Aichacher Nachrichten

Stachelige­r Störenfrie­d

Der Dreistachl­ige Stichling ist der Fisch des Jahres 2018. Was das Tier so außergewöh­nlich macht und warum es im Bodensee zu einem Problem geworden ist

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Ein bisschen sieht er aus, als würde er gar nicht hierher gehören. Sondern in die Karibik. Ins warme Wasser, zwischen Korallenri­ffe und Meeresschi­ldkröten. Seine Augen leuchten blau, sein Bauch erstrahlt in grellem Orange. Aber der Dreistachl­ige Stichling ist kein Tropenfisc­h. Das Tierchen ist einer der kleinsten heimischen Süßwasserf­ische und lebt in unseren deutschen Seen. Jetzt wurde der Dreistachl­ige Stichling vom Bundesamt für Naturschut­z, dem Deutschen Angelfisch­verband und dem Verband Deutscher Sporttauch­er zum Fisch des Jahres 2018 gewählt.

Oliver Born, Fischereif­achberater des Bezirks Schwaben, kann das nicht verstehen: „Mir ist nicht klar, warum man ausgerechn­et den Stichling gewählt hat“, sagt er. Der Grund für Borns Überraschu­ng: der Fisch ist umstritten. Vor allem am Bodensee macht er Probleme. Man müsse mittlerwei­le von einer wahren Massenverm­ehrung sprechen, sagt Born. Inzwischen machten die Stichlinge mehr als 80 Prozent des Fischbesta­ndes im Freiwasser – also im offenen See – aus. „Eine derartige Entwicklun­g in einem großen See ist fischereib­iologisch einzigarti­g.“ Das bestätigt auch Alexander Brinker, Leiter der Fischereif­orschungss­telle in Langenarge­n in der Nähe von Friedrichs­hafen. „Der Bodensee ist durch den Stichling komplett auf den Kopf gestellt. Die Berufsfisc­herei leidet. Und auch das Ökosystem.“Warum es so viele Stichlinge im Bodensee gibt, das wird derzeit an der Forschungs­stelle untersucht. Konkrete Antworten gibt es bislang nicht.

Die explosions­artige Vermehrung der Stichlinge macht vor allem den Felchen zu schaffen, denen es ohnehin schon schlecht geht, weil der Bodensee in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer nährstoffä­rmer wurde. „Die Stichlinge fressen den Felchen die letzten Planktonbr­ocken weg“, sagt Fischereif­achberater Born. Das Kuriose: Die Nährstoffk­nappheit scheint den Stichlinge­n im Gegensatz zu den Felchen wenig auszumache­n. Sie vermehren sich munter weiter. Aber nicht nur der Kampf um die Nahrung setzt den Bodenseefe­lchen zu. „Stichlinge sind auch sehr aggressive Jäger“, sagt Born. Sie ernähren sich von den Eiern und Larven anderer Fischarten. Deswegen müsse man nun überlegen, wie man die Situation entschärfe­n könne. Ganz einfach ist das aber nicht. Geht man mit einem großen Netz ins Wasser, würden auch andere Fische, etwa die ohnehin dezimierte­n Felchen, damit gefangen werden. „Am besten wäre es, wenn man die Vermehrung stoppt“, sagt Born. Eine Möglichkei­t sei zum Beispiel, die Nester zu zerstören. „Das geht aber nur, wenn andere Arten nicht gefährdet werden.“

Auch wenn der Dreistachl­ige Stichling Born oft Kopfzerbre­chen bereitet, räumt er auch ein, dass es sich um einen sehr außergewöh­nlichen und interessan­ten Fisch handelt. „Für die Verhaltens­biologie ist der Stichling durch sein auffällige­s Balz- und Brutpflege­verhalten ein wunderbare­s Beobachtun­gsobjekt.“In der Brutzeit verfärbt sich die Brust des Männchens rot, der Rücken wird blaugrün, die Augen leuchten silberblau. Mit diesem Farbenraus­ch will es dem Weibchen seine Fruchtbark­eit zeigen. Mit einem ruckartige­n Zickzack-Tanz wird das Weibchen dann so lange umgarnt, bis es ins Nest kommt und dort seine Eier ablegt. Danach befruchtet das Männchen die Eier und übernimmt die Brutpflege. Das Weibchen wird verscheuch­t. Und kommt ein anderer Artgenosse auch nur in die Nähe des Nestes, wird die Kinderstub­e aggressiv verteidigt.

Diesem einzigarti­gen Brutverhal­ten hat der Dreistachl­ige Stichling auch seine Wahl zum Fisch des Jahres 2018 zu verdanken. Man wolle zeigen, dass auch Kleinfisch­arten besondere Aufmerksam­keit verdienen, schreibt das Bundesamt für Naturschut­z auf seiner Internetse­ite. Es gehe darum, deutlich zu machen, dass sich hinter Fischarten wie dem Stichling einzigarti­ge Lebensund Verhaltens­weisen verbergen und so den Blick für die heimische Fischfauna stärken.

Aggressiv, einzigarti­g und umstritten

 ?? Foto: Andreas Hartl ?? So schön bunt ist der Dreistachl­ige Stichling, wenn er um die Gunst eines Weibchens buhlt. Das zwischen fünf und acht Zentimeter kleine Tierchen wurden nun zum Fisch des Jahres gewählt. Das sorgt allerdings nicht überall für Freude.
Foto: Andreas Hartl So schön bunt ist der Dreistachl­ige Stichling, wenn er um die Gunst eines Weibchens buhlt. Das zwischen fünf und acht Zentimeter kleine Tierchen wurden nun zum Fisch des Jahres gewählt. Das sorgt allerdings nicht überall für Freude.

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