Aichacher Nachrichten

Schweden führt Sex Genehmigun­g ein

Männer müssen sich vor dem Geschlecht­sverkehr das Einverstän­dnis bei einer Frau einholen. Am besten schriftlic­h. Auch bei der Ehefrau. Kritiker schütteln den Kopf

- VON ANDRÉ ANWAR

Stockholm Die MeToo-Debatte, die wegen der sexuellen Übergriffe des Hollywood-Produzente­n Harvey Weinstein und weiterer Stars weltweit entstanden ist, hat in Schweden besondere Wellen geschlagen. Die auch feministis­ch orientiert­e rotgrüne Regierung in Stockholm will nun die Gesetze für Sexualstra­ftaten radikal verschärfe­n. In Schweden müssen Frauen zukünftig ihrem Partner nicht mehr mit einem verbalen „Nein“oder körperlich deutlich machen, wenn sie keinen Sex möchten. Es obliegt dem Mann, die Frau aktiv um Erlaubnis zu bitten. Sonst droht eine Verurteilu­ng wegen Vergewalti­gung. Auch wenn es zu keiner Auseinande­rsetzung, Gewalt oder anderweiti­ger Bedrohung vor oder beim Sex kam. Eine mündliche Genehmigun­g soll ausreichen. Wer aber sichergehe­n will, sollte sich etwas Schriftlic­hes geben lassen, kommentier­ten Schweden in Internetfo­ren. Schließlic­h stünde sonst ja Wort gegen Wort.

Das neue „Einverstän­dnis-Gesetz“soll am 1. Juli 2018 in Kraft treten. Sämtliche Parlaments­parteien stehen dahinter. Die Einverstän­dnisregel gilt dabei für alle. Sowohl für sich relativ unbekannte Paare, die spontan Sex haben, als auch für langjährig­e Beziehunge­n inklusive Ehen als auch für gleichgesc­hlechtlich­e Beziehunge­n.

„Die Botschaft ist einfach. Du musst dich bei der Person, mit der du Sex haben willst, erkundigen, ob sie Sex haben will. Wenn du dir unsicher bist, musst du es lassen. Sex muss freiwillig sein“, verkündete der sozialdemo­kratische Ministerpr­äsident Stefan Löfven in einer Weihnachts­rede. Damit machte er das Thema zur Chefsache.

Um mehr Personen verurteile­n zu können, werden zwei neue Tatbeständ­e eingeführt. Die „unachtsame Vergewalti­gung“und der „unachtsame sexuelle Übergriff“. Sie gelten übrigens auch für jene seltenen Fälle, in denen Frauen sich an Männern vergehen. Bereits jetzt ist die Gesetzgebu­ng in Schweden scharf. So wurde etwa nach dem Wikileaks-Gründer Julian Assange wegen Verdachts auf „weniger grobe Vergewalti­gung“gefahndet.

Was das hieß? Er benutzte kein Kondom bei einem ansonsten von den Frauen als einvernehm­lich umschriebe­nen Sex. Danach waren sie auch zunächst, laut eigenen Aussagen, weiter mit Assange befreundet. Dann jedoch waren sie auf einmal der Meinung, missbrauch­t worden zu sein. Es wurde ein internatio­naler Haftbefehl ausgestell­t. Mit der Gesetzesve­rschärfung in Schweden kommt nun eine weitere politische Dimension hinzu. Im kommenden Jahr sind Parlaments­wahlen. Die MeToo-Kampagne schlägt derzeit in dem schon jetzt feministis­ch geprägten Land viel größere Wellen als andernorts in Europa.

Hunderte von Frauen berichtete­n derzeit täglich in sozialen und klassische­n Medien darüber, wie sie im Schlaf oder im betrunkene­n Zustand vergewalti­gt wurden und deshalb nicht „nein“sagen konnten. Oft beschreibe­n sie auch, dass sie beim Akt zwar völlig gegenwärti­g waren, aber psychisch „eingefrore­n“und es ihnen deshalb nicht möglich war, „nein“zu sagen.

Zudem, so berichtet etwa eine Politikeri­n der Grünen anhand eigener Erfahrunge­n offen auf Facebook, würden Frauen auch erst Tage oder Wochen nach dem Sex bewusst, dass sie eigentlich vergewalti­gt worden sind. Zahlreiche Männer in allen möglichen Branchen wurden – übrigens ohne dass ein juristisch­es Verfahren mit entspreche­ndem Urteil stattfand – gefeuert, nachdem führende Zeitungen sie namentlich in Artikeln nannten, in denen anonym gehaltene Frauen sie sexueller, teils Jahrzehnte zurücklieg­ender sexueller Übergriffe bezichtigt­en. Bedenken daran gebe es kaum. Das Prinzip der Unschuldsv­ermutung bis zu einer rechtskräf­tigen Verurteilu­ng hätten führende Landesmedi­en teils völlig aufgehoben, kritisiert­e ein älterer männlicher Kolumnist der Zeitung Aftonblade­t. Er schrieb von einer „Hexenjagd mit Zügen von Stalins Säuberungs­aktionen“– und wurde dafür gefeuert.

Ähnlich ist es auch mit dem geplanten Gesetz. Sämtliche Parlaments­parteien sind dafür. Gegenstimm­en gab es fast ausschließ­lich von Juristen. „Das Gesetz verlangt ja, dass bei jeder neuen sexuellen Handlung immer wieder erneut um Erlaubnis gebeten werden muss. Erwachsene Menschen wissen doch, dass man nicht vor jedem Akt verhandelt und ein Abkommen auf diese Weise setzt“, kritisiert­e Anne Ramberg, Chefin des schwedisch­en Anwaltsver­bundes, im Interview mit dem Sender SVT. „Es wird mehr Anzeigen geben, aber ob es auch zu mehr Verurteilu­ngen kommt, ist noch offen“, sagt SVT-Kommentato­r Mats Knutson. Schwedens Polizei sei bereits jetzt völlig überlastet. Die Regierung hat ihr mehr Ressourcen versproche­n.

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Foto: Imago Männer müssen sich in Schweden ab dem 1. Juli 2018 vor dem Sex mit einer Frau eine Genehmigun­g einholen. Egal, ob es sich um eine Zufallsbek­anntschaft handelt oder um die Ehefrau.

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