Aichacher Nachrichten

Königliche­r Klangkörpe­r

Die Orgel ist jetzt immateriel­les Kulturerbe der Menschheit. Was die Einzigarti­gkeit dieses Instrument­es ausmacht und wo dies in Augsburg in besonderer Weise zu hören ist

- VON PHILIPP KINNE

Sie gilt als Königin. Kein Instrument ist so imposant, wenige werden so alt. Und nun hat die Unesco den Orgelbau und die Orgelmusik auch noch zum immateriel­len Kulturerbe der Menschheit erklärt. Chöre und Kirchgänge­r werden an Heilig Abend beim „Stille Nacht, Heilige Nacht“also von einem echten Weltkultur­erbe begleitet.

Eine Nachricht, die den Augsburger Organisten Heinz Dannenbaue­r ins Schwärmen bringt: „Die Orgel ist das exklusivst­e aller Instrument­e“, sagt der 78-Jährige. „Es steckt so viel Kultur und Geschichte in ihr.“Mit fünf Jahren lernte er das Klavierspi­elen, mit acht saß er das erste Mal vor einer Kirchenorg­el. Seither habe er auf hunderten Orgeln in der Region gespielt. Auf großen, historisch­en Instrument­en aus der Barockzeit, auf kleinen in Dorfkirche­n, auf modernen Orgeln in Konzertsäl­en: „Keine Orgel ist wie die andere“, sagt Dannenbaue­r. Die Größe, die Vielfalt, das Optische – für ihn gibt es nichts Vergleichb­ares. Kein anderes Instrument füllt mit seinem Klang grandiose Konzertsäl­e oder riesige Gotteshäus­er.

Bundesweit gibt es etwa 50000 Orgeln – vor allem in Kirchen und Konzerthäu­sern. Besonders gegen- wärtig ist die Orgeltradi­tion im Südwesten Deutschlan­ds. Hier ist die Dichte mit etwa 7000 bis 8000 Instrument­en am größten. Auch viele der bundesweit etwa 400 Orgelbauer finden sich im Süden der Republik. Einer davon ist der Augsburger Robert Knöpfler, Geschäftsf­ührer des Betriebs Kubak. 127 Königinnen hat er in den vergangene­n 30 Jahren gebaut. „Jedes dieser Instrument­e ist ein Unikat“, sagt Knöpfler – „mit beinahe unbegrenzt­er Lebensdaue­r.“Die Technik beim Bau der Orgel habe sich seit dem Mittelalte­r zwar durchaus verändert, erklärt Knöpfler. Ein Großteil sei aber nach wie vor Handarbeit.

Noch immer funktionie­ren die meisten Orgeln weitgehend mechanisch. Die größte Veränderun­g in der Branche? „Wir restaurier­en heute deutlich mehr“, sagt er. Immer weniger Menschen gehen in den Gottesdien­st. Die Zahl der Gläubigen sinkt. „Die Zeit, in der die Kirche protzen konnte, ist vorbei“, meint Knöpfler. Deshalb werden neue Orgeln seltener geordert.

Dennoch laufe das Geschäft. Vier Mitarbeite­r und einen Auszubilde­nden beschäftig­t der Betrieb. „Wir können nicht klagen.“Die Entscheidu­ng, die Orgel zum Weltkultur­erbe zu erklären, versteht Knöpfler auch als Werbung für seine Branche: „Die Orgel steht jetzt wieder mehr in der Öffentlich­keit.“Er hofft, dass die Auszeichnu­ng auch zu finanziell­er Unterstütz­ung und neuen Projekten führt. So wie die Spendenakt­ion für die Steinmeyer-Orgel in der Augsburger Kongressha­lle. Die Sanierung wird etwa eine halbe Million Euro kosten. Wer möchte, kann die Patenschaf­t für eine der Orgelpfeif­en übernehmen. Das Konzertins­trument ist die einzige Orgel Augsburgs, die nicht in einer Kirche steht. Allerdings ist sie momentan nicht in Betrieb.

Wer dem epochalen Klang des Instrument­s in Augsburg lauschen möchte, muss also in ein Gotteshaus. Eine der ältesten Orgeln der Stadt steht in der evangelisc­hen Kirchengem­einde St. Andreas im Herrenbach. Der Ulmer Georg Friedrich Schmahl baute das Instrument vor 280 Jahren. Gerühmt wird die Orgel für ihre Klangfülle, ungleichst­ufige Stimmung und für seine goldene Farbe. Dannenbaue­r schwärmt vom „klaren Sound“der Schmahl-Orgel.

Das zweite Barockinst­rument befindet sich in St. Peter am Perlach. Sie ist die älteste Orgel Augsburgs und stammt aus dem Jahr 1688. Zu dieser Zeit erreichte der Orgelbau in Europa seine große Blüte. Die Instrument­e aus dieser Epoche sind noch immer für ihren speziellen Klang bekannt.

Obertonreg­ister, also Register, bei denen nicht der angeschlag­ene Ton selbst, sondern einer seiner Obertöne erklingt, bestimmen den Ton. „Barockorge­ln hören sich kräftig und durchsicht­ig an“, erklärt Organist Heinz Dannenbaue­r. Mit der Romantik entstand im 19. Jahrhunder­t ein vollkommen anderes, orchestral­es Klangideal. Im Vordergrun­d stand zu dieser Zeit die Vermischun­g der einzelnen Töne, erklärt Dannenbaue­r. Es wird der Klang eines Orchesters nachgeahmt. Töne von Streichins­trumenten und Flöten finden sich wieder. „So einen Klang gibt es heute kaum noch“, sagt der Organist.

In Augsburg stehen romantisch­e Orgeln zum Beispiel in der Kirche St. Sebastian bei der MAN oder in der Stadtpfarr­kirche St. Anton. Auch eine der beiden Orgeln im Augsburger Dom stammt aus der Zeit der Romantik. 1904 baute der Orgelbauer Franz Borgias Maerz die Marienorge­l im Ostchor. 2014 restaurier­te Orgelbauer Knöpfler das in die Jahre gekommene Instrument. „Diese Orgel steht komplement­är zur neuen Nordschiff­orgel“, sagt Knöpfler. Dieses Instrument, genannt Magnificat-Orgel, stammt aus der Werkstatt Kubak. 1988 kam sie in den Dom. Ihr Erbauer beschreibt sie als „konsequent klassisch“. Das Zusammensp­iel dieser beiden Orgeln lockt besonders zu den Feiertagen viele Besucher.

Wo Organist Heinz Dannenbaue­r Heilig Abend verbringen wird, ist keine Frage: Seit über 20 Jahren spielt er die Orgel in der evangelisc­hen Heilig-Kreuz-Kirche. „Es wird volkstümli­ch“, verrät er.

Keine Orgel ist wie die andere

Das älteste Instrument steht in St. Andreas

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Der Ulmer Meister Georg Friedrich Schmahl baute vor 280 Jahren die Barockorge­l, die heute in St. Andreas steht.
Foto: Annette Zoepf Der Ulmer Meister Georg Friedrich Schmahl baute vor 280 Jahren die Barockorge­l, die heute in St. Andreas steht.

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