Wegen eines Zufalls in Augsburg
Lutz Keßler lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn viel Arbeit bei ihm anbrandet. Keine schlechten Voraussetzungen für den leitenden Dramaturgen der Schauspielsparte
Der Intendantenwechsel am Theater Augsburg hat nicht nur an der Spitze des Hauses, sondern auch im Ensemble für Wechsel gesorgt. In der Serie „Neu am Theater“präsentieren wir heute ein letztes Mal einen der „Neuen“. Diesmal den leitenden Dramaturgen Lutz Keßler. Gerade ist es das Stück eines israelischen Dramatikers, das Lutz Keßler umtreibt. Er, der leitende Dramaturg der Schauspielsparte des Theaters Augsburg, hat eine besondere Beziehung zu dieser deutschsprachigen Erstaufführung. Er kennt den Übersetzer aus seiner Frankfurter Studienzeit und hat über ihn den Dramatiker Hanoch Levin schätzen gelernt: „Er erinnert mich an Brecht, obwohl er auf der einen Seite düsterer und gleichzeitig auch lustiger schreibt.“Keßler ist der Dramaturg in dieser Produktion, gleich will er die Proben an diesem Montag besuchen und sich anschauen, wo sich Regisseurin Antje Thomas und die Darsteller gerade befinden.
Hektisch wirkt Keßler nicht, während er das im Café erzählt. Da sitzt ein Ruhepol, einer, den so schnell nichts aus der Bahn wirft, der ruhig und bedacht spricht, sich gut überlegt, was er sagt, bevor er antwortet.
Keßler ist der Neue im Schauspielleitungsteam, derjenige, der zuvor noch nicht mit Bücker zusammengearbeitet hat. Ein Zufall hat die beiden in Göttingen vor zwei Jahren miteinander bekannt gemacht. Keßler hatte sich gerade eine Auszeit genommen. Er war zuvor Chefdramaturg am Deutschen Theater in Göttingen gewesen – vier Jahre lang, ein reines Schauspielhaus mit 28 fest angestellten Darstellern (nur zum Vergleich – in Augsburg sind es 18 Schauspieler). Sie hatten dort 30 Premieren im Jahr. Keßler rechnet vor, dass im Schnitt alle zwei Wochen eine neue Produktion herausgekommen ist. Ein Knochenjob, äußerst anstrengend, ohne Frage, aber Keßler spricht das nicht weiter an. Er stammt aus Hessen, genauer aus Linsengericht in der Nähe von Gelnhausen, er hat vier Geschwister, ist der Jüngste. Er wirkt wie jemand, den so schnell nichts aus Bahn wirft.
Nach vier Jahren in Göttingen nahm sich Keßler eine Auszeit. „Ich habe mich gefragt, was ich will.“Möglicherweise wieder zurück an die Universität gehen, wo das alles mit ihm und dem Theater so richtig angefangen hat – im Studiengang Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Frankfurt. Oder doch wieder an ein Theater?
In dieser Zeit zwischen den Engagements ist Keßler gefragt worden, ein Projekt am Jungen Theater Göttingen – der zweiten, wesentlich kleineren städtischen Bühne zu übernehmen. Dort traf er, der gestandene Dramaturg, der es mit einer Produktion am Nationaltheater Weimar schon zum Berliner Theatertreffen geschafft hatte, auf den gestandenen Intendanten André Bücker, dessen Vertrag am Anhaltischen Theater Dessau nicht verlängert worden war. Beide arbeiteten an unterschiedlichen Produktionen, fanden es kurios, welche Umstände sie da nach Göttingen geführt hatte. Sie entdeckten ähnliche Lebensläufe, beide kamen aus Elternhäusern, die nicht viel mit Theater zu tun hatten, und teilten den gleichen Musikgeschmack.
Dieser Zufall hatte Folgen. Keßler legte sich gerade Kriterien zurecht, unter welchen Umständen er noch einmal einem Engagement als Dramaturg am Theater zustimmen würde. „Meine Ansprüche waren maximal hoch“, sagt er. Er wollte von Anfang an dabei sein und nicht mehr eingefahrene Strukturen vorfinden, wie er es am Nationaltheater Weimar und am Deutschen Theater Göttingen vorfand. Dort stieß er dazu, als die Intendanten schon einige Jahre ihre Theater geleitet hatten. In der Zeitung entdeckte Keßler eines Tages im November 2015 die Meldung, dass André Bücker zum neuen Intendanten in Augsburg auserkoren wurde. „Ich freute mich für ihn, rief aber nicht an.“Das machte Bücker später. Es folgten zwei Treffen in Augsburg. Als Keßler sah, wie das Leitungsteam der Schauspielsparte künftig aussehen sollte, entschied er sich für Augsburg. Es passte.
Seit drei Monaten wohnt Keßler mittlerweile mit seiner Frau in Augsburg. Als Dramaturg war er an „Peer Gynt“und an „Paradies Fluten“beteiligt – jetzt steht Hanoch Levins „Das Kind träumt“an. Die nächsten Arbeiten folgen, dann ist da auch noch eine neue Spielzeit vorzubereiten. Ach ja, und anderswo Theater sehen, anderswo Regisseure entdecken, das würde Keßler auch noch gerne. Aber die Zeit ist endlich. Das wird sich schon finden. Immerhin – auf dem Rennrad war Keßler schon einmal im Wittelsbacher Land unterwegs. Weitere Runden werden folgen, wenn es Wetter und Zeit zulassen.