Ein Fest, das uns Mensch sein lässt
Von Martin Luther sagt man, er habe das Christkind erfunden. Weil ihm all der Mummenschanz um Nikolaus als Gabenbringer zu kindisch war. Luther wollte es inniger haben, dem religiösen Festgeheimnis angemessener. Deshalb ließ er das unsichtbare Christkind einfliegen – und verlieh der deutschen Weihnacht damit ihren unnachahmlichen Zauber, der alle Menschen verwandelt. Das Christfest hat ihn – allen Entstellungen in der Konsum- und Medienwelt zum Trotz – bis heute bewahrt.
Denn nicht auf das Materielle kommt es an, auch wenn die Kinder ungeduldig der Bescherung am Heiligen Abend entgegenfiebern, sondern auf das ungezwungene Beschenktwerden mit dem Willen, einen anderen Menschen zu beglücken. Eine solche Zuwendung geschieht aus Freiheit. Nämlich der Freiheit, welche die Augsburger Protestanten dieses Jahr mit dem Reformationsjubiläum gefeiert haben. Es ist keine Freiheit, die einfach alle Fesseln abwirft, wie man das heute mit individualistischer Rücksichtslosigkeit zu Lasten der Allgemeinheit gern tut. Sondern eine Freiheit, die sich losgemacht von aller Angst weiß, ich könnte zu kurz kommen. Luther lehrte: Du, Mensch, bist immer schon beschenkt, noch bevor du dir darauf ein Anrecht erworben hast.
Das Zauberhafte an Weihnachten liegt auch darin, dass wir wieder daran erinnert werden, wie frei wir miteinander umgehen können – und wie froh uns dies macht. Warum
Weihnachten bewirkt eine Art Reformation
strahlen sich die Menschen an Weihnachten so an? Weil sie erfahren, wie gut es andere mit ihnen meinen – und umgekehrt. Man kann sogar sagen, dass Weihnachten die eigentliche Reformation bewirkt. Nämlich eine Erneuerung unseres Menschlich-Seins. Jedes Jahr aufs Neue. Wohl deswegen strahlt das Weihnachtsfest auch auf Menschen aus, die einer anderen Religion angehören oder die mit der Religion nichts im Sinn haben.
Natürlich feiern die Kirchen an Weihnachten die Geburt des göttlichen Erlösers. Ihm gelten die zu Herzen gehenden alten Lieder, ihn stellt man in den Krippen dar. Doch wär’s nur eine traute Mär aus vergangenen Zeiten, hätte sie längst ihre geistliche Kraft verloren. Es verhält sich wie dieses Jubiläumsjahr mit dem Luther-Tourismus: Ein rein historisches Interesse sieht vielleicht einen gerissenen Mann, der trotz oder wegen seiner Standhaftigkeit bei seinem Augsburger Verhör seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen wusste. Aber ein solches Heldentum erklärt nicht die Wucht seiner Reformation, die eine neue Art von Christsein bewirkt hat.
Dieses muss sich nicht mehr in Frontstellung zu Altgläubigen verteidigen. In ökumenischer Eintracht begingen evangelische und katholische Augsburger das Reformationsjubiläum 2017. Sie haben mit der Zeit viel voneinander gelernt. Diesen Weg sollte die vielkulturelle Stadt Augsburg weitergehen – in der Freude an all den Menschen.