Unterm Christbaum fließen die Tränen
Wenn die Mamas mit ihren Kleinen in der Mutter-Kind-Abteilung der Aichacher Justizvollzugsanstalt Weihnachten feiern, bleibt kaum ein Auge trocken. Freude und Trauer liegen oft nah beieinander
Aichach Weihnachten, der Heiligabend. Das ist für sie die Zeit, in der sie noch trauriger ist als sonst. Tage, an denen sie viel an ihre Familie denkt, an den sechsjährigen Sohn in Paraguay. Seit zweieinhalb Jahren hat sie ihn nicht mehr gesehen. So lange schon sitzt die junge Frau im Gefängnis. Nennen wir sie Maja.
Maja müht sich ein Lächeln ab, schluckt: „Das ist schwer für mich, doch ich muss stark bleiben.“Denn da ist ja noch der andere Sohn, der Zweijährige. Und für ihn möchte sie ein besonderes, ein schönes Fest. Als er auf die Welt kam, war Maja, die Drogen geschmuggelt hat, schon in Haft. Mit dem Kleinen konnte sie einen der zehn Plätze im geschlossenen Bereich der Mutter-Kind-Abteilung in der Justizvollzugsanstalt Aichach bekommen. Die Abteilung für Mütter mit Kindern bis drei Jahre liegt in einem eigenen Gebäude etwas abgelegen auf dem Gefängnisgelände, mit Spielplatz. Dort leben die beiden nun. Ein Schlafraum für die Mutter, ein Zimmer fürs Kind und ein kleines Bad mit Dusche. Das Ganze auf 20 Quadratmetern.
Und dort, in der Abteilung, feiern beide auch Weihnachten – zusammen mit den anderen sechs Müttern und Kindern, die gerade untergebracht sind. Für Maja und ihren Sohn ist es schon das zweite Jahr. Ans letzte Mal denkt sie gern zurück. Denn das Fest war zwar traurig für sie – Maja empfand es aber zugleich auch als sehr schön. „Der große Baum, das Essen. Wir waren alle zusammen und haben viel geweint. Das war sehr emotional“, sagt die 24-Jährige aus Paraguay, die erst in der Haft Deutsch gelernt hat. Auch diesmal freut sie sich auf die Gemeinschaft an Heiligabend.
Für den 24. Dezember ist wieder ein besonderes Programm geplant, schildert Sandra Erdel, die die Mutter-Kind-Abteilung im Moment leitet. Der ganze Bereich bereitet sich seit Tagen und Wochen darauf vor. Im großen Spielzimmer steht dann der Christbaum, den die Mütter am Vortag mit aufstellen und schmücken. An der Decke hängt ein selbst gebastelter Adventskalender mit kleinen Säckchen, der die Kinder schon durch die ganze Vorweihnachtszeit begleitet hat. Und sogar eine Krippe schmückt den Raum voller Spielzeug, der an eine Kita erinnert. Auch Plätzchen gibt’s, die die Mütter selbst gebacken haben. „Wie im Wohnzimmer sieht es dann bei uns aus. Wir möchten, dass richtig Stimmung aufkommt“, sagt Irmgard Tomschi, die seit rund 30 Jah- ren als Erzieherin in der MutterKind-Abteilung arbeitet.
Los geht’s um 9 Uhr am Morgen des Heiligabend. Da ist Dienstbeginn, da werden die Zellen der Mütter aufgesperrt. Geplant ist ein gemeinsames Frühstück und, wenn genug Zeit ist, auch ein Mittagessen zusammen. Denn schon um 13.30 Uhr findet die Bescherung unterm Christbaum statt. Geschenke gibt’s dann für die Kinder – die meisten von ihnen noch Säuglinge. Jede Mutter durfte sich auf eigene Kosten ein Präsent aus dem Katalog aussuchen, im Wert von bis zu 50 Euro. Maja hat sich für einen SpieleIgel entschieden, auf den man Ringe stecken kann. Ihr Sohn ist ja fast zwei. „So etwas versteht er schon“, sagt sie stolz.
Anschließend werden Fotos gemacht, Lieder gesungen und die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Bis dann der Augsburger Weihbischof Anton Losinger nach der Christmette in der JVA die MutterKind-Abteilung besucht. Losinger segnet die Kinder und spricht mit den Müttern, gemeinsam wird Kaffee getrunken. „Danach wird’s hek- tisch“, sagt Erzieherin Tomschi. Denn bis 17 Uhr muss alles wieder aufgeräumt sein. Dann ist Dienstschluss. Dann müssen die Mütter mit ihren Kindern wieder in die Zellen zurück, die Türen werden versperrt. So ähnlich läuft das auch an den folgenden Tagen ab, nur ein bisschen ruhiger. Am 26. Dezember gibt’s noch einen Krabbelgottesdienst für alle. Die sonst übliche Mittagsruhe entfällt an den Festtagen. Doch am frühen Abend heißt es immer: Türen zu.
Für Maja ist dieser Moment hart, wenn sie nach so viel Gemeinschaft wieder eingesperrt ist. Manche Mütter sind aber auch erleichtert, dann wieder ihre Ruhe zu haben, glaubt Tomschi. „Viele Frauen sind ja gedanklich bei ihren Familien draußen“, sagt die Erzieherin, die in früheren Jahren schon Dienst hatte an den Festtagen.
Sie konnte Mütter beobachten, die sehr bewegt waren an Weihnachten. Mütter mit großer Sehnsucht nach ihren Partnern, Eltern oder älteren Kindern. „Da fließen viele Tränen“, sagt sie. Denn die Kinder können zwar jederzeit von Angehörigen abgeholt werden – auch fürs Weihnachtsfest. Die Mamas aber dürfen nur raus, wenn sie entsprechende Lockerungen bewilligt bekommen haben. Und Besuch ist nicht erlaubt an Weihnachten.
Es gab aber auch mal eine Inhaftierte, die strahlte und sagte: Das sei das schönste Weihnachten für sie, erinnert sich Tomschi. „So etwas kannte sie vorher gar nicht, denn sie war im Heim aufgewachsen.“Und nicht alle Frauen kämen ja aus intakten Familien, bei manchen sei es früher einfach drunter und drüber gegangen, beim Fest wie auch sonst. In jedem Fall lassen solche Szenen auch Tomschi nicht kalt. „Das ist mehr als nur Arbeit. Da kann ich vom Gefühl her voll dabei sein.“
Einen großen Gefühlsausbruch hatte auch Maja schon in diesem Dezember. Im kleinen Trupp hat das Team der Abteilung einen Ausflug auf den Aichacher Christkindlmarkt angeboten. Als Maja erfuhr, dass sie als eine von zwei Müttern mit ihrem Sohn dabei sein dürfe, da habe ihr das Herz bis zum Hals geschlagen: „Ich habe einen Schrei gemacht vor Freude.“Der Ausflug war ein einmaliges Erlebnis, findet sie. Besonders für den Zweijährigen. Denn der war zwar schon oft vorher draußen, außerhalb der Gefängnismauern. Aber nie zuvor mit seiner Mama.
Im Gefängnis hat eine Frau ihre erste schöne Weihnachtsfeier erlebt
Am frühen Abend werden die Türen wieder versperrt