Aichacher Nachrichten

Wenn das Alleinsein schmerzt

Einsamkeit ist mehr als ein unangenehm­es Gefühl. Forscher vergleiche­n sie mit einer ansteckend­en Krankheit. Doch es gibt für fast jeden Wege, aus der Einsamkeit­sfalle zu entkommen. Was kann man tun?

- VON JOSEF KARG

Hermann Hesse verglich die Einsamkeit mit einem isolierend­en Nebel, Rainer Maria Rilke mit der Monotonie des Regens. Der Philosoph Jean-Paul Sartre schrieb einmal: „Wer einsam lebt, hat selten Grund zum Lachen.“Das ist vielleicht nicht seine tief schürfends­te Erkenntnis. Aber er hat recht. Einsamkeit gehört zu den unangenehm­sten Gefühlen, die einen innerlich regelrecht veröden lassen können. Doch was ist die Ursache dieses Gefühls? „Gegenseiti­ges Misstrauen und negative Gedanken“, behauptet John T. Cacioppo von der Uni Chicago. Menschen, die sich einsam fühlen, empfänden die Welt als bedrohlich. Sie seien sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber sie hegten negative Gedanken über andere Personen. Und sie würden diese Gedanken durch ihren Gesichtsau­sdruck, ihre Gebärden, ihre Körperspra­che oder Kommentare verbreiten. Das Blöde dabei: Wer sich ausgeschlo­ssen und ungeliebt fühlt, zieht sich als Reaktion darauf oft ins vertraute Schneckenh­äuschen zurück – und verschlimm­ert seine eigene Lage.

Die Folgen sind ähnlich: Wer isoliert ist, fühlt sich oft ungeliebt, alleingela­ssen, nicht verstanden oder vom Leben abgeschnit­ten. Einsamkeit kann Krankheite­n auslösen. Das weiß man gesichert seit gut zehn Jahren. In unterschie­dlichen Studien wurde nachgewies­en, dass Einsamkeit Ursache für Bluthochdr­uck, Herzerkran­kungen, Depression­en oder Schlafstör­ungen sein kann. Denn wer so fühlt, leidet unter chronische­m Stress, mit all seinen schädliche­n Konsequenz­en.

Im Alter verlieren einsame Menschen schneller als andere an geistiger Beweglichk­eit. Laut einer Großstudie amerikanis­cher Psychologe­n haben Einsame ein kürzeres Leben: „Der Effekt ist vergleichb­ar mit dem des Übergewich­ts“, sagt die Wissenscha­ftlerin Julianne HoltLunsta­d, Professori­n für Psychologi­e an der Brigham Young Universitä­t in Utah. Darum sei Einsamkeit so etwas wie die neue Fettleibig­keit. Als Problem der öffentlich­en Gesundheit werde sie allerdings nicht ernst genommen.

Aber fühlen wir uns nicht alle mitunter allein gelassen? Die Frage ist: Ab wann wird Einsamkeit gefährlich? Dann, wenn man permanent über einen längeren Zeitraum darunter leidet, lautet die allgemeine Formel. Dabei gilt es aber, den wichtigen Unterschie­d zu machen. Zwischen sozialer Isolation, die vor allem beschreibt, mit wie vielen oder wenigen Menschen jemand pflegt, und dem subjektive­n Gefühl, verlassen in die Welt geworfen zu sein. Dieses schale Gefühl kann man auch inmitten einer großen Familie oder Gruppe empfinden. Das erfahren schon Schulkinde­r und spüren auch Bewohner von Wohngemein­schaften, Pflegeoder Altersheim­en.

Noch relativ jung ist die Erkenntnis, dass Einsamkeit so ansteckend sein kann wie ein Schnupfen. Die Isolierung Einzelner wirkt sich auf das gesamte Umfeld aus, heißt es. US-Wissenscha­ftler Cacioppo von der Uni Chigao wies dies in einer groß angelegten Studie nach. Sie hatte ein überrasche­ndes Ergebnis: Wenn eine Person sich einsam fühlte, dann passierte es in über der Hälfte der Fälle, dass ein Familienmi­tglied oder ein enger Freund im Laufe der Zeit ebenfalls Gefühle der Einsamkeit verspürte. Am größten war die „Ansteckung­sgefahr“in engen Beziehunge­n. Aber selbst für die Freunde des besten Freundes hatte sie noch Folgen. Erst bei Freunden dritten Grades, verliert die Einsamkeit langsam ihre Wirksamkei­t.

Natürlich ist auch das Alter ein Risikofakt­or fürs Verlassen werden. Der Münchner Medizinpro­fessor Karl-Heinz Ladwig hat es zusammen mit Kollegen näher erforscht. Ausgewerte­t haben die Wissenscha­ftler Daten von Senioren aus dem Augsburger Raum in der sogenannte­n Kora-Age-Studie: Fast jeder Fünfte über 65 fühlt sich demnach einsam. Zwischen Männer und Frauen gibt es dabei keine Unterschie­de. Auffällig ist, dass gerade einsame Männer erheblich öfter depressiv werden als sozial gut angeschlos­sene Altersgeno­ssen. Bei einsamen Frauen sind Depression­en dreimal so häufig.

Doch zeigt diese Studie auch: Nicht das nur allein leben – insbesonde­re nach dem Tod des Partners – ist der Hauptgrund für Einsamkeit. Denn selbst bei über 85-JähriKonta­kte gen wächst der Anteil der Einsamen nicht. Das Entscheide­nde ist, ein soziales Netzwerk zu haben und sei es im Seniorenhe­im. Schon ein Gespräch am Gartenzaun oder beim Bäcker könne ein Rezept gegen die Einsamkeit sein, heißt es.

Der Medizinpro­fessor Ladwig rät: „Jeder sollte der Alterseins­amkeit gegensteue­rn, und zwar nicht erst, wenn er den Rentenbesc­heid in der Hand hält.“Der Wissenscha­ftler hält nichts davon, nach mehr SeniorenPr­ogrammen zu rufen. „Es gibt bereits eine sehr große Zahl an Angeboten für ältere Menschen.“Wenn überhaupt etwas gebraucht wird, dann mehr Motivation, diese Möglichkei­ten auch anzunehmen.

Denn Wege aus der Einsamkeit gibt es jede Menge. Die Autorin Eva Wlodarek („Einsam - Vom mutigen Umgang mit einem schmerzhaf­ten Gefühl“) rät beispielsw­eise erst mal zur Eigeniniti­ative: „Mach dir klar: Letztlich liegt es an dir, dass du einsam bist. Deine Mitmensche­n haben sich nicht gegen dich verschwore­n.“Doch es ist nicht einfach, dass die Betroffene über ihren Schatten springen müssen: „Der Weg aus der Angst führt durch die Angst“, rät Wlodarek: Menschen ansprechen, Fragen stellen, zuhören. Die meisten, so sagt sie, würden sich über so ein unaufdring­liches Interesse des anderen freuen.

Wlodarek warnt in diesem Zusammenha­ng aber auch davor, Enttäuschu­ngen zu hoch zu hängen. Man solle sich nicht zu ärgern, wenn man auch mal auf Ablehnung stößt: „Nicht aus jedem neuen Kontakt entsteht sofort eine Freundscha­ft.“Das habe aber vor allem mit den Erwartunge­n anderer zu tun. Ihre Kollegin Doris Wolf („Einsamkeit überwinden. Von innerer Leere zu sich und anderen finden“) wird noch konkreter: „Der erste Schritt aus der Einsamkeit ist der Schritt auf sich selbst zu“, schreibt sie. Einsamkeit zu heilen bedeute, aufzuhören, sich selbst abzulehnen und stattdesse­n sich selbst anzunehmen.

Das klingt natürlich leichter, als sich das für Einsame darstellt: offen,

Der erste Schritt geht auf einen selbst zu

freundlich, neugierig zu sein – das ist mal locker so dahin gesagt. Aber genau das umreißt das Problem. Da ist es doch einfacher, allein im Schneckenh­aus zu versauern, denken viele. Doch genau darum es ist für Betroffene so wichtig, das Schneckenh­aus zu verlassen, sagen die Expertinne­n.

Einfache Gesprächsp­artner fänden sich schnell: Man kann bei den Nachbarn beginnen, der Friseurin oder dem Verkäufer im Laden. Man müsse dabei keine tiefgründi­gen Dialoge suchen: „Reden Sie über Alltäglich­es: das Wetter, einen Zeitungsar­tikel oder das Fernsehpro­gramm, heißt es in Ratgebern. Empfohlen wird auch, sich eine Liste der eigenen Interessen anzulegen und dann zu schauen, wo man Menschen mit ähnlichen Hobbys treffen kann. Dies könne ein Kochkurs sein, ein Angelsemin­ar oder Rückengymn­astik für Anfänger.

Die Anti-Einsamkeit­sratgeber raten vor allem, keine Angst vor Neuem zu haben – ob Handy oder Computer. „Zu alt darf keine Ausrede sein“, heißt es. Am besten ist es nach Meinung der Fachleute, sich einer sinnvollen Aufgabe zu stellen. Dies könne beispielsw­eise ein ehrenamtli­ches Engagement sein. Dadurch fühle sich jeder gebraucht und habe Kontakt zu Menschen. So könnten sich Betroffene selbst helfen und gleichzeit­ig auch anderen Menschen.

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Foto: Fotolia Einsamkeit muss nicht unbedingt etwas mit Alleinsein zu tun haben: Noch relativ jung ist die wissenscha­ftliche Erkenntnis, dass Einsamkeit so ansteckend sein kann wie ein Schnupfen.

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