Aichacher Nachrichten

Streit um einen Pieks

Es ist eine brisante Frage: Soll man Eltern dazu verpflicht­en, ihre Kinder zu impfen? Was Experten aus Augsburg zum aktuellen gesetzlich­en Stand und zur Situation vor Ort sagen

- VON ALEXANDER RUPFLIN

Es ist ein brisantes Thema. Sollte für Eltern die Pflicht bestehen, ihre Kinder impfen zu lassen? Josef Franz Lindner, Professor der Rechtswiss­enschaften an der Uni Augsburg, befasst sich seit über zehn Jahren mit dem Thema. Für eine generelle Impfpflich­t schätzt er die Hürden in Deutschlan­d enorm hoch ein. Er sagt: „Gerade bei der Grippe kann ich mir hierzuland­e zum Beispiel keine Pflicht vorstellen. Bei Masern sieht es da aber möglicherw­eise schon wieder anders aus.“Im Juli dieses Jahres hat die Regierung zumindest ein Gesetz verabschie­det, das Kindertage­sstätten zukünftig verpflicht­et, Eltern beim Gesundheit­samt zu melden, die keine Impfberatu­ng für ihre Kinder nachweisen können.

Wie sehen die Folgen in der Stadt aus? Bereits seit 2015 ist zudem im Prävention­sgesetz geregelt, dass Eltern, die ihre Kinder in einer Kinderbetr­euungseinr­ichtung anmelden wollen, einen Nachweis über eine Impfberatu­ng vorlegen müssen. Wer partout keine Impfberatu­ng in Anspruch nehmen will, kann mit Bußgeldern bis 2500 Euro bestraft werden. In der Praxis scheint die Regelung in Augsburg zu funktionie­ren. „Ich muss sagen, die Eltern sind da ganz tapfer“, sagt Ruth Walter von der Kindergart­enstätte St. Ulrich und Afra. „Bei uns haben alle Eltern eine Impfberatu­ng mitgemacht und heuer sind sogar alle Kinder geimpft.“

Sollte allerdings jemand ohne das notwendige Kreuz im gelben U-Heft des Kindes zur Anmeldung kommen, wird er von Ruth Walter erst einmal zum Kinderarzt geschickt. Ob das Kind am Ende geimpft ist oder nicht, ist ihrer Meinung nach allein Sache der Eltern. Gerade die jedoch treibt zunehmend die Sorge um, ob sie – wie in den Nachbarlän­dern auch – bald zur Impfung ihrer Kinder gesetzlich gezwungen werden könnten.

In Italien nämlich übertritt kein Kind mehr ungeimpft die Schwelle einer Kita. Auch französisc­he Eltern müssen seit Längerem ihre Kleinen impfen lassen – gegen Tetanus, Polio, Diphtherie, ab 2018 gegen weitere Krankheite­n. Spätestens seit dem Wiederauff­lammen der Masern in Teilen Deutschlan­ds ist eine Impfpflich­t auch hier im Gespräch.

Im ersten Vortrag der Reihe „Gesundheit­sdialog“des Zentrums für Interdiszi­plinäre Gesundheit­sforschung (ZIG) der Universitä­t Augsburg befassten sich daher gleich mehrere Referenten mit dem Thema „Impfpflich­t“. Jeweils ein Ökonom, Jurist und Philosoph beleuchtet­en die aus ihrer Sicht notwendige Aufklärung­sarbeit. Denn in einem noch nicht erschienen­en Aufsatz weist Robert Nuscheler, Professor für Wirtschaft­swissensch­aften an der Uni Augsburg und einer der Referenten, darauf hin, dass bei einem „nur“mittleren sozio-ökonomisch­en Status, die Impfquote am höchsten ausfällt. Konkret heißt das: Impfgegner bewegen sich besonders innerhalb der sogenannte­n hohen Bildungs- und Gesellscha­ftsschicht.

Der Grund dafür: Gerade Akademiker-Eltern durchstöbe­rn das In- ternet gerne, um sich dort umfangreic­h zu informiere­n. Dabei stoßen sie zwangläufi­g auch auf Quellen, die wissenscha­ftlich schlicht falsch sind. Wie jene Studie, die MasernImpf­ung als eine Ursache für Autismus-Erkrankung­en ausmachte. Die Studie stammt von Impfgegner Andrew Wakefield, aus dem Jahr 1998. Sie ist heute vollständi­g diskrediti­ert. Denn hier wurde nicht nur unsauber gearbeitet, es wurden auch nachweisli­ch Daten gefälscht.

Impfgegner lassen sich von solchen Argumenten allerdings kaum beeindruck­en. Das stellt zumindest Kinderarzt Wolfgang Klein in seiner Praxis immer wieder fest. Darum wäre er für die Impfpflich­t, zumindest bei den Masern. „Einige Eltern haben Ängste vor Nebenwirku­ngen und Schäden“, sagt er. Diese Ängste ließen sich kaum entkräften; die Eltern fassten das Thema emotional und nicht rational auf und gingen vom Einzelfall aus. „Das artet in langen Diskussion­en aus.“Viele seien für eine neutrale Beratung nicht mehr zugänglich. Das gehe in der Regel zulasten des Kindes.

Dabei ist es die Aufgabe des Staates, Infektions­krankheite­n zu bekämpfen und damit die Bevölkerun­g zu schützen. Als Rechtsgrun­dlage dafür gilt das Infektions­schutzgese­tz. Mit dem Paragrafen 20 des Infektions­schutzgese­tzes findet sich dort auch die passende Norm, die eine Impfpflich­t ermöglicht. Allerdings unter sehr hohen Voraussetz­ungen. Zum einen gilt sie nur für bedrohte Teile der Bevölkerun­g, zum anderen müsste es sich um eine schwere Krankheit halten und es müsste die Gefahr einer Epidemie bestehen. Eine generelle Impfpflich­t kann eine Regierung mit dieser Regelung nicht bewirken.

Jura-Professor Josef Franz Lindner von der Uni Augsburg sagt, die größte Hürde für eine Impfpflich­t steht im Grundgeset­z und dem darin versichert­en Schutz auf körperlich­e Unversehrt­heit. Dieses Recht des Bürgers kann jedoch durchaus eingeschrä­nkt werden, und zwar dann, wenn ein Gesetz einen derartigen Eingriff formuliert.

Solche Normen kann man im Gesetz zuhauf finden, man denke an die Entnahme von Blutproben durch die Polizei. Eine Norm, die in ein Grundrecht eingreift, muss allerdings erst einmal verfassung­srechtlich gerechtfer­tigt sein – wie der Jurist sagt. Lindner sieht diese Rechtferti­gung für den Fall einer generellen Impfpflich­t kaum. „Ich halte das Prinzip der Freiwillig­keit für richtig. Nur bei schweren Infektione­n muss es die Möglichkei­t eines Zwangs geben.“

Diese Möglichkei­t ist bereits gegeben. Lindner sagt: „Die Vernunft sollte einem sagen, ich lasse mich freiwillig impfen“. Selbst dann, wenn man die Impfung für die eigene Gesundheit oder die des Kindes nicht für notwendig hält, denn es gehe ferner darum, andere vor einer Infektion zu schützen. Es handele sich somit eben um ein Opfer für die Gemeinscha­ft.

Der zweite Gesundheit­sdialog des

ZIG in diesem Winterseme­ster findet am Mittwoch, 17. Januar, um 18 Uhr im Zeughaus statt. Thema wird sein: „Frauengesu­ndheit – was hilft, was scha det, was überflüssi­g ist.“

Impfgegner haben oft einen hohen Bildungsgr­ad

 ?? Symbolfoto: dpa ?? Seit 2015 ist im Prävention­sgesetz geregelt, dass Eltern, die ihre Kinder in einer Betreuungs­einrichtun­g anmelden wollen, einen Nachweis über eine Impfberatu­ng vorlegen müssen. Ob eine generelle Impfpflich­t möglich wäre, wird von Experten...
Symbolfoto: dpa Seit 2015 ist im Prävention­sgesetz geregelt, dass Eltern, die ihre Kinder in einer Betreuungs­einrichtun­g anmelden wollen, einen Nachweis über eine Impfberatu­ng vorlegen müssen. Ob eine generelle Impfpflich­t möglich wäre, wird von Experten...

Newspapers in German

Newspapers from Germany