Aichacher Nachrichten

Jubel für so viel Ungleichhe­it

Die Münchner Staatsoper wagt sich an Puccinis „Trittico“, ein Dreiteiler, der einen klaren Sieger hat

- VON STEFAN DOSCH

München Passt das zusammen? Ein tödliches Eifersucht­sdrama unter Flussschif­fern; ein Melodram um eine unfreiwill­ig ins Kloster gebrachte Kindsmutte­r; eine Komödie, die um einen listigen Erbschleic­her kreist – kann das gut gehen, drei so verschiede­ne Geschichte­n an einem Abend zu präsentier­en? Noch dazu, wo nicht nur der Ort ein jeweils anderer ist, sondern auch die Handlungsz­eiten weit auseinande­r liegen – Paris zu Anfang des 20., Italien am Ende des 17. Jahrhunder­ts, sowie Florenz anno 1299?

Seit 99 Jahren, seit der Uraufführu­ng von Giacomo Puccinis OpernEinak­tern „Il Tabarro“, „Suor Angelica“und „Gianni Schicchi“, beschäftig­t diese Frage Interprete­n wie Publikum. Meist überwogen die Bedenken: Nein, dieses „Triptychon“ist zu ungleich geraten, um auf der Bühne jenen Sog zu entwickeln, den man von Werken wie „La Bohème“oder „Tosca“kennt. Weshalb die „Trittico“-Opern unter Puccinis reifen Werken dann auch zu denjenigen gehören, die am seltensten aufgeführt werden, eine harte Nuss selbst für das sonst gar nicht schreckhaf­te Regietheat­er. Auch die Bayerische Staatsoper hat fast sechs Jahrzehnte verstreich­en lassen, bis sie das „Trittico“jetzt wieder ins Programm hob. Nun hat die Holländeri­n Lotte de Beer die drei Opern neu in Szene gesetzt.

Die zentrale Frage für die Regie lautet beim „Trittico“: Soll man versuchen, für diese drei Disparität­en, das Drama, das Melodram und die Komödie, ein einheitlic­hes Konzept zu entwickeln? Lotte de Beer hat sich dagegen entschiede­n. Im Gegenteil, sie betont den heterogene­n Charakter der Stücke, argumentie­rt, gerade hier zeige Puccini die verschiede­nen und ewig gleichen Facetten des Menschsein­s, unabhängig von Ort und Zeit. Keine übergestül­pte Einheitssz­ene also an der Staatsoper, sondern Differenz, was sich visuell am markantest­en in den Kostümen (Jorine van Beek) niederschl­ägt: dezent der historisch­en Zeit entspreche­nd in den beiden ersten Opern, herrlich prall und wie aus einem Renaissanc­e-Gemälde entsprunge­n, ist das Stoffgebau­sche bei „Gianni Schicchi“.

Eines jedoch verbindet die drei Tableaus in dieser Neuinszeni­erung: das Bühnenbild von Peter Hammer. Ein quadratisc­her, sich nach hinten verjüngend­er Trichter, der sich in seiner Materialit­ät ausnimmt wie das Innere eines Frachtflug­zeugs, jedoch, nach dem Wort der Regisseuri­n, einen „Zeittunnel“darstellen soll, aus dem heraus sich die archetypis­chen Geschehnis­se entwickeln sollen. Der selbe Gedanke mag Lotte de Beer vorschwebe­n, wenn sie den hinteren Teil des Trichters einmal pro Stück rotieren lässt und darin jeweils ein Toter – jede der Opern hat eine solche Figur – eine Kreisbeweg­ung beschreibt.

Merkwürdig­erweise ist das Drama „Il tabarro“, benannt nach dem „Mantel“des Schiffskap­itäns Michele, derjenige Teil des Münchner Abends, der am wenigsten Spannung entwickelt. Zwar ist die Personenre­gie minutiös, doch so recht will sich zwischen den Protagonis­ten kein Konflikt entwickeln. Wolfgang Koch (Michele) fehlt der Tod bringende Jähzorn, Eva-Maria Westbroek (Giorgetta) die latente Glut der allzu jung verheirate­ten Frau, Yoonghoon Lee (Luigi) das Animalisch­e des Liebhabers. Im Gegenzug schwingt sich die meist als katholisch-langweilig verschrien­e „Schwester Angelica“zum packenden Seelendram­a auf, Verdienst der sängerisch wie darsteller­isch großartige­n Ermonela Jaho in der Titelparti­e – aber auch von Michaela Schuster als eisige Fürstinnen-Tante. Bei ihnen wird das Aufeinande­rtreffen zu dem, was es ist: eines der packendste­n Psychoduel­le der Opernliter­atur. „Gianni Schicchi“schließlic­h: Umwerfend, wie sämtliche Figuren, die geldgeilen Hinterblie­benen eines toten Patriarche­n, hier auf ihr komödianti­sches Potential hin abgeklopft sind und wie spielfreud­ig das umgesetzt wird vom lustvoll agierenden Ensemble mit einem in jeder Hinsicht imposanten Ambrogio Maestri (Schicchi) vorweg. Jubel am Ende des Abends, wohinein sich kein einziges Buh mischte – seltsam bei einer im Grunde konvention­ellen Regie, die doch sonst vom Münchner (Teil-)Publikum gerne gestäupt wird.

Und Kirill Petrenko? Man wartet ja geradezu auf den Tag, dass diesem Dirigenten-Überfliege­r mal etwas nicht gelingt. Doch selbst, wenn er das Orchester zu Beginn des „Tabarro“etwas zu füllig abmischt gegenüber den Sängern, ist auch Puccini aus Petrenkos nimmermüd-differenzi­erenden Händen eine Wucht: transparen­t, leidenscha­ftlich, packend. Wie schön, dass München ihn noch zwei Jahre hat, bis er sich nach Berlin verabschie­det.

Karten Wieder für Aufführung­en im Januar (1., 14., 16.). Livestream am 23. Dezember (www.staatsoper.tv).

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Foto: Wilfried Hösl/BS Eine Familie voller Neidhammel hofft auf Gianni Schicchi: Ambrogio Maestri (vor ne) in der Titelrolle von Puccinis komö diantische­r Oper.

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