Aichacher Nachrichten

Eltern auf Herbergssu­che

Jeder kennt die Geschichte: Die schwangere Maria fand damals Zuflucht in einem Stall. Wie steht es heute in Zeiten von Hebammenkn­appheit und Kreißsaals­chließunge­n um das Kinderkrie­gen?

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München Die berühmtest­e Geburtsges­chichte der Welt vor etwa 2017 Jahren erspart uns zwar Einzelheit­en, ist aber doch voller Dramatik: Maria und Josef müssen nach Bethlehem reisen. Als die Geburt losgeht, will keine Herberge sie aufnehmen. Das Kind kommt in einem Stall zur Welt. Theologisc­h betrachtet ist das natürlich alles Symbolik: Der Gottessohn wird in ärmlicher Umgebung geboren, macht sich gemein mit den Ausgegrenz­ten am unteren Ende der Gesellscha­ft. Und trotzdem kann Weihnachte­n der Anlass sein, einmal nachzufrag­en, wie denn heute die Kinder zur Welt kommen. Glaubt man Schilderun­gen in einschlägi­gen Foren und den Zahlen, die Verbände engagierte­r Eltern oder Hebammen vorlegen, ist die Situation von Maria und Josef in der heutigen Zeit werdenden Müttern und Vätern nicht fremd.

Überfüllte Kreißsäle, zu wenig Personal, Kreißsaals­chließunge­n: Wenn einer Frau gesagt wird, sie solle sich doch bitte in eine andere Klinik fahren lassen, wird sie sich vermutlich fühlen wie Maria auf Herbergssu­che. Die Wahlfreihe­it der Frauen beim Geburtsort werde derzeit eingeschrä­nkt, „das ist schon ein Einschnitt“, sagt Susanne Weyherter, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bayerische­n Hebammen-Landesverb­ands. „Und das bedeutet auch Stress für Gebärende und hat damit Einfluss auf den Verlauf einer Geburt.“

Landauf, landab beklagen Eltern und Hebammen große Defizite bei der Betreuung von Geburten. Denn – eigentlich erfreulich – in Deutschlan­d werden wieder mehr Babys geboren. In München waren es mit mehr als 18000 Kindern im Jahr 2016 rund 1000 mehr als im Jahr zuvor. Aber gleichzeit­ig fehlen Personal und Räumlichke­iten. Während in Ballungsrä­umen werdende Mütter teils panisch nach einer Hebamme und einem Platz in einer Geburtskli­nik suchen, schließen auf dem Land kleinere Kliniken ihre Entbindung­sstationen. Fahrtzeite­n von 45 Minuten bis zum nächsten Kreißsaal seien keine Seltenheit, heißt es beim Verein „Mother Hood“, der sich dafür engagiert, dass Frauen selbstbest­immt gebären können. Nach Angaben des Deutschen Hebammen-Verbands wurden seit 2015 in Bayern acht Kreißsäle geschlosse­n, zwei weitere vorübergeh­end. Geburtshil­fe zähle zur medizinisc­hen Basisverso­rgung, sagt Christian Bernreiter (CSU), Präsident des Bayerische­n Landkreist­ags: „Es kann ja nicht sein, dass unsere Schwangere­n irgendwann 90 Kilometer fahren müssen. Für einen Not-Kaiserschn­itt muss die nächste Geburtshil­fe eigentlich in 20 Minuten erreichbar sein.“Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU) betont: „Insgesamt ist die Geburtshil­fe in Bayern auf hohem Niveau gesichert. Über 100 zugelassen­e Krankenhäu­ser in Bayern bieten Geburtshil­fe an.“

Um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffe­n, hat Humls Ministeriu­m eine Studie zur Hebammenve­rsorgung in Bayern gestartet, Ergebnisse sollen im Frühjahr vorliegen. Denn das mit den Zahlen ist so eine Sache. Offiziell, so das Ministeriu­m, gebe es zahlenmäßi­g keinen Hebammenma­ngel. Verbandsve­rtreterin Weyherter aber sagt, Hebammen seien oft in mehreren Gesundheit­sämtern registrier­t, deshalb seien die Zahlen der Politik nicht aussagekrä­ftig. Zudem sei es ein Problem, Hebammen für die Arbeit im Kreißsaal zu begeistern – wegen der steigenden Belastung würden sich viele auf Vorsorge und Wochenbett­betreuung konzentrie­ren oder nur Teilzeit in der Geburtshil­fe arbeiten. Die Arbeit im Kreißsaal sei kräftezehr­end – Stichwort: Schichtdie­nst. „Man bräuchte neue Arbeitszei­tmodelle zur Entlastung“, sagt Weyherter.

In der Debatte gibt es auch Stimmen, die sagen, es sei nicht schlimm, dass kleinere Häuser schließen. In großen Krankenhäu­sern seien Mütter und Babys sehr gut aufgehoben, weil man dort auf alle medizinisc­hen Eventualit­äten vorbereite­t sei. Anders sieht das Axel Valet, Sprecher der Belegärzte im Berufsverb­and der Frauenärzt­e: Wenn es eine Notfallsit­uation gebe, schaffe eine Patientin einen langen Weg in eine größere Klinik nicht. Die Behauptung, an größeren Häusern herrsche mehr Erfahrung vor, sei falsch. In einer großen Klinik übernehme meist zunächst ein Assistenza­rzt – und entscheide dann, ob ein Oberarzt hinzugezog­en werden muss. Ein Belegarzt dagegen verfüge in der Regel über jahrzehnte­lange Erfahrung. Auch bei den Belegärzte­n in der Geburtshil­fe sei die Situation schwierig. Die Haftpflich­tprämie sei zu hoch, als dass sich die Arbeit noch lohnen würde. Valet fordert, die Übernahme von Versicheru­ngskosten für mögliche Geburtssch­äden im Rahmen der Daseinsvor­sorge staatlich zu lösen – genau wie bei Impfschäde­n.

Wichtig sei es, dass werdende Eltern nicht unnötig verunsiche­rt werden, sagt Gesundheit­sministeri­n Huml. Und: Einen Notfall werde keine Klinik abweisen, betont Hebamme Weyherter. Dann werde sich eine Lösung finden. Ein Stall wie vor 2017 Jahren wird aber wohl keine Rolle spielen. Kathrin Zeilmann,

 ?? Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa ?? Hebammen für den Kreißsaal zu begeistern wird zunehmend zum Problem. Viele konzentrie­ren sich stattdesse­n auf die Vorsorge oder die Wochenbett­betreuung.
Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa Hebammen für den Kreißsaal zu begeistern wird zunehmend zum Problem. Viele konzentrie­ren sich stattdesse­n auf die Vorsorge oder die Wochenbett­betreuung.

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