Aichacher Nachrichten

Wo das Jahr eine Zeitlücke hat

Weihnachts­bräuche (3) Autorin Vera Griebert-Schröder beschreibt die Raunächte als Gelegenhei­t zu Rückzug und Besinnung

- Interview: Alois Knoller

In der Weihnachts­zeit leben wieder einige schöne Bräuche auf, die in unseren Städten und Dörfern gepflegt werden. Ein paar davon, heute Rituale für die Raunächte, stellen wir in den nächsten Wochen auf der Freizeit-Seite vor.

Frau Griebert-Schröder, Sie schreiben seit Jahren schon Bücher über die Raunächte. Gab es ein Schlüssele­rlebnis, das Sie dazu brachte, ihnen tiefer nachzuspür­en?

Griebert Schröder: Als ich jung war, hat mir jemand über die Raunächte erzählt, dass es die Zeit des Orakelns ist und des Hineinspür­ens. Damals habe ich angefangen, in diesen zwölf besonderen Nächten meine Träume aufzuschre­iben und jeden Tag aus dem Fenster zu schauen, um so etwas wie ein Omen zu suchen.

Bei Bücher Pustet in Augsburg liegen 13 Titel über die Raunächte und ihre Rituale auf, viele davon Neuerschei­nungen. Wie erklären Sie sich, warum so ein Hype ausgebroch­en ist? Griebert Schröder: Die Menschen suchen Zugang zu etwas, das jenseits der pragmatisc­hen Alltagswel­t ist. Etwas, was ihnen mehr Sinn, mehr Tiefe – oder zumindest mal eine Gelegenhei­t zum Innehalten und Atemholen – bietet. Die Raunächte laden ein, nachzufrag­en: Ist was dran an diesen alten Bräuchen und Geschichte­n? Kann das auch uns heute helfen?

Was macht diese Zeit zwischen Weihnachte­n und Dreikönig so besonders? Griebert Schröder: In dieser Zeit ist das Dunkle am stärksten. Am 21. Dezember haben wir ja die längste Nacht. Die Mythen, die sich darum spinnen, haben viel damit zu tun, das Licht im eigenen Innern zu bewahren und im Bewusstsei­n zu halten, dass es bald auch im Außen wieder zu sehen sein wird. Es ist eine Zeit der Stille und der Besinnung.

Was meinen Sie damit, wenn Sie von einem „Spalt in der Zeit“sprechen? Griebert Schröder: Die Raunächte gehen zurück auf das Mondjahr, das mit 354 Tagen kürzer ist als das Sonnenjahr. Als man vom Mond- zum Sonnenjahr übergegang­en ist, waren elf Tage und zwölf Nächte übrig – die heutigen Raunächte.

Und solche kosmischen Differenze­n spüren wir Menschen?

Griebert Schröder: Nicht so direkt. Aber es liegt ein Zauber über dieser Zeit, wenn man genau hinspürt. Diese Zeit „zwischen den Jahren“hat beides: das Mondige und das Sonnige. Mein Mann und ich gehen am Heiligen Abend meist ganz lange in die Natur hinaus, vom Hellen in die Dämmerung. Das hat etwas Stilles. Auch die Natur scheint in dieser Zeit besonders still.

Sie charakteri­sieren die Raunächte als eine Zeit der Reinigung …

Griebert Schröder: In dieser Zeit haben viele Firmen und Geschäfte zu,

die Menschen haben Zeit. Die Raunächte bieten ihnen eine Möglichkei­t des Rückzugs und der Besinnung. Es ist eine Gelegenhei­t, das Alte zu verabschie­den und etwas Neues beginnen zu lassen. So reinigen wir uns vom Gewesenen, vielleicht Belastende­n.

In den Raunächten sollte man keine Wäsche waschen, alle Räder stillstehe­n lassen. Haben solche Bräuche immer noch Bedeutung?

Griebert Schröder: Wäsche waschen war früher eine schwere Arbeit. Der Brauch besagt letztlich: Die Raunächte sollten eine Zeit sein, wo sich alle ausruhen dürfen. So können wir uns fragen, was heute schwer ist für uns: Buchhaltun­g und Steuererkl­ärung vielleicht. Solche Dinge können wir dann lassen, um einfach mal wieder ganz zu uns selbst zu kommen. Und die Räder, die stillstehe­n sollten – das könnten für uns heute die Hamsterräd­er in unseren Köpfen sein, das ewige Denken und Sorgen. Auch die sollten zur Ruhe kommen.

Warum sollten wir uns Rituale für die Raunächte zurechtleg­en?

Griebert Schröder: Rituale haben eine stärkende und stützende Kraft. Außerdem bringen sie uns ganz bewusst in den Moment – sie sind ein Innehalten im Alltäglich­en. Damit passen sie besonders gut in die Raunächte, die ja traditione­ll ebenfalls eine Zeit außerhalb des Üblichen sind. Rituale können dabei ganz simpel sein: Jeden Abend eine Kerze anzuzünden und sich für ein, zwei Minuten bewusst mit ihrem Licht zu verbinden – das kann schon reichen.

Warum soll man in den Raunächten das Haus räuchern?

Griebert Schröder: Nach altem Brauch werden Haus und Hof geräuchert, um alle alten Energien, alles Verbraucht­e loszuwerde­n. Nach Neujahr oder zu Dreikönig kann man ebenfalls räuchern, jetzt aber eher mit der Intention, Neues zu sich einzuladen: Schönheit, Freude, alles, was das Herz berührt.

Sie empfehlen ein Raunacht-Tagebuch. Was könnte darin stehen? Griebert Schröder: Seit langer Zeit geht man davon aus, dass jeder Raunacht ein Monat des kommenden Jahres entspricht, also der ersten der Januar, der zweiten der Februar und so weiter. Vieles, zum Beispiel beim Wetter, ist in dem Monat dann ähnlich wie in der zugehörige­n Raunacht. Das gilt auch für unsere Stimmungen oder für Themen, die uns bewegen. So können wir die Raunächte dafür nutzen, das Jahr schon ein wenig vorzuberei­ten, und entspreche­nde Impulse, Ideen oder auch Träume in einem Tagebuch notieren. Dieses Tagebuch kann dann ein Begleiter durch das ganze kommende Jahr sein.

Sie freuen sich auf die Raunächte? Griebert Schröder: Ja, es ist eine schöne Zeit, die uns Ruhe schenkt und Abstand vom Alltag. Eine Pause im Übergang von einem Jahr zum nächsten. Nicht zuletzt kann sie uns öffnen für das, was größer ist als wir selbst, und uns dabei wieder ein stärkeres Gefühl für die Sinnhaftig­keit unseres Lebens geben.

 ?? Foto: Thorsten Jordan ?? Die stillen Tage zwischen Weihnachte­n und Dreikönig mit den zwölf Raunächten laden zur Besinnung ein, vielleicht auch bei ei nem Winterspaz­iergang (hier bei Stoffen, Landkreis Landsberg).
Foto: Thorsten Jordan Die stillen Tage zwischen Weihnachte­n und Dreikönig mit den zwölf Raunächten laden zur Besinnung ein, vielleicht auch bei ei nem Winterspaz­iergang (hier bei Stoffen, Landkreis Landsberg).

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