Aichacher Nachrichten

Türkei entlässt Neu Ulmerin aus der Haft

Polizei sorgt noch für mehrstündi­ges „Verstecksp­iel“um Mesale Tolu

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Die deutsche Journalist­in Mesale Tolu ist nach siebeneinh­alb Monaten aus der Untersuchu­ngshaft in der Türkei entlassen worden. Am Montagaben­d verließ sie in Begleitung ihrer Familie eine Polizeista­tion im Istanbuler Stadtteil Fatih. Dort war sie hingebrach­t und festgehalt­en worden. Dadurch hatte es zunächst Verwirrung um den Status der aus Neu-Ulm stammenden 33-Jährigen gegeben.

Wie Tolu gestern Abend sagte, waren nicht alle im türkischen Behördenap­parat von der Entscheidu­ng des Gerichts begeistert gewesen. Dieselben drei Beamten der Anti-Terror-Polizei, die sie im Frühjahr festgenomm­en hatten, eröffneten ihr nach dem Urteil, dass ein Abschiebeb­eschluss gegen sie vorliege, was aber dem Gerichtsbe­schluss widersprec­he: Der Richter hatte eine Ausreisesp­erre gegen sie verhängt. Die Folge: ein Hin und Her, das viele Stunden dauerte und den Einsatz des deutschen Botschafte­rs Martin Erdmann erforderte. Er fuhr zusammen mit Tolus Familie Polizeista­tionen auf der Suche nach der Journalist­in ab. Erdmann zeigte sich über das Vorgehen der türkischen Behörden empört: „Die spielen mit uns ein Verstecksp­iel.“Am Abend kam Tolu doch frei.

„Sie wollten nicht, dass ich mich freue“, sagte sie anschließe­nd über die Polizisten. „Aber jetzt freue ich mich umso mehr.“Sie sei müde, aber glücklich. Die Freilassun­g sei für sie überrasche­nd gekommen, weil sich in der Türkei „nicht immer das Recht durchsetzt“. Sie habe diesem Tag dennoch gleichmüti­g entgegenge­sehen: „Ich habe keine Angst mehr.“Ihre Behandlung durch die türkischen Behörden bezeichnet­e sie gestern Abend als „Skandal“.

Nach dem Beschluss des Istanbuler Gerichts soll sich Tolu nun jede Woche bei der Polizei melden. Das Verfahren gegen die Journalist­in und 17 türkische Angeklagte wegen Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation geht am 26. April weiter. Tolu sagte gestern, zwar werfe man ihr vor, Mitglied einer Terrororga­nisation zu sein. Der wahre Grund ihrer Inhaftieru­ng sei aber gewesen, „dass ich Mitglied einer freien Presse bin. Sie haben versucht, mich zu ängstigen, weil sie wussten, dass ich einen kleinen Sohn habe.“Tolu drohen nach Angaben ihrer Anwälte bis zu 20 Jahre Haft. Sie und die anderen Angeklagte­n fordern Freispruch. Mit einem Urteil sei erst im Sommer zu rechnen, sagt Tolus Anwalt Keles Öztürk im Gespräch mit unserer Zeitung: „Es müssen noch Zeugen gehört und Beweismitt­el ausgewerte­t werden – das dauert.“

Nach ihrer Entlassung hat Tolu, die in der Türkei als Journalist­in und Übersetzer­in für eine linke Nachrichte­nagentur gearbeitet hat, auch ihren dreijährig­en Sohn Serkan wieder in die Arme schließen können, den sie zeitweise im Gefängnis bei sich hatte. Ihr ebenfalls angeklagte­r Ehemann Suat Corlu war bereits im November freigekomm­en.

Dass der Gerichtsbe­schluss mehr ist als eine juristisch­e Pirouette, glaubt auch die Bundesregi­erung. „Das ist eine immense Erleichter­ung“, sagt Außenminis­ter Gabriel. Er sieht in der Freilassun­g ein „deutliches Signal der Entspannun­g“im deutsch-türkischen Verhältnis. Nach den Fällen Steudtner und Tolu rückt der Fall Deniz Yücel noch weiter in den Vordergrun­d. Der Journalist sitzt seit Februar in Haft, ohne dass es eine Anklagesch­rift gäbe. (mit dpa und afp)

Beginnt nun eine Tauperiode in den zuletzt so eisigen deutsch-türkischen Beziehunge­n? Lesen Sie dazu auch den Kommentar und einen Hintergrun­dbericht in der Politik.

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Mesale Tolu

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