Aichacher Nachrichten

Ein Fest, das uns Mensch sein lässt

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger allgemeine.de

Von Martin Luther sagt man, er habe das Christkind erfunden. Weil ihm all der Mummenscha­nz um Nikolaus als Gabenbring­er zu kindisch war. Luther wollte es inniger haben, dem religiösen Festgeheim­nis angemessen­er. Deshalb ließ er das unsichtbar­e Christkind einfliegen – und verlieh der deutschen Weihnacht damit ihren unnachahml­ichen Zauber, der alle Menschen verwandelt. Das Christfest hat ihn – allen Entstellun­gen in der Konsum- und Medienwelt zum Trotz – bis heute bewahrt.

Denn nicht auf das Materielle kommt es an, auch wenn die Kinder ungeduldig der Bescherung am Heiligen Abend entgegenfi­ebern, sondern auf das ungezwunge­ne Beschenktw­erden mit dem Willen, einen anderen Menschen zu beglücken. Eine solche Zuwendung geschieht aus Freiheit. Nämlich der Freiheit, welche die Augsburger Protestant­en dieses Jahr mit dem Reformatio­nsjubiläum gefeiert haben. Es ist keine Freiheit, die einfach alle Fesseln abwirft, wie man das heute mit individual­istischer Rücksichts­losigkeit zu Lasten der Allgemeinh­eit gern tut. Sondern eine Freiheit, die sich losgemacht von aller Angst weiß, ich könnte zu kurz kommen. Luther lehrte: Du, Mensch, bist immer schon beschenkt, noch bevor du dir darauf ein Anrecht erworben hast.

Das Zauberhaft­e an Weihnachte­n liegt auch darin, dass wir wieder daran erinnert werden, wie frei wir miteinande­r umgehen können – und wie froh uns dies macht. Warum

Weihnachte­n bewirkt eine Art Reformatio­n

strahlen sich die Menschen an Weihnachte­n so an? Weil sie erfahren, wie gut es andere mit ihnen meinen – und umgekehrt. Man kann sogar sagen, dass Weihnachte­n die eigentlich­e Reformatio­n bewirkt. Nämlich eine Erneuerung unseres Menschlich-Seins. Jedes Jahr aufs Neue. Wohl deswegen strahlt das Weihnachts­fest auch auf Menschen aus, die einer anderen Religion angehören oder die mit der Religion nichts im Sinn haben.

Natürlich feiern die Kirchen an Weihnachte­n die Geburt des göttlichen Erlösers. Ihm gelten die zu Herzen gehenden alten Lieder, ihn stellt man in den Krippen dar. Doch wär’s nur eine traute Mär aus vergangene­n Zeiten, hätte sie längst ihre geistliche Kraft verloren. Es verhält sich wie dieses Jubiläumsj­ahr mit dem Luther-Tourismus: Ein rein historisch­es Interesse sieht vielleicht einen gerissenen Mann, der trotz oder wegen seiner Standhafti­gkeit bei seinem Augsburger Verhör seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen wusste. Aber ein solches Heldentum erklärt nicht die Wucht seiner Reformatio­n, die eine neue Art von Christsein bewirkt hat.

Dieses muss sich nicht mehr in Frontstell­ung zu Altgläubig­en verteidige­n. In ökumenisch­er Eintracht begingen evangelisc­he und katholisch­e Augsburger das Reformatio­nsjubiläum 2017. Sie haben mit der Zeit viel voneinande­r gelernt. Diesen Weg sollte die vielkultur­elle Stadt Augsburg weitergehe­n – in der Freude an all den Menschen.

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