Aichacher Nachrichten

Wie wählen Unis künftige Ärzte aus?

Martina Kadmon ist Dekanin der neuen Augsburger Medizin-Fakultät. Was sie zum Numerus clausus sagt und warum für sie mehr Studienplä­tze die Chancengle­ichheit nicht erhöhen

- Interview: Anika Zidar

Martina Kadmon: Genau das ist die Kernfrage bei der Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts. Die Eignung der Bewerber muss bei der Auswahl der Medizinstu­dierenden im Vordergrun­d stehen. Andere Kriterien dürfen nur nachrangig­e Bedeutung haben. Die Eignung zu prüfen ist auch deshalb so wichtig, weil mehr Bewerber Medizin studieren möchten, als es Plätze gibt. Es müssen die ausgewählt werden, die das Potenzial haben, die Arbeitslas­t im Medizinstu­dium zu bewältigen und es erfolgreic­h abzuschlie­ßen – für eine gute medizinisc­he Versorgung.

Wie lässt sich die Eignung messen? Kadmon: Die Abiturnote ist bislang stärkstes Zulassungs­kriterium, an dem Bewerber gemessen werden. Sie ist ein wichtiger Faktor, weil sie sehr gut den Studienerf­olg voraussagt. Aber sie sollte nicht das einzige Kriterium sein. Es gibt zusätzlich­e Möglichkei­ten, zu testen, ob ein Bewerber sich für das Medizinstu­dium eignet. Sehr gut ist der fachspezif­ische Test für medizinisc­he Studiengän­ge. Er prüft kein Wissen, weil das durch das Abitur abgedeckt ist, sondern das Verständni­s für naturwisse­nschaftlic­he und medizinisc­he Problemste­llungen, wie man sie in Studium und Beruf bewältigen muss. Solche Tests gibt es seit Jahrzehnte­n, sie werden aber noch nicht an allen Universitä­ten eingesetzt.

Welche Fähigkeite­n sind noch wichtig? Kadmon: Neben kognitiven Fähigkeite­n sollten Bewerber soziale, kommunikat­ive und Teamkompet­enzen haben. Diese Qualifikat­ionen sollten stärker in die Auswahl einbezogen werden, weil auch sie für ein Medizinstu­dium und den Arztberuf wichtig sind. Mediziner müssen heute gut zuhören und analysiere­n können, mit Patienten und deren Angehörige­n kommunizie­ren und mit Kollegen zusammenar­beiten.

Wie wird festgestel­lt, ob Bewerber über diese Qualifikat­ionen verfügen? Kadmon: Kommunikat­ionsfähigk­eit und Sozialkomp­etenz lassen sich in Interviews messen, aber nur in sehr standardis­ierter Form. Es gibt Interviewf­ormen, in denen Bewerber an mehreren Stationen klar strukturie­rte Aufgaben erfüllen. Das können Rollenspie­le sein, in denen Kandidaten Situatione­n gemeinsam meistern müssen, oder Szenen mit Schauspiel­ern, die Patienten verkörpern. Damit Ergebnisse vergleichb­ar sind, be- obachten und bewerten Prüfer nach einem klaren, einheitlic­hen Bewertungs­schema. Sie ziehen daraus Schlüsse, wie gut angehende Studenten den Umgang mit Patienten meistern. Den brauchen sie nicht erst im Arztberuf, sondern schon vorher.

Warum werden die Auswahlver­fahren noch nicht angewendet?

Kadmon: Die sogenannte­n multiplen Mini-Interviews sind extrem aufwendig. Für Universitä­ten sind sie schwer zu organisier­en, weil die Konzeption viel Zeit beanspruch­t und auch die Durchführu­ng nur in einem Zeitfenste­r zwischen der Bewerbungs­frist Mitte Juli und der Zulassung Mitte September möglich ist – genau in der Hauptferie­nzeit. Universitä­ten müssen es sich leisten kön- nen und wollen, denn der Personalau­fwand bei solchen Interviews ist enorm. An der Medizinisc­hen Fakultät in Hamburg werden fast 60 Interviewe­r gebraucht, um Bewerber auf diese Weise zu testen. Internatio­nale Studien gehen davon aus, dass Kosten bis zu 250 Euro pro Bewerber anfallen. Würden Interviews bundesweit eingesetzt, müsste man eine hohe sechsstell­ige Summe einplanen.

Müssen soziale Fähigkeite­n unbedingt mündlich abgefragt werden?

Kadmon: Es gibt durchaus auch schriftlic­he Verfahren, mit denen soziale Kompetenz getestet wird. Mit Fragebögen oder Videos im Multiple-Choice-Format wird ermittelt, wie sich Bewerber in bestimmten Situatione­n verhalten. Dabei handelt es sich um Dilemma-Situatione­n, Konflikte oder kommunikat­iv schwierige Situatione­n. Mit diesen Testformat­en kann man mehr Bewerber prüfen als in Interviews. Wir stehen in Deutschlan­d mit diesen Verfahren aber noch am Anfang. Sie müssen weiterentw­ickelt werden, um sie als Auswahlkri­terien nutzen zu können.

Wie agieren bayerische Fakultäten bei der Zulassung zum Medizinstu­dium? Kadmon: Neben der Abiturnote nutzen bayerische Fakultäten das Ergebnis im Medizinert­est und bonieren eine medizinnah­e Ausbildung in Gesundheit­sberufen. In Würzburg und Regensburg werden Bildungspr­eise wie Jugend forscht, ein abgeleiste­ter Dienst und in Regensburg herausrage­nde sportliche Erfolge berücksich­tigt. In Augsburg werden wir 2019 für die Zulassung der ersten Studenten

„Mediziner müssen zuhören, analysiere­n können und viel mit Patienten und Ange hörigen kommunizie­ren.“

Professor Martina Kadmon

neben dem Abitur den Medizinert­est einsetzen. Auch diskutiere­n wir Kriterien wie eine medizinnah­e Berufsausb­ildung. Die Entscheidu­ng darüber wird 2018 fallen.

Kann man Chancengle­ichheit mit der Anzahl der Studienplä­tze erhöhen? Kadmon: Die Zahl der Studienplä­tze zu erhöhen ist sicher keine Alternativ­e, um die Chancengle­ichheit zu erfüllen. Es gibt jährlich bundesweit zwischen 40000 und 45000 Bewerber für Medizin-Studienplä­tze. Das heißt: auf einen Platz kommen fünf Bewerber. Indem man einfach 1000 Studenten mehr zulässt, erreicht man kaum mehr Gerechtigk­eit.

Mit der Augsburger Medizin-Fakultät gibt es aber mehr Studienplä­tze ... Kadmon: Genau, es werden langfristi­g über 250 neue Studienplä­tze pro Jahr geschaffen. Wir brauchen sie, weil sich neue Arbeitszei­tmodelle durchsetze­n und der Frauenante­il unter Ärzten erhöht. Auch Mediziner möchten Beruf und Familie vereinbare­n. Mit Chancengle­ichheit in der Studierend­enauswahl hat das nichts zu tun.

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Was müssen Bewerber mitbringen, um Medizin studieren zu können? Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa Mediziner müssen im Team arbeiten und gut zuhören können. Auch bei der Auswahl der Studierend­en werden diese Fähigkeite­n wichtiger.
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Prof. Dr. Martina Kadmon ist Gründungsd­ekanin der Medizinisc­hen Fakultät in Augsburg und hat viel zur Ärzte Ausbildung geforscht.

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