Königlicher Klangkörper
Die Orgel ist jetzt immaterielles Kulturerbe der Menschheit. Was die Einzigartigkeit dieses Instrumentes ausmacht und wo dies in Augsburg in besonderer Weise zu hören ist
Sie gilt als Königin. Kein Instrument ist so imposant, wenige werden so alt. Und nun hat die Unesco den Orgelbau und die Orgelmusik auch noch zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Chöre und Kirchgänger werden an Heilig Abend beim „Stille Nacht, Heilige Nacht“also von einem echten Weltkulturerbe begleitet.
Eine Nachricht, die den Augsburger Organisten Heinz Dannenbauer ins Schwärmen bringt: „Die Orgel ist das exklusivste aller Instrumente“, sagt der 78-Jährige. „Es steckt so viel Kultur und Geschichte in ihr.“Mit fünf Jahren lernte er das Klavierspielen, mit acht saß er das erste Mal vor einer Kirchenorgel. Seither habe er auf hunderten Orgeln in der Region gespielt. Auf großen, historischen Instrumenten aus der Barockzeit, auf kleinen in Dorfkirchen, auf modernen Orgeln in Konzertsälen: „Keine Orgel ist wie die andere“, sagt Dannenbauer. Die Größe, die Vielfalt, das Optische – für ihn gibt es nichts Vergleichbares. Kein anderes Instrument füllt mit seinem Klang grandiose Konzertsäle oder riesige Gotteshäuser.
Bundesweit gibt es etwa 50000 Orgeln – vor allem in Kirchen und Konzerthäusern. Besonders gegen- wärtig ist die Orgeltradition im Südwesten Deutschlands. Hier ist die Dichte mit etwa 7000 bis 8000 Instrumenten am größten. Auch viele der bundesweit etwa 400 Orgelbauer finden sich im Süden der Republik. Einer davon ist der Augsburger Robert Knöpfler, Geschäftsführer des Betriebs Kubak. 127 Königinnen hat er in den vergangenen 30 Jahren gebaut. „Jedes dieser Instrumente ist ein Unikat“, sagt Knöpfler – „mit beinahe unbegrenzter Lebensdauer.“Die Technik beim Bau der Orgel habe sich seit dem Mittelalter zwar durchaus verändert, erklärt Knöpfler. Ein Großteil sei aber nach wie vor Handarbeit.
Noch immer funktionieren die meisten Orgeln weitgehend mechanisch. Die größte Veränderung in der Branche? „Wir restaurieren heute deutlich mehr“, sagt er. Immer weniger Menschen gehen in den Gottesdienst. Die Zahl der Gläubigen sinkt. „Die Zeit, in der die Kirche protzen konnte, ist vorbei“, meint Knöpfler. Deshalb werden neue Orgeln seltener geordert.
Dennoch laufe das Geschäft. Vier Mitarbeiter und einen Auszubildenden beschäftigt der Betrieb. „Wir können nicht klagen.“Die Entscheidung, die Orgel zum Weltkulturerbe zu erklären, versteht Knöpfler auch als Werbung für seine Branche: „Die Orgel steht jetzt wieder mehr in der Öffentlichkeit.“Er hofft, dass die Auszeichnung auch zu finanzieller Unterstützung und neuen Projekten führt. So wie die Spendenaktion für die Steinmeyer-Orgel in der Augsburger Kongresshalle. Die Sanierung wird etwa eine halbe Million Euro kosten. Wer möchte, kann die Patenschaft für eine der Orgelpfeifen übernehmen. Das Konzertinstrument ist die einzige Orgel Augsburgs, die nicht in einer Kirche steht. Allerdings ist sie momentan nicht in Betrieb.
Wer dem epochalen Klang des Instruments in Augsburg lauschen möchte, muss also in ein Gotteshaus. Eine der ältesten Orgeln der Stadt steht in der evangelischen Kirchengemeinde St. Andreas im Herrenbach. Der Ulmer Georg Friedrich Schmahl baute das Instrument vor 280 Jahren. Gerühmt wird die Orgel für ihre Klangfülle, ungleichstufige Stimmung und für seine goldene Farbe. Dannenbauer schwärmt vom „klaren Sound“der Schmahl-Orgel.
Das zweite Barockinstrument befindet sich in St. Peter am Perlach. Sie ist die älteste Orgel Augsburgs und stammt aus dem Jahr 1688. Zu dieser Zeit erreichte der Orgelbau in Europa seine große Blüte. Die Instrumente aus dieser Epoche sind noch immer für ihren speziellen Klang bekannt.
Obertonregister, also Register, bei denen nicht der angeschlagene Ton selbst, sondern einer seiner Obertöne erklingt, bestimmen den Ton. „Barockorgeln hören sich kräftig und durchsichtig an“, erklärt Organist Heinz Dannenbauer. Mit der Romantik entstand im 19. Jahrhundert ein vollkommen anderes, orchestrales Klangideal. Im Vordergrund stand zu dieser Zeit die Vermischung der einzelnen Töne, erklärt Dannenbauer. Es wird der Klang eines Orchesters nachgeahmt. Töne von Streichinstrumenten und Flöten finden sich wieder. „So einen Klang gibt es heute kaum noch“, sagt der Organist.
In Augsburg stehen romantische Orgeln zum Beispiel in der Kirche St. Sebastian bei der MAN oder in der Stadtpfarrkirche St. Anton. Auch eine der beiden Orgeln im Augsburger Dom stammt aus der Zeit der Romantik. 1904 baute der Orgelbauer Franz Borgias Maerz die Marienorgel im Ostchor. 2014 restaurierte Orgelbauer Knöpfler das in die Jahre gekommene Instrument. „Diese Orgel steht komplementär zur neuen Nordschifforgel“, sagt Knöpfler. Dieses Instrument, genannt Magnificat-Orgel, stammt aus der Werkstatt Kubak. 1988 kam sie in den Dom. Ihr Erbauer beschreibt sie als „konsequent klassisch“. Das Zusammenspiel dieser beiden Orgeln lockt besonders zu den Feiertagen viele Besucher.
Wo Organist Heinz Dannenbauer Heilig Abend verbringen wird, ist keine Frage: Seit über 20 Jahren spielt er die Orgel in der evangelischen Heilig-Kreuz-Kirche. „Es wird volkstümlich“, verrät er.
Keine Orgel ist wie die andere
Das älteste Instrument steht in St. Andreas