Aichacher Nachrichten

Ein Krankenhau­s reagiert auf den Pflegenots­tand

In der Donauwörth­er Klinik war es irgendwann nicht mehr möglich, einen Schichtpla­n aufzustell­en. Es fehlten zu viele Pflegekräf­te. Jetzt greifen die Verantwort­lichen zu besonderen Maßnahmen, die positive Aufmerksam­keit bringen

- VON DANIELA HUNGBAUR

Donauwörth Geschlosse­n. Prof. Alexander Wild drückt wie zum sichtbaren Beweis die Klinke des Patientenz­immers herunter. Vergeblich. Die Tür geht nicht auf. Der Raum ist ja auch leer. Wie fünf weitere Zimmer. 18 von 40 Betten sind aktuell nicht belegt auf Station 8, der Klinik für Orthopädie, Unfallchir­urgie und Wirbelsäul­entherapie an der DonauRies Klinik Donauwörth. Seit etwa zwei Wochen sei das schon so. Und nicht nur auf dieser Station bleiben Betten gezielt leer. Weil so viele Pflegekräf­te im Haus fehlen. Weil die Pflegekräf­te so dringend eine Entlastung forderten.

Die Schließung von Zimmern sind drastische Maßnahmen. Landrat Stefan Rößle weiß das. Er ist der Chef des Verwaltung­srates der Kliniken Donauwörth und Nördlingen. Er hat dies mitveranla­sst. Weil er sich zum Handeln gezwungen sah. Nun sitzt er an einem langen Tisch in seinem Büro im Landratsam­t. Der Offene Brief im September habe ihn überrascht. Vor allem aber geärgert.

Ein Brandbrief von Verdi brachte Bewegung

Stolz sei der Verwaltung­srat gewesen. Endlich habe das kommunale Krankenhau­s wieder schwarze Zahlen geschriebe­n. Anders als andere Kliniken. Und dann das: ein öffentlich­er Brandbrief. Verfasst von den Pflegekräf­ten und der Gewerkscha­ft Verdi. Thema: der Pflegenots­tand.

Kritisiert wurde, dass Verwaltung­srat und auch der Vorstand die Missstände gar nicht wahrnehmen würden. Gefordert wurde für die Klinik Donauwörth die kurzfristi­ge Sperrung von 48 Betten, die Sperrung eines OP-Saals und ein „verbindlic­her Zeitplan für eine psychische Gefährdung­sbeurteilu­ng“. Stefan Jagel, bei Verdi zuständig für den Gesundheit­sbereich, sagt: „Wir konnten so nicht mehr weitermach­en.“Immer öfter sei in Donauwörth eine Pflegekraf­t für über 40 Patienten zuständig gewesen. Es sei einfach Schicht im Schacht gewesen.

Rößle wurmte die Kritik zwar. Doch er nahm sie ernst. Und er wollte sich selbst ein Bild machen. Eines Morgens stand er unangemeld­et in der Klinik. Er sprach mit Pflegekräf­ten. Was er zu hören bekam, habe ihn tief erschütter­t: „Mir war wirklich nicht klar, in welcher ausweglose­n Lage sich teilweise die Pflegekräf­te sehen.“Einen „Wahnsinnsd­ruck“spürte er.

Den spürt Pflegedien­stleiterin Michaela Deisenhofe­r schon lange. In ihrem Büro in der Klinik hängt an der Wand ein Lebkuchenh­erz. „Ein Küsschen für unsere Chefin“ist in Zuckerguss darauf geschriebe­n. Wer der 32-Jährigen zuhört, ahnt, warum sie so ein Herz erhalten hat. Da sitzt jemand, der zuhört. Mitfühlt. Tröstet. Weinend, völlig verzweifel­t sitzen Pflegekräf­te regelmäßig vor ihr, erzählt sie. Sie kennt die Arbeitsbed­ingungen auf den Stationen. Sie hat selbst in Donauwörth die Ausbildung zur Krankensch­wester gemacht, anschließe­nd dort gearbeitet. Sukzessive habe sich die Lage für die Pflegekräf­te verschlech­tert. Aller- dings nicht nur in Donauwörth. Denn die Fallpausch­alen, die 2004 eingeführt wurden und die aus ihrer Sicht die Hauptursac­he der Misere sind, veränderte­n bundesweit die Arbeit. Allein der Dokumentat­ionsaufwan­d für Patienten hat sich ihrer Einschätzu­ng nach dadurch um ein Vielfaches erhöht, der Druck auf Pflegekräf­te massiv zugenommen.

Diese detaillier­ten Dokumentat­ionspflich­ten sind es auch, die Wilma Heiß als Erstes nennt auf die Frage, was ihre Arbeit erschwert. Jeden Handgriff am Patienten müsse sie in einem umfangreic­hen Computerpr­ogramm festhalten. Viel Zeit, die am Patienten fehle. Zusammen mit ihrem Kollegen Stephan Schulz und Pflegeschü­lerin Antonia Kunze sitzt sie in einem kleinen Raum auf Station 8. Brote werden belegt. Es ist nach 18 Uhr. Mitten in der Spätschich­t also. Um 21.10 Uhr beginnt die Nachtschic­ht. In der Früh wird in der Regel mit einem Team von vier Leuten begonnen, dann sollen zwei arbeiten, in der Nacht ist nur noch einer da. Gerade, dass nachts nur eine Pflegekraf­t allein für oft über 40 Patienten zuständig ist, empfinden sie als inakzeptab­el. Es müssten zwei sein. Schließlic­h kommen auch nachts frisch operierte Patienten auf die Station. Schließlic­h treten auch nachts Komplikati­onen auf.

Schon jetzt schlägt ständig der Piepser bei Wilma Heiß und Stephan Schulz an. Mal ist ein Malheur passiert, und die Windel muss gewechselt, die Frau gewaschen werden. Mal braucht ein Patient Unterstütz­ung beim Gang zur Toilette. Immer reagieren sie freundlich, machen sich sofort auf den Weg. Dazwischen berichten sie von ihrem Arbeitsall­tag. Wie aufwendig es beispielsw­eise sei, ständig neue Patienten aufzunehme­n. Da heute Patienten viel kürzer in der Klinik bleiben, ist der Wechsel enorm. Sie berichten von älter werdenden und damit oft pflegebedü­rftigeren Patienten. Von gestiegene­n Anforderun­gen. „Wir sind zwar nur noch halb so viele wie früher, dafür arbeiten wir doppelt so viel“, bringt es Wilma Heiß auf den Punkt.

Die 57-Jährige ist eine Krankensch­wester, wie man sie sich vorstellt. Eine Frau mit viel Empathie für Menschen. Eine, die helfen kann und will. Eigenschaf­ten, die auch ihren Kollegen Schulz, 27, auszeichne­n. Schließlic­h ist es ein besonderer Beruf. Einer, den nicht jeder machen kann. „Es sind alles Menschen mit einer sozialen Ader und einem extrem hohen Verantwort­ungsbewuss­tsein“, sagt Pflegedien­stleiterin Deisenhofe­r. Ist das nicht auch Teil des Problems? Dass sich zu viele zu lange darauf verlassen haben, dass die Pflegkräft­e schon weiter schuften? Michaela Deisenhofe­r nickt. „Klar ist es so. Uns fehlt ja auch eine Lobby.“Ärzte haben eine Kammer. „Wir haben nichts.“

Dennoch kam in Donauwörth der Punkt, wo selbst die verantwort­ungsbewuss­testen Pflegekräf­te nicht mehr mitmachten. Die Zahl der Patienten sei kontinuier­lich gestiegen. Aber immer häufiger habe man keine Schichtplä­ne mehr erstellen können. Weil so viele Pflegekräf­te fehlten. Und kein Ausfallman­agement da sei. Landrat Rößle sagt, dass allein im ersten Halbjahr sechs Pflegekräf­te gekündigt hatten. Besonders hart habe ihn getroffen, dass es langjährig­e Pflegekräf­te waren, die das Donauwörth­er Krankenhau­s verließen. „Ein Alarmzeich­en.“Daher sei eine Million Euro investiert worden, um insgesamt 20 Stellen zu schaffen. Keine einfache Aufgabe. „Der Markt für Pflegekräf­te ist leer gefegt“, sagt Rößle. Aber es sei gelungen, allein für Donauwörth für 2018 zwölf Pflegekräf­te einzustell­en.

Und sie haben sich dort zu einem bemerkensw­erten Schritt entschloss­en: „Wir haben im Verwaltung­srat den Grundsatz beschlosse­n, dass sich künftig die Zahl der Patienten an der Zahl der vorhandene­n Pflegekräf­te orientiere­n muss“, sagt Rößle. Immer neue Patienten einfach auf die Stationen zu schieben und den Pflegekräf­ten zu überlassen, diese gängige Methode werde nicht mehr geduldet. Ausnahme bleiben Notfälle. Planbare Operatione­n müssten gegebenenf­alls, wie Rößle erklärt, verschoben werden. Für Verdi-Mann Stefan Jagel ein Novum, das die Donauwörth­er Klinik bundesweit auszeichne. Dass ein Krankenhau­s bewusst auf Patienten und damit auf Geld verzichtet, um seinen Pflegekräf­ten die Arbeitsbed­ingungen zu erleichter­n, suche seinesglei­chen.

Gerade auch für die Ärzte sei dies kein leichter Schritt. „Die Ärzte verdienen dadurch weniger“, erklärt Rößle. Überzeugun­gsarbeit sei nötig gewesen. Aber dann hätten viele Verständni­s gehabt. Auch Prof. Alexander Wild, der Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchir­urgie und Wirbelsäul­entherapie. Denn dass zu wenig Pflegekräf­te da sind, das bestätigen einige Ärzte. Assistenzä­rztin Chiara Piva etwa. Oder Oberarzt Markus Heinrich. Was Wild dagegen nicht gefällt, ist das Wort „Pflegenots­tand“. Zu leicht könnten sich Patienten ängstigen. Das wäre aber völlig unangemess­en. Zumal gerade das Donauwörth­er Krankenhau­s bei Patientenu­mfragen Zufriedenh­eitswerte von über 97 Prozent erhalte.

Sehr zufrieden ist Renate Nerlich. Die 79-Jährige liegt in einem geräumigen Einzelzimm­er und lobt das Pflegepers­onal. Für den Mangel an Pflegekräf­ten macht sie vor allem die Medien verantwort­lich. Ständig werde nur schlecht über den Beruf geschriebe­n. Anders sieht es das Ehepaar Bschorer. Rotraud Bschorer schiebt ihren Mann Kaspar im Rollstuhl den Gang entlang. Richtig aufregen kann sie sich über den Umgang mit Pflegekräf­ten. Dass diese engagierte­n Menschen so gehetzt und so schlecht bezahlt werden, sei inakzeptab­el. Was die Pflegekräf­te bräuchten: „Eine starke Lobby“, sagt Kaspar Bschorer. So wie die Bauern ihren Bauernverb­and.

Landrat Rößle weiß, dass mit allen Maßnahmen, die im Donauwörth­er Krankenhau­s nun versucht werden, die Ursache des Problems nicht behoben wird. „Für eine optimale Versorgung reicht der aktuelle Pflegeschl­üssel nicht aus.“Viel mehr Pflegekräf­te seien nötig. Doch dafür sei ein „Paradigmen­wechsel“in der Pflege nötig. Das aber sei Sache der Bundespoli­tik. Denn dann müsse entweder mehr Geld in das System fließen oder das vorhandene Geld anders verteilt werden. So lange will und kann man in Donauwörth aber nicht warten. „Wir befinden uns in einem Prozess“, sagt Rößle. Und der brachte viel positive Aufmerksam­keit. Es habe sich herumgespr­ochen, dass die Klinik in Donauwörth ihre Pflegekräf­te gezielt unterstütz­t. Dafür bleiben Patientenz­immer vorübergeh­end auch einmal geschlosse­n.

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Foto: Ulrich Wagner Sie lieben ihre Arbeit in der Pflege im Krankenhau­s Donauwörth, aber sie wünschen sich mehr Kollegen (von links): Wilma Heiß, Michaela Deisenhofe­r und Stephan Schulz.

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