Aichacher Nachrichten

„Deutsch muss immer Vorrang haben“

Seit diesem Jahr können Erstklässl­er an ausgewählt­en bayerische­n Grundschul­en Französisc­h lernen. Heinz-Peter Meidinger, Chef des deutschen Lehrerverb­ands, hält davon wenig. Er hat ganz andere Sorgen

- Interview: Andreas Baumer

Herr Meidinger, zehn bayerische Grundschul­en bieten seit diesem Jahr Französisc­hunterrich­t schon in der ersten Klasse an. Manche Experten haben das überschwän­glich begrüßt. Sie schwärmen davon, wie schön es sei, wenn Kinder bilingual aufwachsen würden. Sie, Herr Meidinger, sind skeptische­r. Warum? Heinz Peter Meidinger: Gegen echten bilinguale­n Unterricht habe ich nichts. Dann müssen aber auch die Voraussetz­ungen stimmen. Die Lehrkräfte müssten die Fremdsprac­he auf hohem, am besten auf mutterspra­chlichem Niveau beherrsche­n. Die Kinder müssten am besten täglich mit dieser Zweisprach­igkeit konfrontie­rt werden. Zudem bräuchte man einheitlic­he Standards und klare Zielvorgab­en. Nur dann könnte es gelingen.

Sie kritisiere­n auch, dass durch den bilinguale­n Unterricht das Erlernen der deutschen Sprache leiden könnte. Meidinger: Das Kultusmini­sterium beteuert zwar, dass der Vorrang von Deutsch dadurch nicht gefährdet wird. Da bin ich aber skeptisch, denn auch die Einführung von Englisch ab Klasse drei wurde mit dem Verzicht auf Deutschstu­nden erkauft. Zudem fehlt vielen Lehrkräfte­n noch die entspreche­nde fremdsprac­hliche Qualifizie­rung.

Nach Angaben des Ministeriu­ms sind die Lehrer des Französisc­h-Modellvers­uchs sehr wohl qualifizer­t. Meidinger: Trotzdem macht man da den zweiten Schritt vor dem ersten. Denn selbst wenn das so wäre, fehlen für die meisten Schüler die Anschlussm­öglichkeit­en. In der fünften Klasse weiterführ­ender Schulen wird in aller Regel Französisc­h nicht angeboten und selbst danach können viele Schüler Französisc­h nicht weiter wählen. Ich gönne den beteiligte­n Schulen die Teilnahme. Zweifel an der Nachhaltig­keit dieses Modellvers­uchs sind aber berechtigt.

Einige Eltern drängen aber darauf, dass ihre Kinder möglichst früh Fremdsprac­hen lernen. Was sagen Sie ihnen?

Meidinger: Dass es kaum einen Unterschie­d macht, ob Schüler mit ei- ner Fremdsprac­he in der ersten oder der dritten Klasse beginnen. Das haben jüngst empirische Studien gezeigt. Hinzu kommt, dass noch immer die Fremdsprac­henkenntni­sse von Kindern, die auf weiterführ­ende Schulen übertreten, oft stark auseinande­rklaffen. Nicht selten beginnen die Lehrer in der fünften Klasse wieder von ganz vorn.

Wäre es dann nicht sinnvoller, erst an den weiterführ­enden Schulen mit dem Fremdsprac­henunterri­cht zu beginnen?

Meidinger: So weit muss man nicht unbedingt gehen. Der Fremdsprac­henunterri­cht kann schon in der dritten Klasse beginnen, wenn die Bundesländ­er endlich klare und verbindlic­he Bildungsst­andards erarbeiten. Die gibt es für Viertkläss­ler in Deutsch und Mathematik, aber nicht in Englisch. In der Grundschul­e sollten die Kinder aber vor allem Deutsch lernen. Da haben wir genug Probleme, wie die jüngste Iglu-Studie zeigte.

Demnach kann fast jeder fünfte Viertkläss­ler in Deutschlan­d nicht richtig lesen.

Meidinger: Das finde ich verheerend. Mich macht vor allem wütend, dass die Schere zwischen denjenigen, die gut lesen können, und denjenigen, die das Lesen kaum beherrsche­n, immer weiter auseinande­rgeht. Das ist besonders bitter, weil wir wissen, dass in der Grundschul­e abgehängte Kinder ihre Defizite später kaum mehr ausgleiche­n können. Wer aber im Deutschen schon strauchelt, kommt mit einer weiteren Sprache noch mehr ins Schleudern.

Die Bundesländ­er scheinen trotzdem weiter auf möglichst frühen Fremdsprac­henunterri­cht zu setzen, oder? Meidinger: Wir erleben derzeit eher eine Trendumkeh­r. In Baden-Württember­g sollen Grundschül­er künftig erst wieder ab der dritten Klasse Englisch lernen, nicht mehr ab der ersten. In Rheinland-Pfalz gibt es ähnliche Bestrebung­en. Viele Hoffnungen, die vor zehn Jahren mit der Einführung des frühen Fremdsprac­henlernens geknüpft worden sind, haben sich nicht erfüllt.

 ?? Foto: Peter Förster, dpa ?? Erstklässl­er an ausgewählt­en bayerische­n Schulen haben nun auch Französisc­hbücher in ihrer Tasche. Manche Experten begrüßen das, Heinz Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrverban­ds, nicht. Er fordert einen stärkeren Fokus auf den...
Foto: Peter Förster, dpa Erstklässl­er an ausgewählt­en bayerische­n Schulen haben nun auch Französisc­hbücher in ihrer Tasche. Manche Experten begrüßen das, Heinz Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrverban­ds, nicht. Er fordert einen stärkeren Fokus auf den...
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dinger, 63, ist seit Juli 2017 Präsi dent des Deut schen Lehrerver bands, einer der größten Lehreror ganisation­en der Bundesrepu­blik.
Heinz Peter Mei dinger, 63, ist seit Juli 2017 Präsi dent des Deut schen Lehrerver bands, einer der größten Lehreror ganisation­en der Bundesrepu­blik.

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