mittleren sozio-ökonomischen Status, die Impfquote am höchsten ausfällt. Konkret heißt das: Impfgegner bewegen sich besonders innerhalb der sogenannten hohen Bildungs- und Gesellschaftsschicht.
Der Grund dafür: Gerade Akademiker-Eltern durchstöbern das In- ternet gerne, um sich dort umfangreich zu informieren. Dabei stoßen sie zwangläufig auch auf Quellen, die wissenschaftlich schlicht falsch sind. Wie jene Studie, die MasernImpfung als eine Ursache für Autismus-Erkrankungen ausmachte. Die Studie stammt von Impfgegner Andrew Wakefield, aus dem Jahr 1998. Sie ist heute vollständig diskreditiert. Denn hier wurde nicht nur unsauber gearbeitet, es wurden auch nachweislich Daten gefälscht.
Impfgegner lassen sich von solchen Argumenten allerdings kaum beeindrucken. Das stellt zumindest Kinderarzt Wolfgang Klein in seiner Praxis immer wieder fest. Darum wäre er für die Impfpflicht, zumindest bei den Masern. „Einige Eltern haben Ängste vor Nebenwirkungen und Schäden“, sagt er. Diese Ängste ließen sich kaum entkräften; die Eltern fassten das Thema emotional und nicht rational auf und gingen vom Einzelfall aus. „Das artet in langen Diskussionen aus.“Viele seien für eine neutrale Beratung nicht mehr zugänglich. Das gehe in der Regel zulasten des Kindes.
Dabei ist es die Aufgabe des Staates, Infektionskrankheiten zu bekämpfen und damit die Bevölkerung zu schützen. Als Rechtsgrundlage dafür gilt das Infektionsschutzgesetz. Mit dem Paragrafen 20 des Infektionsschutzgesetzes findet sich dort auch die passende Norm, die eine Impfpflicht ermöglicht. Allerdings unter sehr hohen Voraussetzungen. Zum einen gilt sie nur für bedrohte Teile der Bevölkerung, zum anderen müsste es sich um eine schwere Krankheit halten und es müsste die Gefahr einer Epidemie bestehen. Eine generelle Impfpflicht kann eine Regierung mit dieser Regelung nicht bewirken.
Jura-Professor Josef Franz Lindner von der Uni Augsburg sagt, die größte Hürde für eine Impfpflicht steht im Grundgesetz und dem darin versicherten Schutz auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht des Bürgers kann jedoch durchaus eingeschränkt werden, und zwar dann, wenn ein Gesetz einen derartigen Eingriff formuliert.
Solche Normen kann man im Gesetz zuhauf finden, man denke an die Entnahme von Blutproben durch die Polizei. Eine Norm, die in ein Grundrecht eingreift, muss allerdings erst einmal verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein – wie der Jurist sagt. Lindner sieht diese Rechtfertigung für den Fall einer generellen Impfpflicht kaum. „Ich halte das Prinzip der Freiwilligkeit für richtig. Nur bei schweren Infektionen muss es die Möglichkeit eines Zwangs geben.“
Diese Möglichkeit ist bereits gegeben. Lindner sagt: „Die Vernunft sollte einem sagen, ich lasse mich freiwillig impfen“. Selbst dann, wenn man die Impfung für die eigene Gesundheit oder die des Kindes nicht für notwendig hält, denn es gehe ferner darum, andere vor einer Infektion zu schützen. Es handele sich somit eben um ein Opfer für die Gemeinschaft.
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Der zweite Gesundheitsdialog des
ZIG in diesem Wintersemester findet am Mittwoch, 17. Januar, um 18 Uhr im Zeughaus statt. Thema wird sein: „Frauengesundheit – was hilft, was scha det, was überflüssig ist.“
Impfgegner haben oft einen hohen Bildungsgrad