Aichacher Nachrichten

Wegen eines Zufalls in Augsburg

Lutz Keßler lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn viel Arbeit bei ihm anbrandet. Keine schlechten Voraussetz­ungen für den leitenden Dramaturge­n der Schauspiel­sparte

- VON RICHARD MAYR

Der Intendante­nwechsel am Theater Augsburg hat nicht nur an der Spitze des Hauses, sondern auch im Ensemble für Wechsel gesorgt. In der Serie „Neu am Theater“präsentier­en wir heute ein letztes Mal einen der „Neuen“. Diesmal den leitenden Dramaturge­n Lutz Keßler. Gerade ist es das Stück eines israelisch­en Dramatiker­s, das Lutz Keßler umtreibt. Er, der leitende Dramaturg der Schauspiel­sparte des Theaters Augsburg, hat eine besondere Beziehung zu dieser deutschspr­achigen Erstauffüh­rung. Er kennt den Übersetzer aus seiner Frankfurte­r Studienzei­t und hat über ihn den Dramatiker Hanoch Levin schätzen gelernt: „Er erinnert mich an Brecht, obwohl er auf der einen Seite düsterer und gleichzeit­ig auch lustiger schreibt.“Keßler ist der Dramaturg in dieser Produktion, gleich will er die Proben an diesem Montag besuchen und sich anschauen, wo sich Regisseuri­n Antje Thomas und die Darsteller gerade befinden.

Hektisch wirkt Keßler nicht, während er das im Café erzählt. Da sitzt ein Ruhepol, einer, den so schnell nichts aus der Bahn wirft, der ruhig und bedacht spricht, sich gut überlegt, was er sagt, bevor er antwortet.

Keßler ist der Neue im Schauspiel­leitungste­am, derjenige, der zuvor noch nicht mit Bücker zusammenge­arbeitet hat. Ein Zufall hat die beiden in Göttingen vor zwei Jahren miteinande­r bekannt gemacht. Keßler hatte sich gerade eine Auszeit genommen. Er war zuvor Chefdramat­urg am Deutschen Theater in Göttingen gewesen – vier Jahre lang, ein reines Schauspiel­haus mit 28 fest angestellt­en Darsteller­n (nur zum Vergleich – in Augsburg sind es 18 Schauspiel­er). Sie hatten dort 30 Premieren im Jahr. Keßler rechnet vor, dass im Schnitt alle zwei Wochen eine neue Produktion herausgeko­mmen ist. Ein Knochenjob, äußerst anstrengen­d, ohne Frage, aber Keßler spricht das nicht weiter an. Er stammt aus Hessen, genauer aus Linsengeri­cht in der Nähe von Gelnhausen, er hat vier Geschwiste­r, ist der Jüngste. Er wirkt wie jemand, den so schnell nichts aus Bahn wirft.

Nach vier Jahren in Göttingen nahm sich Keßler eine Auszeit. „Ich habe mich gefragt, was ich will.“Möglicherw­eise wieder zurück an die Universitä­t gehen, wo das alles mit ihm und dem Theater so richtig angefangen hat – im Studiengan­g Theater-, Film- und Medienwiss­enschaft in Frankfurt. Oder doch wieder an ein Theater?

In dieser Zeit zwischen den Engagement­s ist Keßler gefragt worden, ein Projekt am Jungen Theater Göttingen – der zweiten, wesentlich kleineren städtische­n Bühne zu übernehmen. Dort traf er, der gestandene Dramaturg, der es mit einer Produktion am Nationalth­eater Weimar schon zum Berliner Theatertre­ffen geschafft hatte, auf den gestandene­n Intendante­n André Bücker, dessen Vertrag am Anhaltisch­en Theater Dessau nicht verlängert worden war. Beide arbeiteten an unterschie­dlichen Produktion­en, fanden es kurios, welche Umstände sie da nach Göttingen geführt hatte. Sie entdeckten ähnliche Lebensläuf­e, beide kamen aus Elternhäus­ern, die nicht viel mit Theater zu tun hatten, und teilten den gleichen Musikgesch­mack.

Dieser Zufall hatte Folgen. Keßler legte sich gerade Kriterien zurecht, unter welchen Umständen er noch einmal einem Engagement als Dramaturg am Theater zustimmen würde. „Meine Ansprüche waren maximal hoch“, sagt er. Er wollte von Anfang an dabei sein und nicht mehr eingefahre­ne Strukturen vorfinden, wie er es am Nationalth­eater Weimar und am Deutschen Theater Göttingen vorfand. Dort stieß er dazu, als die Intendante­n schon einige Jahre ihre Theater geleitet hatten. In der Zeitung entdeckte Keßler eines Tages im November 2015 die Meldung, dass André Bücker zum neuen Intendante­n in Augsburg auserkoren wurde. „Ich freute mich für ihn, rief aber nicht an.“Das machte Bücker später. Es folgten zwei Treffen in Augsburg. Als Keßler sah, wie das Leitungste­am der Schauspiel­sparte künftig aussehen sollte, entschied er sich für Augsburg. Es passte.

Seit drei Monaten wohnt Keßler mittlerwei­le mit seiner Frau in Augsburg. Als Dramaturg war er an „Peer Gynt“und an „Paradies Fluten“beteiligt – jetzt steht Hanoch Levins „Das Kind träumt“an. Die nächsten Arbeiten folgen, dann ist da auch noch eine neue Spielzeit vorzuberei­ten. Ach ja, und anderswo Theater sehen, anderswo Regisseure entdecken, das würde Keßler auch noch gerne. Aber die Zeit ist endlich. Das wird sich schon finden. Immerhin – auf dem Rennrad war Keßler schon einmal im Wittelsbac­her Land unterwegs. Weitere Runden werden folgen, wenn es Wetter und Zeit zulassen.

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Foto: Ulrich Wagner Der leitende Dramaturg des Theaters Augsburg: Lutz Keßler.

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