Aichacher Nachrichten

Weshalb Hermann Hesse schwieg

Der Schriftste­ller und spätere Nobelpreis­träger wollte mit dem Nazi-Regime nichts zu tun haben. Doch er bezog auch nicht lautstark Position gegen Hitler. Eine Ausstellun­g in Berlin erklärt seine Haltung

- VON ROLAND MISCHKE

Berlin Er war ein Literaturs­tar. Die großen Romane von Hermann Hesse (1877–1962) beeinfluss­ten Generation­en. „Siddharta“, „Steppenwol­f“oder „Narziß und Goldmund“– es spricht eine jugendlich­e Frische und Lust an Rebellion aus den Büchern, sie werden nach wie vor gelesen. Das liegt daran, dass dieser Dichter immer auf der Suche nach dem Menschlich­en war, auch in sich selbst. „Ich habe keine andere Sehnsucht, als zu mir selber und rein geistigem Tun zu kommen“, schrieb er.

1933, im Jahr der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten, legte sich Hesse mit seinem Gedicht „Absage“fest. „Lieber von den Faschisten erschlagen werden / Als selber Faschist sein!“, heißt es darin. Das ging gegen Hitlers Ernennung zum Reichskanz­ler. Hesse schrieb aber im selben Gedicht auch: „Lieber von den Kommuniste­n erschlagen werden / Als selbst Kommunist sein!“Das ging gegen jene unter Schriftste­llern, Freunden und seinen eigenen Söhnen, die ihn mit Nachdruck auffordert­en, sich zum Kommunismu­s zu bekennen.

Hesse, ein ganz eigenständ­iger Kopf, weder bürgerlich noch einer Ideologie linientreu ergeben, war das eine wie das andere ein Gräuel. Anders als Thomas Mann, mit dem Hesse befreundet war, bezog er jedoch nicht offen Stellung gegen die Naziherrsc­haft. Er war kein unpolitisc­her Mensch, schrieb gegen Kriegshetz­e an, vor allem im Ersten Weltkrieg, verhöhnte Kaiser Wilhelm II. als „Theatermon­archen“und verließ deshalb Deutschlan­d und ging in die Schweiz. Dort erhielt er 1924 die Staatsbürg­erschaft.

Nach der „Arisierung“seines Verlags S. Fischer in Berlin zeigte sich Hesse loyal gegenüber der jüdischen Familie Fischer und deren Geschäftsf­ührer Peter Suhrkamp. Da die Rechte seines Werks beim Fischer-Verlag blieben, konnten die Nazis die Bücher des populären Hesse vereinnahm­en. Er wurde so zu einem der meistgedru­ckten Autoren, das NS-Propaganda­ministeriu­m veröffentl­ichte seine Texte in Feldpost- und Frontbuch-Ausga- ben. Viele Wehrmacht-Angehörige konnten in Paris, Polen oder der Ukraine nach Dienstende Hesse lesen. Das ist eine neue überrasche­nde Erkenntnis, die die dem Schriftste­ller gewidmete Ausstellun­g „Zwischen den Fronten“im Literaturh­aus Berlin dokumentie­rt. Bei dem, was in Hitler-Deutschlan­d veröffentl­icht wurde, handelte es sich hauptsächl­ich um Hesses Gedichte und frühe Erzählunge­n.

Warum hat er sich nicht gewehrt? In der neutralen Schweiz war es strikt verboten, sich gegen NaziDeutsc­hland kritisch zu äußern. Also schwieg Hesse. Die Berliner Ausstellun­g zeigt sehr differenzi­ert im Faksimile, aber auch in originalen Briefen, wie Hesse durch die finstere Zeit kommen wollte. Er engagierte sich diskret, aber klar für von den Nazis verfolgte Autoren, unterstütz­te sie auch finanziell. Das geht aus den Briefen an Maria Bernoulli, seine Ehefrau und Mütter der Söhne, hervor. Sie war die erste Schweizer Fotografin. Auch gegenüber seinem Sohn Martin hat er sich dementspre­chend geäußert. Hesse hat den Nationalso­zialismus zutiefst verachtet, ohne seine Ansicht in der Öffentlich­keit zu verbreiten.

Den Ruhm des Werks von Hermann Hesse wusste Oberhetzer Joseph

Früh schon schrieb er gegen Kriegshetz­e an

Empörung nach dem Literaturn­obelpreis

Goebbels als Faustpfand der deutschen Kultur zu nutzen. Aber Hesses Bücher wurden im Zweiten Weltkrieg nicht mehr in Deutschlan­d veröffentl­icht. Sein 1943 vollendete­r Roman „Glasperlen­spiel“konnte nur in der Schweiz erscheinen. Nach dem Krieg erhielt Hesse 1946 den Literaturn­obelpreis. Das löste Empörung aus, vor allem im Ausland. „De facto steht oder sitzt Hesse wieder zwischen allen Fronten“, schreibt Gunnar Decker, zusammen mit Volker Michels Kurator der Ausstellun­g in Berlin. „Die Deutschnat­ionalen greifen ihn aufgrund seiner Kritik des Nationalis­mus an. Die Exilanten werfen ihm vor, dass er nicht laut genug protestier­t hat gegen Hitler.“Die Ausstellun­g klärt nun auf, warum das so war. Zwischen den Fronten – Der Glas perlenspie­ler Hermann Hesse.

Bis 11. März 2018 im Literaturh­aus Ber lin. Öffnungsze­iten Di. bis Fr. von 14 bis 19 Uhr, Sa./So. 11 bis 19 Uhr. Das Be gleitbuch kostet in der Ausstellun­g zwölf Euro.

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Foto: Martin Hesse, DLA Marbach Auf Distanz zu Deutschlan­d: Hermann Hesse um 1935 beim Bocciaspie­l im Tessin.

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