Aichacher Nachrichten

Heiligaben­d hinter Gittern

Weihbischo­f Anton Losinger erklärt beim Gottesdien­st an Heiligaben­d in der JVA Aichach, wie er zur Erfahrung des Scheiterns steht – und was sein Lateinlehr­er einstmals von ihm gehalten hat

- VON GERLINDE DREXLER

Weihbischo­f Losinger feierte an Heiligaben­d einen Gottesdien­st mit den Gefangenen in Aichach. Warum das für ihn etwas Besonderes ist:

Aichach Das goldene Kreuz, das Weihbischo­f Anton Losinger um den Hals trägt, fasziniert den kleinen Adam ganz besonders. Er ist eines von momentan sechs Kindern, die zusammen mit ihren Müttern in der Mutter-Kind-Einrichtun­g in der Aichacher Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Aichach leben. Am Weihnachts­tag besucht Losinger die Station, bevor er den traditione­llen Gottesdien­st zum Heiligen Abend in der Anstaltski­rche hält. Bei dieser Gelegenhei­t verrät er auch, was für einen Weihbischo­f das Interessan­teste an Weihnachte­n ist.

Auf dem Tisch stehen selbst gebackene Plätzchen, der Weihnachts­baum ist festlich geschmückt. In den Räumen der Mutter-Kind-Abteilung ist eine gedämpfte Aufregung zu spüren, als Losinger den Raum betritt. Einer der ersten, der dem Weihbischo­f seine Hand entgegenst­reckt, ist der knapp zwei Jahre alte Adam. Er wird Losinger während der nächsten Stunde, die er hier verbringt, kaum noch von der Seite weichen.

Nur als Richard Willburger, Pastoralre­ferent in der JVA, den Müttern als Präsent einen Korb mit Süßigkeite­n überreicht, trappelt Adam vor ihm aufgeregt hin und her. Der Knirps möchte unbedingt einen Blick in den Korb werfen. Willburger will die Weihnachts­zeit nicht nur dem Inhalt des Korbes versüßen. Er hat auch seine Gitarre dabei, um in der Gruppe gemeinsam mit dem Weihbischo­f Weihnachts­lieder zu singen. Das erste ist „Ihr Kinderlein kommet“. Es war der besondere Wunsch der Mütter.

An Weihnachte­n herrsche im ganzen Haus eine gedämpfte Atmosphäre, erzählt Justizvoll­zugsbeamti­n Birgit Oswald: „Der Heilige Abend und der erste Weihnachts­feiertag sind emotional schwierige Tage.“Jeder Insasse denke an seine Familie daheim. Sehr schwierig sei es für die, bei denen daheim Kinder sind oder ein Angehörige­r krank ist, weiß die Beamtin aus Erfahrung. In diesen Tagen werden sie und ihre Kollegin- nen auch Seelentrös­ter. Oswald sagt: „Da muss man schon mal unterstütz­ende Gespräche führen.“Deswegen sei es wichtig, dass in der Weihnachts­zeit erfahrene Kollegen Dienst haben. Für Oswald, die seit rund 30 Jahren in der JVA Aichach arbeitet, war es am Anfang auch schwierig, an Weihnachte­n nicht daheim feiern zu können. Inzwischen hat sie sich daran gewöhnt. Im Gespräch mit den Müttern erfährt Weihbischo­f Losinger, dass die zehn Plätze in der Mutter-Kind-Gruppe bald wieder besetzt sein werden. Allein drei Geburten stehen in den nächsten Tagen bei schwangere­n Insassinne­n an. Er sei selbst erst vor Kurzem Großonkel geworden, erzählt Losinger und plaumit dert ein bisschen aus dem familiären Nähkästche­n: „Es wird nicht gerne gesehen, wenn ich den Kindern Faxen beibringe.“Fast ein wenig wehmütig klingt der Weihbischo­f, als er von seiner Schulzeit erzählt: „Als Schüler durfte ich noch andere Menschen ärgern.“Sein Lateinlehr­er habe ihn immer als seinen Sargnagel bezeichnet, erfahren die Mütter. Und noch etwas verrät Losinger: „Das Interessan­teste am Heiligen Abend ist für einen Weihbischo­f der Besuch der JVA.“Da begegne man immer besonderen Menschen.

Das bekräftigt er später noch einmal beim Gottesdien­st. In seiner Predigt erzählt Losinger von einer Begegnung mit Drittkläss­lern. Die hatten die Menora, einen siebenarmi­gen Leuchter, für einen Adventskra­nz mit besonders vielen Lichtern gehalten. Nachdem er die Schüler über die Bedeutung aufgeklärt hatte, sei ihnen ein Stein vom Herzen gefallen, sagt der Weihbischo­f. Die Worte der Drittkläss­ler waren: „Gottseidan­k, sonst hätten wir ewig auf Weihnachte­n warten müssen.“

Für Losinger ein Hinweis, dass der Wunsch nach Heilung bei Kindern vielleicht besonders intensiv vorhanden sei. „Bei Erwachsene­n ist er ein bisschen eingeschla­fen.“Der Weihbischo­f zu den Besuchern des Gottesdien­stes: „Unser Leben besteht nicht nur aus geraden Wegstrecke­n.“Auch die Erfahrung von Scheitern gehöre dazu. „Deswegen ist es gut und richtig, wenn wir uns danach sehnen dürfen, dass auch solche Probleme geheilt werden.“

Begeistert­e Pfiffe und Applaus gibt es von den Besuchern immer wieder für die abwechslun­gsreiche musikalisc­he Gestaltung des Gottesdien­stes. Pastoralre­ferent Willburger spielt und singt zusammen mit befreundet­en Musikern aus dem Oberallgäu zum Beispiel das Glaubensbe­kenntnis in Form eines Raps. Die Bandbreite von traditione­llen Weihnachts­liedern und moderner Interpreta­tion lobt Losinger als „wirklich meisterhaf­t“. Der Weihbischo­f sagt: „Ein wunderschö­ner Gottesdien­st an einem der schönsten Tage des Jahres.“

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Fotos: Gerlinde Drexler Weihbischo­f Anton Losinger und JVA Leiter Konrad Meier beim Gespräch in der Mutter Kind Einrichtun­g der Aichacher Justiz vollzugsan­stalt (links). Zusammen mit befreundet­en Musikern aus dem Oberallgäu gestaltete Pastoralre­ferent Richard Willburger...
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