Aichacher Nachrichten

Dieser Anschlag ist ein Synonym des Scheiterns

Heute vor einem Jahr starben zwölf Menschen auf dem Weihnachts­markt in Berlin. Im Umgang mit dem Täter wie mit den Opfern wurde vieles falsch gemacht

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Es hätte nicht passieren dürfen. Heute vor einem Jahr geschah, wovor sich alle fürchteten und von dem alle hofften, dass es nie eintreten würde. Deutschlan­d wurde zum Ziel eines islamistis­ch motivierte­n Terroransc­hlags. Zwölf Menschen, die in vorweihnac­htlicher Stimmung den Weihnachts­markt an der Berliner Gedächtnis­kirche besuchten, verloren dabei ihr Leben, 70 weitere wurden verletzt, manche so schwer, dass sie ihr Leben lang Pflegefäll­e bleiben.

Im Rückblick ist offensicht­lich: Vor dem Anschlag und nach dem Anschlag wurde im Umgang mit dem Attentäter wie im Umgang mit Hinterblie­benen und Verletzten unglaublic­h geschlampt. Im Zuge der Ermittlung­en und der Recherchen kamen ein beispiello­ses Versagen der Sicherheit­sinstituti­onen und ein kalter, fast schon abweisende­r Ton der zuständige­n Ämter und Behörden den Opfern und den Angehörige­n gegenüber zum Vorschein. In der Fixierung auf die Tat und den Täter blieben die Betroffene­n auf der Strecke.

Die bittere Wahrheit ist: Es wurde alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Erst konnte die Tat nicht verhindert werden, obwohl der Tunesier Anis Amri als Gefährder bekannt war, abgeschobe­n werden sollte und, wie neueste Berichte offenbaren, sogar von einem V-Mann des Verfassung­sschutzes überwacht wurde, danach wurden die Opfer mit ihrem Schmerz und ihren handfesten Problemen alleine gelassen. Der vor wenigen Tagen vorgestell­te Abschlussb­ericht des Opferbeauf­tragten Kurt Beck ist ein Dokument der Mängel und Defizite, der offene Brief der Opfer an Bundeskanz­lerin Angela Merkel ein einziger Hilferuf. Dass sie sich erst jetzt, nach einem Jahr, mit ihnen traf, spricht Bände, dass es bis heute keinen zentralen Trauerakt gab, in dem die Spitzen des Staates kondoliert­en, ist ein nicht wiedergutz­umachendes Versäumnis. Von den dürftigen Entschädig­ungsleistu­ngen ganz zu schweigen.

Deutschlan­d war, wie es der Opferbeauf­tragte Kurt Beck nüchtern konstatier­t, auf einen Anschlag in einer derartigen Größenordn­ung nicht vorbereite­t. Man vertraute den Sicherheit­sbehörden, die nach Angaben von Innenminis­ter Thomas de Maizière seit dem Jahr 2000 bereits 16 geplante Anschläge vereitelte­n, davon allein drei in diesem Jahr. Und man hoffte trotz der seit Jahren angespannt­en Sicherheit­slage, weiterhin auch Glück zu haben. Warum sich ausgerechn­et im Fall Amri die Pannen häuften, alle Warnhinwei­se übersehen wurden und Amri durch alle Maschen schlüpfen konnte, wird ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags zu klären versuchen. Er sollte sich, wie im Falle der Mordserie der rechtsextr­emistische­n Terrorzell­e NSU, auch nicht scheuen, als Konsequenz seiner Arbeit weitere Verbesseru­ngen vorzuschla­gen, liegt doch beim Austausch der Informatio­nen zwischen den verschiede­nen Behörden der Länder und des Bundes einiges im Argen.

Mitgefühl und Anteilnahm­e hingegen lassen sich nicht verordnen. Es war verständli­ch und in gewisser Weise ein Schutzrefl­ex, dass die Menschen nach dem Anschlag relativ schnell wieder zur Tagesordnu­ng übergingen und den Mörderband­en des IS auf diese Weise auch ihre Verachtung zeigten. Und doch entlässt dies die Behörden nicht aus der Verantwort­ung, mit den Opfern eines Anschlags besonders sensibel umzugehen. Vor allem aber gilt es, nie mehr den Missstand zuzulassen, der am Anfang der schicksalh­aften Kette stand: Der Staat muss wissen, wer ins Land kommt. Der Kontrollve­rlust des Jahres 2015, als massenweis­e Menschen ohne Papiere einreisten und sich, wie Amri, mehrfache Identitäte­n zulegen konnten, wiegt schwer. Es hätte nicht passieren dürfen.

Der Staat muss wissen, wer ins Land kommt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany